den Verkehres froh zu werden. Sie wußten, wie so häufig arme Schüler aller Zeiten, nichts, als was sie mühselig und nur deshalb erlernt hatten, weil sie nicht tadelnde Censuren heimbringen wollten. Diese ihre Theilnahmlosigkeit gegen Alles, was gebildeter Menschen Brust bewegt, was auch ungebildete, doch mit höheren Anlagen ausgestattete Wesen, gleich Ottilien, sehnend ahnen; machte sie letzterer so unbe- deutend, setzte sie in ihrer Meinung so tief herab, daß sie beide, wie schon oben angedeutet wurde, weit unter den Korbmacherjungen stellte.
Das wissen wir ja längst, liebster Holtei, wird meine schöne, jugendliche Leserin jetzt ausrufen. Das wissen wir bereits zur Genüge. Also, alter Schwätzer, entwickeln Sie nicht so viel; gehen Sie nicht so lange um Jhren psychologischen Brei wie ein Kater herum; sondern melden Sie mir frei heraus, als ein offenher- ziger Romanschriftsteller, wie es mit dem zugeworfenen Kusse aussieht, den Jhr schöner Anton aus der Däm- merung des Abends hinter der Hausthür hervor in die Dämmerung fliegen gesehen haben will? Durch welchen Anblick er sich, Jhrer Versicherung zu Folge, aus kindischer und bescheidener Neigung und Ehrfurcht, in eine höchst sträfliche, weder sittlich noch bürgerlich
den Verkehres froh zu werden. Sie wußten, wie ſo haͤufig arme Schuͤler aller Zeiten, nichts, als was ſie muͤhſelig und nur deshalb erlernt hatten, weil ſie nicht tadelnde Cenſuren heimbringen wollten. Dieſe ihre Theilnahmloſigkeit gegen Alles, was gebildeter Menſchen Bruſt bewegt, was auch ungebildete, doch mit hoͤheren Anlagen ausgeſtattete Weſen, gleich Ottilien, ſehnend ahnen; machte ſie letzterer ſo unbe- deutend, ſetzte ſie in ihrer Meinung ſo tief herab, daß ſie beide, wie ſchon oben angedeutet wurde, weit unter den Korbmacherjungen ſtellte.
Das wiſſen wir ja laͤngſt, liebſter Holtei, wird meine ſchoͤne, jugendliche Leſerin jetzt ausrufen. Das wiſſen wir bereits zur Genuͤge. Alſo, alter Schwaͤtzer, entwickeln Sie nicht ſo viel; gehen Sie nicht ſo lange um Jhren pſychologiſchen Brei wie ein Kater herum; ſondern melden Sie mir frei heraus, als ein offenher- ziger Romanſchriftſteller, wie es mit dem zugeworfenen Kuſſe ausſieht, den Jhr ſchoͤner Anton aus der Daͤm- merung des Abends hinter der Hausthuͤr hervor in die Daͤmmerung fliegen geſehen haben will? Durch welchen Anblick er ſich, Jhrer Verſicherung zu Folge, aus kindiſcher und beſcheidener Neigung und Ehrfurcht, in eine hoͤchſt ſtraͤfliche, weder ſittlich noch buͤrgerlich
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0098"n="82"/>
den Verkehres froh zu werden. Sie wußten, wie ſo<lb/>
haͤufig arme Schuͤler aller Zeiten, nichts, als was ſie<lb/>
muͤhſelig und nur deshalb erlernt hatten, weil ſie<lb/>
nicht tadelnde Cenſuren heimbringen wollten. Dieſe<lb/>
ihre Theilnahmloſigkeit gegen Alles, was gebildeter<lb/>
Menſchen Bruſt bewegt, was auch ungebildete, doch<lb/>
mit hoͤheren Anlagen ausgeſtattete Weſen, gleich<lb/>
Ottilien, ſehnend ahnen; machte ſie letzterer ſo unbe-<lb/>
deutend, ſetzte ſie in ihrer Meinung ſo tief herab, daß<lb/>ſie beide, wie ſchon oben angedeutet wurde, weit unter<lb/>
den Korbmacherjungen ſtellte.</p><lb/><p>Das wiſſen wir ja laͤngſt, liebſter Holtei, wird<lb/>
meine ſchoͤne, jugendliche Leſerin jetzt ausrufen. Das<lb/>
wiſſen wir bereits zur Genuͤge. Alſo, alter Schwaͤtzer,<lb/>
entwickeln Sie nicht ſo viel; gehen Sie nicht ſo lange<lb/>
um Jhren pſychologiſchen Brei wie ein Kater herum;<lb/>ſondern melden Sie mir frei heraus, als ein offenher-<lb/>
ziger Romanſchriftſteller, wie es mit dem zugeworfenen<lb/>
Kuſſe ausſieht, den Jhr ſchoͤner Anton aus der Daͤm-<lb/>
merung des Abends hinter der Hausthuͤr hervor in<lb/>
die Daͤmmerung fliegen geſehen haben will? Durch<lb/>
welchen Anblick er ſich, Jhrer Verſicherung zu Folge,<lb/>
aus kindiſcher und beſcheidener Neigung und Ehrfurcht,<lb/>
in eine hoͤchſt ſtraͤfliche, weder ſittlich noch buͤrgerlich<lb/></p></div></body></text></TEI>
[82/0098]
den Verkehres froh zu werden. Sie wußten, wie ſo
haͤufig arme Schuͤler aller Zeiten, nichts, als was ſie
muͤhſelig und nur deshalb erlernt hatten, weil ſie
nicht tadelnde Cenſuren heimbringen wollten. Dieſe
ihre Theilnahmloſigkeit gegen Alles, was gebildeter
Menſchen Bruſt bewegt, was auch ungebildete, doch
mit hoͤheren Anlagen ausgeſtattete Weſen, gleich
Ottilien, ſehnend ahnen; machte ſie letzterer ſo unbe-
deutend, ſetzte ſie in ihrer Meinung ſo tief herab, daß
ſie beide, wie ſchon oben angedeutet wurde, weit unter
den Korbmacherjungen ſtellte.
Das wiſſen wir ja laͤngſt, liebſter Holtei, wird
meine ſchoͤne, jugendliche Leſerin jetzt ausrufen. Das
wiſſen wir bereits zur Genuͤge. Alſo, alter Schwaͤtzer,
entwickeln Sie nicht ſo viel; gehen Sie nicht ſo lange
um Jhren pſychologiſchen Brei wie ein Kater herum;
ſondern melden Sie mir frei heraus, als ein offenher-
ziger Romanſchriftſteller, wie es mit dem zugeworfenen
Kuſſe ausſieht, den Jhr ſchoͤner Anton aus der Daͤm-
merung des Abends hinter der Hausthuͤr hervor in
die Daͤmmerung fliegen geſehen haben will? Durch
welchen Anblick er ſich, Jhrer Verſicherung zu Folge,
aus kindiſcher und beſcheidener Neigung und Ehrfurcht,
in eine hoͤchſt ſtraͤfliche, weder ſittlich noch buͤrgerlich
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 1. Breslau, 1852, S. 82. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden01_1852/98>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.