[di]e Liebste von Allen, wegen ihrer düstern und doch [m]ilden Zurückgezogenheit, blieb auch heute konsequent [u]nd hielt sich fern von ihm; was ihn beinah schmerzte. [A]ls sie ihn auf seine Garderobe zueilen sah, wandte [si]e den Rücken, sich in die ihrige zu verlieren. Son- [d]erbar, sagt' er bei'm Umkleiden zu sich selbst, dies Mädchen ist nicht mehr gar jung; auch schön ist sie [n]icht; mit Laura verglichen wenigstens nicht; dennoch übt sie auf mich einen geheimnißvollen Reiz. Je abstoßender sie sich gegen mich benimmt, desto mehr fühl' ich mich zu ihr hingezogen. Trüg' ich nicht süße Bande -- diese könnte mir gefährlich werden. Aber was hat sie gegen mich? Sie vermeidet mich recht absichtlich. Jch bin so artig und aufmerksam für sie, wie sonst keiner. Und sie.... ich muß sie doch einmal ganz ehrlich fragen, was ich ihr zu Leide gethan? Draußen fing der Lärm der Musik wieder an. Die große Pauke dröhnte durch die hölzernen Wände. Andere trieben ihre Künste.
Anton hatte seinen Spanier an den Nagel gehängt. Er saß, wie träumend davor, schaute den Putz an, als ob er staunen müßte, daß er solche Tracht getra- gen und seine anderen Kleidungsstücke in Händen haltend, zögerte er noch dieselben wieder anzulegen.
[di]e Liebſte von Allen, wegen ihrer duͤſtern und doch [m]ilden Zuruͤckgezogenheit, blieb auch heute konſequent [u]nd hielt ſich fern von ihm; was ihn beinah ſchmerzte. [A]ls ſie ihn auf ſeine Garderobe zueilen ſah, wandte [ſi]e den Ruͤcken, ſich in die ihrige zu verlieren. Son- [d]erbar, ſagt’ er bei’m Umkleiden zu ſich ſelbſt, dies Maͤdchen iſt nicht mehr gar jung; auch ſchoͤn iſt ſie [n]icht; mit Laura verglichen wenigſtens nicht; dennoch uͤbt ſie auf mich einen geheimnißvollen Reiz. Je abſtoßender ſie ſich gegen mich benimmt, deſto mehr fuͤhl’ ich mich zu ihr hingezogen. Truͤg’ ich nicht ſuͤße Bande — dieſe koͤnnte mir gefaͤhrlich werden. Aber was hat ſie gegen mich? Sie vermeidet mich recht abſichtlich. Jch bin ſo artig und aufmerkſam fuͤr ſie, wie ſonſt keiner. Und ſie.... ich muß ſie doch einmal ganz ehrlich fragen, was ich ihr zu Leide gethan? Draußen fing der Laͤrm der Muſik wieder an. Die große Pauke droͤhnte durch die hoͤlzernen Waͤnde. Andere trieben ihre Kuͤnſte.
Anton hatte ſeinen Spanier an den Nagel gehaͤngt. Er ſaß, wie traͤumend davor, ſchaute den Putz an, als ob er ſtaunen muͤßte, daß er ſolche Tracht getra- gen und ſeine anderen Kleidungsſtuͤcke in Haͤnden haltend, zoͤgerte er noch dieſelben wieder anzulegen.
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die Liebſte von Allen, wegen ihrer duͤſtern und doch
milden Zuruͤckgezogenheit, blieb auch heute konſequent
und hielt ſich fern von ihm; was ihn beinah ſchmerzte.
Als ſie ihn auf ſeine Garderobe zueilen ſah, wandte
ſie den Ruͤcken, ſich in die ihrige zu verlieren. Son-
derbar, ſagt’ er bei’m Umkleiden zu ſich ſelbſt, dies
Maͤdchen iſt nicht mehr gar jung; auch ſchoͤn iſt ſie
nicht; mit Laura verglichen wenigſtens nicht; dennoch
uͤbt ſie auf mich einen geheimnißvollen Reiz. Je
abſtoßender ſie ſich gegen mich benimmt, deſto mehr
fuͤhl’ ich mich zu ihr hingezogen. Truͤg’ ich nicht
ſuͤße Bande — dieſe koͤnnte mir gefaͤhrlich werden.
Aber was hat ſie gegen mich? Sie vermeidet mich
recht abſichtlich. Jch bin ſo artig und aufmerkſam
fuͤr ſie, wie ſonſt keiner. Und ſie.... ich muß ſie
doch einmal ganz ehrlich fragen, was ich ihr zu Leide
gethan? Draußen fing der Laͤrm der Muſik wieder an.
Die große Pauke droͤhnte durch die hoͤlzernen Waͤnde.
Andere trieben ihre Kuͤnſte.
Anton hatte ſeinen Spanier an den Nagel gehaͤngt.
Er ſaß, wie traͤumend davor, ſchaute den Putz an,
als ob er ſtaunen muͤßte, daß er ſolche Tracht getra-
gen und ſeine anderen Kleidungsſtuͤcke in Haͤnden
haltend, zoͤgerte er noch dieſelben wieder anzulegen.
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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 2. Breslau, 1852, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden02_1852/14>, abgerufen am 23.11.2024.
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