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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 1. Breslau, 1852.

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werden und in den schönsten Jugendjahren sterben,
sagte Anton.

"Weiß ich's nicht?" antwortete der Wolfgang;
"begehr' ich denn was Anderes? Auf dem Miste
werd' ich sterben, am Feldwege, im nassen Graben.
Desto besser! Wer jung stirbt, braucht alt nicht zu
hängen, wie mein Alter. Hu -- -- ich seh' ihn noch
baumeln! Halb war ich ohnmächtig vor Grauen und
halb war ich lustig vor Freude, daß er mich nicht
mehr prügeln würde. Schrecklich war's doch und ich
möchte nicht hängen! Blieb' ich aber am Leben, so
käm' ich in jedem Falle an den Galgen, oder auf's
Rad; das spür' ich. Also wie gesagt: besser, ich
sterbe auf meine eigene Hand und durch mich allein.
Das hab' ich Dir jetzt gesagt, Anton; ich hab' Dir
gesagt, daß Du der Einzige bist, den ich nicht hasse,
gegen den ich keine Wuth fühle. Nun mußt Du mir
dafür versprechen, daß Du mir die Augen zudrücken
willst, wenn's aus wird mit mir. Willst Du?"

Thust Du doch, sprach Anton gerührt, als wüß-
test Du im Voraus, wann Dein Stündlein schlagen
soll?

"Beinah' weiß ich's auch. Und ich werde Dich
rufen, wenn es Zeit ist."

werden und in den ſchoͤnſten Jugendjahren ſterben,
ſagte Anton.

„Weiß ich’s nicht?“ antwortete der Wolfgang;
„begehr’ ich denn was Anderes? Auf dem Miſte
werd’ ich ſterben, am Feldwege, im naſſen Graben.
Deſto beſſer! Wer jung ſtirbt, braucht alt nicht zu
haͤngen, wie mein Alter. Hu — — ich ſeh’ ihn noch
baumeln! Halb war ich ohnmaͤchtig vor Grauen und
halb war ich luſtig vor Freude, daß er mich nicht
mehr pruͤgeln wuͤrde. Schrecklich war’s doch und ich
moͤchte nicht haͤngen! Blieb’ ich aber am Leben, ſo
kaͤm’ ich in jedem Falle an den Galgen, oder auf’s
Rad; das ſpuͤr’ ich. Alſo wie geſagt: beſſer, ich
ſterbe auf meine eigene Hand und durch mich allein.
Das hab’ ich Dir jetzt geſagt, Anton; ich hab’ Dir
geſagt, daß Du der Einzige biſt, den ich nicht haſſe,
gegen den ich keine Wuth fuͤhle. Nun mußt Du mir
dafuͤr verſprechen, daß Du mir die Augen zudruͤcken
willſt, wenn’s aus wird mit mir. Willſt Du?“

Thuſt Du doch, ſprach Anton geruͤhrt, als wuͤß-
teſt Du im Voraus, wann Dein Stuͤndlein ſchlagen
ſoll?

„Beinah’ weiß ich’s auch. Und ich werde Dich
rufen, wenn es Zeit iſt.“

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[39/0055] werden und in den ſchoͤnſten Jugendjahren ſterben, ſagte Anton. „Weiß ich’s nicht?“ antwortete der Wolfgang; „begehr’ ich denn was Anderes? Auf dem Miſte werd’ ich ſterben, am Feldwege, im naſſen Graben. Deſto beſſer! Wer jung ſtirbt, braucht alt nicht zu haͤngen, wie mein Alter. Hu — — ich ſeh’ ihn noch baumeln! Halb war ich ohnmaͤchtig vor Grauen und halb war ich luſtig vor Freude, daß er mich nicht mehr pruͤgeln wuͤrde. Schrecklich war’s doch und ich moͤchte nicht haͤngen! Blieb’ ich aber am Leben, ſo kaͤm’ ich in jedem Falle an den Galgen, oder auf’s Rad; das ſpuͤr’ ich. Alſo wie geſagt: beſſer, ich ſterbe auf meine eigene Hand und durch mich allein. Das hab’ ich Dir jetzt geſagt, Anton; ich hab’ Dir geſagt, daß Du der Einzige biſt, den ich nicht haſſe, gegen den ich keine Wuth fuͤhle. Nun mußt Du mir dafuͤr verſprechen, daß Du mir die Augen zudruͤcken willſt, wenn’s aus wird mit mir. Willſt Du?“ Thuſt Du doch, ſprach Anton geruͤhrt, als wuͤß- teſt Du im Voraus, wann Dein Stuͤndlein ſchlagen ſoll? „Beinah’ weiß ich’s auch. Und ich werde Dich rufen, wenn es Zeit iſt.“

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Zitationshilfe: Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 1. Breslau, 1852, S. 39. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden01_1852/55>, abgerufen am 18.05.2024.