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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 2. Breslau, 1852.

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und sogar jene Ansprüche, die es auf freie Kost und
Wohnung besaß, nicht geltend machte.

So verging der Winter. Eine seltsame Existenz,
wie unser Freund sie führte: den ganzen Tag über
im kleinen Gemach, lesend, lernend, schreibend, Vio-
line spielend, -- niemals ohne Beschäftigung, stets
ohne menschlichen Umgang und Verkehr; nur seine
Wirthin sah er, wenn sie ihm das spärlich bereitete
Mahl brachte. Des Abends, wie durch einen Zauber-
stab, in bunte Flitter gehüllt, zu Rosse, vor einer
großen, lärmenden Menge, deren Anblick ihn immer
wieder auf's Neue betäubte; umrauscht von schallen-
der Musik, deren Geschmetter ihm Kopfschmerz ver-
ursachte; -- und eine Viertelstunde darauf wieder im
stillen Gemach, wieder ein Buch zur Hand, wie wenn
ihm nur geträumt hätte, vom Reiter Antoine. Und
dann, zu Nacht, das einsame Lager, um welches
wechselnde Gestalten der immer regen Einbildungs-
kraft schwebten; Gestalten wie Ottilie -- die Groß-
mutter -- Laura, -- bis auch diese verflogen, der
Einen Raum zu geben, die seiner Seele jetzt die
Nächste blieb und ihm -- ach so fern!

Adele hatte seinen Brief nicht beantwortet. Des
langen, peinvollen Harrens endlich müde, wendete er

und ſogar jene Anſpruͤche, die es auf freie Koſt und
Wohnung beſaß, nicht geltend machte.

So verging der Winter. Eine ſeltſame Exiſtenz,
wie unſer Freund ſie fuͤhrte: den ganzen Tag uͤber
im kleinen Gemach, leſend, lernend, ſchreibend, Vio-
line ſpielend, — niemals ohne Beſchaͤftigung, ſtets
ohne menſchlichen Umgang und Verkehr; nur ſeine
Wirthin ſah er, wenn ſie ihm das ſpaͤrlich bereitete
Mahl brachte. Des Abends, wie durch einen Zauber-
ſtab, in bunte Flitter gehuͤllt, zu Roſſe, vor einer
großen, laͤrmenden Menge, deren Anblick ihn immer
wieder auf’s Neue betaͤubte; umrauſcht von ſchallen-
der Muſik, deren Geſchmetter ihm Kopfſchmerz ver-
urſachte; — und eine Viertelſtunde darauf wieder im
ſtillen Gemach, wieder ein Buch zur Hand, wie wenn
ihm nur getraͤumt haͤtte, vom Reiter Antoine. Und
dann, zu Nacht, das einſame Lager, um welches
wechſelnde Geſtalten der immer regen Einbildungs-
kraft ſchwebten; Geſtalten wie Ottilie — die Groß-
mutter — Laura, — bis auch dieſe verflogen, der
Einen Raum zu geben, die ſeiner Seele jetzt die
Naͤchſte blieb und ihm — ach ſo fern!

Adele hatte ſeinen Brief nicht beantwortet. Des
langen, peinvollen Harrens endlich muͤde, wendete er

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[169/0171] und ſogar jene Anſpruͤche, die es auf freie Koſt und Wohnung beſaß, nicht geltend machte. So verging der Winter. Eine ſeltſame Exiſtenz, wie unſer Freund ſie fuͤhrte: den ganzen Tag uͤber im kleinen Gemach, leſend, lernend, ſchreibend, Vio- line ſpielend, — niemals ohne Beſchaͤftigung, ſtets ohne menſchlichen Umgang und Verkehr; nur ſeine Wirthin ſah er, wenn ſie ihm das ſpaͤrlich bereitete Mahl brachte. Des Abends, wie durch einen Zauber- ſtab, in bunte Flitter gehuͤllt, zu Roſſe, vor einer großen, laͤrmenden Menge, deren Anblick ihn immer wieder auf’s Neue betaͤubte; umrauſcht von ſchallen- der Muſik, deren Geſchmetter ihm Kopfſchmerz ver- urſachte; — und eine Viertelſtunde darauf wieder im ſtillen Gemach, wieder ein Buch zur Hand, wie wenn ihm nur getraͤumt haͤtte, vom Reiter Antoine. Und dann, zu Nacht, das einſame Lager, um welches wechſelnde Geſtalten der immer regen Einbildungs- kraft ſchwebten; Geſtalten wie Ottilie — die Groß- mutter — Laura, — bis auch dieſe verflogen, der Einen Raum zu geben, die ſeiner Seele jetzt die Naͤchſte blieb und ihm — ach ſo fern! Adele hatte ſeinen Brief nicht beantwortet. Des langen, peinvollen Harrens endlich muͤde, wendete er

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Zitationshilfe: Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 2. Breslau, 1852, S. 169. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden02_1852/171>, abgerufen am 24.11.2024.