gerade in's Gesicht sehen; deshalb vermied sie wo sie wußte und konnte meine Nähe? Weil sie sich selbst nicht Kraft genug zutraute und zutrauen durfte, vor mir verborgen zu halten, was ich nicht wissen sollte? So lange hat sie ihr Geheimniß bewahrt und ich Unglücklicher muß es an's Licht bringen helfen!
Sie liebt mit vollster Gluth. Jhre äußere Ruhe ist scheinbar, erkünstelt. Jn ihr wogt und wüthet eine Welt von widersprechenden Gefühlen.
Wenn man sich's besonnen überlegt, ist's gar nicht so unnatürlich. Herr Vlämert, der beste, bravste Mann den ich kenne, und welcher seine Frau gewiß auf's Herzlichste verehrt und achtet, weiß sogar nicht angenehm vor ihr zu erscheinen, oder ihr das Leben angenehm zu machen. Er lebt nur seiner Kunst und hat sich gerade jetzt dermaßen in die Arbeit vertieft, daß er vor lauter Arbeit schon aussieht wie wenn er eine Wachsfigur wäre und sich selbst gemacht hätte! Die junge Frau an ihrer Kasse, zu wohlerzogen, zu sittsam, zu schüchtern um Gefallen zu finden am Geschwätz junger Herrn, die sie gar nicht einmal ver- steht, läßt sich darauf nicht ein; scheucht im Gegen- theil jeden, der sich etwa nähern möchte, durch ihre Strenge, mehr noch dadurch zurück, daß sie affektirt
Die Bagabunden. II. 16
gerade in’s Geſicht ſehen; deshalb vermied ſie wo ſie wußte und konnte meine Naͤhe? Weil ſie ſich ſelbſt nicht Kraft genug zutraute und zutrauen durfte, vor mir verborgen zu halten, was ich nicht wiſſen ſollte? So lange hat ſie ihr Geheimniß bewahrt und ich Ungluͤcklicher muß es an’s Licht bringen helfen!
Sie liebt mit vollſter Gluth. Jhre aͤußere Ruhe iſt ſcheinbar, erkuͤnſtelt. Jn ihr wogt und wuͤthet eine Welt von widerſprechenden Gefuͤhlen.
Wenn man ſich’s beſonnen uͤberlegt, iſt’s gar nicht ſo unnatuͤrlich. Herr Vlaͤmert, der beſte, bravſte Mann den ich kenne, und welcher ſeine Frau gewiß auf’s Herzlichſte verehrt und achtet, weiß ſogar nicht angenehm vor ihr zu erſcheinen, oder ihr das Leben angenehm zu machen. Er lebt nur ſeiner Kunſt und hat ſich gerade jetzt dermaßen in die Arbeit vertieft, daß er vor lauter Arbeit ſchon ausſieht wie wenn er eine Wachsfigur waͤre und ſich ſelbſt gemacht haͤtte! Die junge Frau an ihrer Kaſſe, zu wohlerzogen, zu ſittſam, zu ſchuͤchtern um Gefallen zu finden am Geſchwaͤtz junger Herrn, die ſie gar nicht einmal ver- ſteht, laͤßt ſich darauf nicht ein; ſcheucht im Gegen- theil jeden, der ſich etwa naͤhern moͤchte, durch ihre Strenge, mehr noch dadurch zuruͤck, daß ſie affektirt
Die Bagabunden. II. 16
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gerade in’s Geſicht ſehen; deshalb vermied ſie wo ſie
wußte und konnte meine Naͤhe? Weil ſie ſich ſelbſt
nicht Kraft genug zutraute und zutrauen durfte, vor
mir verborgen zu halten, was ich nicht wiſſen ſollte?
So lange hat ſie ihr Geheimniß bewahrt und ich
Ungluͤcklicher muß es an’s Licht bringen helfen!
Sie liebt mit vollſter Gluth. Jhre aͤußere Ruhe
iſt ſcheinbar, erkuͤnſtelt. Jn ihr wogt und wuͤthet
eine Welt von widerſprechenden Gefuͤhlen.
Wenn man ſich’s beſonnen uͤberlegt, iſt’s gar
nicht ſo unnatuͤrlich. Herr Vlaͤmert, der beſte,
bravſte Mann den ich kenne, und welcher ſeine Frau
gewiß auf’s Herzlichſte verehrt und achtet, weiß
ſogar nicht angenehm vor ihr zu erſcheinen, oder ihr
das Leben angenehm zu machen. Er lebt nur ſeiner
Kunſt und hat ſich gerade jetzt dermaßen in die Arbeit
vertieft, daß er vor lauter Arbeit ſchon ausſieht wie
wenn er eine Wachsfigur waͤre und ſich ſelbſt gemacht
haͤtte! Die junge Frau an ihrer Kaſſe, zu wohlerzogen,
zu ſittſam, zu ſchuͤchtern um Gefallen zu finden am
Geſchwaͤtz junger Herrn, die ſie gar nicht einmal ver-
ſteht, laͤßt ſich darauf nicht ein; ſcheucht im Gegen-
theil jeden, der ſich etwa naͤhern moͤchte, durch ihre
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Die Bagabunden. II. 16
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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 2. Breslau, 1852, S. 241. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden02_1852/243>, abgerufen am 23.11.2024.
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