Lektüre. Anton näherte sich dem Gardisten, als mit welchem er -- o biederer Liebenauer! -- eine Kon- versation anzuspinnen beabsichtigte, indem er ihn bescheiden fragte, ob er vielleicht ein Orientale sei, da er in's Oliven-Farbige spiele? Das war Madame Vlämert zu stark. Sie erhob das Gesicht vom Lese- buche und erkannte Antoine, den violinspielenden Reiter. Wahrscheinlich hielt sie seine an den Wachs- klumpen gerichtete Frage für verfängliche List, vermei- nend, der mit allen Hunden gehetzte Franzose habe dadurch nur ihre Aufmerksamkeit vom Buche weg auf sich lenken wollen! Denn sie wurde, -- was sie nicht übel kleidete, -- über und über roth. Daß er den Wachssoldaten für ein lebendiges Menschenkind gehal- ten, konnte ihr nicht einfallen. Sie lud ihn durch eine graziöse Bewegung des Kopfes ein, den Schau- platz zu besuchen und deutete, ohne zu sprechen, mit der Hand auf den Vorhang, durch den er sich zu schieben habe. Antoine gehorchte; mehr aus Hoch- achtung für die schöne Dame, als auf eigenen Wunsch. Er war eben so roth wie Madame Vlämert. Diese wußte nicht, was davon zu denken sei, und las weiter in Shakespeare's "Cymbeline."
Jch will mich gar nicht hinter meine Kinder-
Lektuͤre. Anton naͤherte ſich dem Gardiſten, als mit welchem er — o biederer Liebenauer! — eine Kon- verſation anzuſpinnen beabſichtigte, indem er ihn beſcheiden fragte, ob er vielleicht ein Orientale ſei, da er in’s Oliven-Farbige ſpiele? Das war Madame Vlaͤmert zu ſtark. Sie erhob das Geſicht vom Leſe- buche und erkannte Antoine, den violinſpielenden Reiter. Wahrſcheinlich hielt ſie ſeine an den Wachs- klumpen gerichtete Frage fuͤr verfaͤngliche Liſt, vermei- nend, der mit allen Hunden gehetzte Franzoſe habe dadurch nur ihre Aufmerkſamkeit vom Buche weg auf ſich lenken wollen! Denn ſie wurde, — was ſie nicht uͤbel kleidete, — uͤber und uͤber roth. Daß er den Wachsſoldaten fuͤr ein lebendiges Menſchenkind gehal- ten, konnte ihr nicht einfallen. Sie lud ihn durch eine grazioͤſe Bewegung des Kopfes ein, den Schau- platz zu beſuchen und deutete, ohne zu ſprechen, mit der Hand auf den Vorhang, durch den er ſich zu ſchieben habe. Antoine gehorchte; mehr aus Hoch- achtung fuͤr die ſchoͤne Dame, als auf eigenen Wunſch. Er war eben ſo roth wie Madame Vlaͤmert. Dieſe wußte nicht, was davon zu denken ſei, und las weiter in Shakeſpeare’s „Cymbeline.“
Jch will mich gar nicht hinter meine Kinder-
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Lektuͤre. Anton naͤherte ſich dem Gardiſten, als mit
welchem er — o biederer Liebenauer! — eine Kon-
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beſcheiden fragte, ob er vielleicht ein Orientale ſei, da
er in’s Oliven-Farbige ſpiele? Das war Madame
Vlaͤmert zu ſtark. Sie erhob das Geſicht vom Leſe-
buche und erkannte Antoine, den violinſpielenden
Reiter. Wahrſcheinlich hielt ſie ſeine an den Wachs-
klumpen gerichtete Frage fuͤr verfaͤngliche Liſt, vermei-
nend, der mit allen Hunden gehetzte Franzoſe habe
dadurch nur ihre Aufmerkſamkeit vom Buche weg auf
ſich lenken wollen! Denn ſie wurde, — was ſie nicht
uͤbel kleidete, — uͤber und uͤber roth. Daß er den
Wachsſoldaten fuͤr ein lebendiges Menſchenkind gehal-
ten, konnte ihr nicht einfallen. Sie lud ihn durch
eine grazioͤſe Bewegung des Kopfes ein, den Schau-
platz zu beſuchen und deutete, ohne zu ſprechen, mit
der Hand auf den Vorhang, durch den er ſich zu
ſchieben habe. Antoine gehorchte; mehr aus Hoch-
achtung fuͤr die ſchoͤne Dame, als auf eigenen Wunſch.
Er war eben ſo roth wie Madame Vlaͤmert. Dieſe
wußte nicht, was davon zu denken ſei, und las weiter
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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 2. Breslau, 1852, S. 212. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden02_1852/214>, abgerufen am 23.11.2024.
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