Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 2. Breslau, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

maßen vorüberging, an einen Baum lehnen. Dadurch
gewann der vor ihm Gehende so viel Vorsprung, daß
Anton, nachdem er sich leidlich erholt, nichts mehr
von ihm hörte. Er beschleunigte nun seinen Gang
und eilte, was er konnte, bis er das Haus erreicht.
Jm Erdgeschoß waren die Laden geschlossen; es
herrschte nächtliche Ruhe. Oben schimmerte Licht aus
einem halbgeöffneten Fensterflügel, den man, wie es
schien, nicht fest zugewirbelt und mit welchem der
Luftzug leise spielte. Anton wußte durchaus nicht,
wie er am klügsten verfahren sollte. Gerade darum
that er, ohne Vorbedacht, das Zweckmäßigste: er
unterließ jedes Zeichen, wodurch seine Gegenwart
hätte kund werden können, und erkletterte eine Pap-
pel, die zwanzig Schritte vom Hause entfernt, dem
halboffenen Fenster gegenüber, sich erhob. Erst als er
hoch genug war, das Lager des Feindes übersehen zu
können, wendete er sich ihm zu. Seine Vorgefühle
hatten ihn nicht getäuscht: Herr Amelot war
zugegen.

Wenn nun Dieser oder Jener von meinen Lesern
vermuthet, die Entdeckung habe dem Betrogenen
wehe gethan, so ist er, -- was den Moment betrifft
wenigstens, -- im Jrrthum. Das Erste was Anton

maßen voruͤberging, an einen Baum lehnen. Dadurch
gewann der vor ihm Gehende ſo viel Vorſprung, daß
Anton, nachdem er ſich leidlich erholt, nichts mehr
von ihm hoͤrte. Er beſchleunigte nun ſeinen Gang
und eilte, was er konnte, bis er das Haus erreicht.
Jm Erdgeſchoß waren die Laden geſchloſſen; es
herrſchte naͤchtliche Ruhe. Oben ſchimmerte Licht aus
einem halbgeoͤffneten Fenſterfluͤgel, den man, wie es
ſchien, nicht feſt zugewirbelt und mit welchem der
Luftzug leiſe ſpielte. Anton wußte durchaus nicht,
wie er am kluͤgſten verfahren ſollte. Gerade darum
that er, ohne Vorbedacht, das Zweckmaͤßigſte: er
unterließ jedes Zeichen, wodurch ſeine Gegenwart
haͤtte kund werden koͤnnen, und erkletterte eine Pap-
pel, die zwanzig Schritte vom Hauſe entfernt, dem
halboffenen Fenſter gegenuͤber, ſich erhob. Erſt als er
hoch genug war, das Lager des Feindes uͤberſehen zu
koͤnnen, wendete er ſich ihm zu. Seine Vorgefuͤhle
hatten ihn nicht getaͤuſcht: Herr Amelot war
zugegen.

Wenn nun Dieſer oder Jener von meinen Leſern
vermuthet, die Entdeckung habe dem Betrogenen
wehe gethan, ſo iſt er, — was den Moment betrifft
wenigſtens, — im Jrrthum. Das Erſte was Anton

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0052" n="50"/>
maßen voru&#x0364;berging, an einen Baum lehnen. Dadurch<lb/>
gewann der vor ihm Gehende &#x017F;o viel Vor&#x017F;prung, daß<lb/>
Anton, nachdem er &#x017F;ich leidlich erholt, nichts mehr<lb/>
von ihm ho&#x0364;rte. Er be&#x017F;chleunigte nun &#x017F;einen Gang<lb/>
und eilte, was er konnte, bis er das Haus erreicht.<lb/>
Jm Erdge&#x017F;choß waren die Laden ge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en; es<lb/>
herr&#x017F;chte na&#x0364;chtliche Ruhe. Oben &#x017F;chimmerte Licht aus<lb/>
einem halbgeo&#x0364;ffneten Fen&#x017F;terflu&#x0364;gel, den man, wie es<lb/>
&#x017F;chien, nicht fe&#x017F;t zugewirbelt und mit welchem der<lb/>
Luftzug lei&#x017F;e &#x017F;pielte. Anton wußte durchaus nicht,<lb/>
wie er am klu&#x0364;g&#x017F;ten verfahren &#x017F;ollte. Gerade darum<lb/>
that er, ohne Vorbedacht, das Zweckma&#x0364;ßig&#x017F;te: er<lb/>
unterließ jedes Zeichen, wodurch &#x017F;eine Gegenwart<lb/>
ha&#x0364;tte kund werden ko&#x0364;nnen, und erkletterte eine Pap-<lb/>
pel, die zwanzig Schritte vom Hau&#x017F;e entfernt, dem<lb/>
halboffenen Fen&#x017F;ter gegenu&#x0364;ber, &#x017F;ich erhob. Er&#x017F;t als er<lb/>
hoch genug war, das Lager des Feindes u&#x0364;ber&#x017F;ehen zu<lb/>
ko&#x0364;nnen, wendete er &#x017F;ich ihm zu. Seine Vorgefu&#x0364;hle<lb/>
hatten ihn nicht geta&#x0364;u&#x017F;cht: Herr Amelot war<lb/>
zugegen.</p><lb/>
        <p>Wenn nun Die&#x017F;er oder Jener von meinen Le&#x017F;ern<lb/>
vermuthet, die Entdeckung habe dem Betrogenen<lb/>
wehe gethan, &#x017F;o i&#x017F;t er, &#x2014; was den Moment betrifft<lb/>
wenig&#x017F;tens, &#x2014; im Jrrthum. Das Er&#x017F;te was Anton<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[50/0052] maßen voruͤberging, an einen Baum lehnen. Dadurch gewann der vor ihm Gehende ſo viel Vorſprung, daß Anton, nachdem er ſich leidlich erholt, nichts mehr von ihm hoͤrte. Er beſchleunigte nun ſeinen Gang und eilte, was er konnte, bis er das Haus erreicht. Jm Erdgeſchoß waren die Laden geſchloſſen; es herrſchte naͤchtliche Ruhe. Oben ſchimmerte Licht aus einem halbgeoͤffneten Fenſterfluͤgel, den man, wie es ſchien, nicht feſt zugewirbelt und mit welchem der Luftzug leiſe ſpielte. Anton wußte durchaus nicht, wie er am kluͤgſten verfahren ſollte. Gerade darum that er, ohne Vorbedacht, das Zweckmaͤßigſte: er unterließ jedes Zeichen, wodurch ſeine Gegenwart haͤtte kund werden koͤnnen, und erkletterte eine Pap- pel, die zwanzig Schritte vom Hauſe entfernt, dem halboffenen Fenſter gegenuͤber, ſich erhob. Erſt als er hoch genug war, das Lager des Feindes uͤberſehen zu koͤnnen, wendete er ſich ihm zu. Seine Vorgefuͤhle hatten ihn nicht getaͤuſcht: Herr Amelot war zugegen. Wenn nun Dieſer oder Jener von meinen Leſern vermuthet, die Entdeckung habe dem Betrogenen wehe gethan, ſo iſt er, — was den Moment betrifft wenigſtens, — im Jrrthum. Das Erſte was Anton

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden02_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden02_1852/52
Zitationshilfe: Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 2. Breslau, 1852, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden02_1852/52>, abgerufen am 09.11.2024.