Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 2. Breslau, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

lesen, was nach meinem Argwohn schmeckt. Da steht
nichts drinn, als Ehrlichkeit, Treue und Sittsamkeit.
Und doch .... na, die Welt dreht sich um, das muß
ich sagen. Solche Edition von einer Kunstreiterin
ist unerhört.

Jhren Rekonvaleszenten zum ersten Ausgange zu
bewegen, hatte der Jartour unendliche Mühe gemacht.
Denn er fand sich gar häßlich. Die von dem scharfen
Messer des Wundarztes glatt abgeschorenen Locken
wuchsen nur sehr langsam nach. Seine Haare hatten
einen Hauptbestandtheil jener Eitelkeit, die ihn sonst
bisweilen vor den Spiegel geführt, abgegeben. Jetzt
wich er dem eigenen Anblick möglichst aus. Jch bin
ganz unkenntlich, rief er fast betrübt. "Desto besser,"
wendete ihm Adele, gutmüthig scherzend, dawider
ein; "so wird niemand wissen, daß es der schöne
Antoine ist, den er erblickt und Sie können sich dreist
unter die Menge mischen, wie auf einem maskirten
Ball."

Wir erinnern uns aus dem ersten Theile dieses
Buch's an einen Abend wo Genoveva in Liebenau
dargestellt wurde. Seit jenem Abende hatte Anton
unterschiedlichen theatralischen Aufführungen bei-

Die Bagabunden. II. 5

leſen, was nach meinem Argwohn ſchmeckt. Da ſteht
nichts drinn, als Ehrlichkeit, Treue und Sittſamkeit.
Und doch .... na, die Welt dreht ſich um, das muß
ich ſagen. Solche Edition von einer Kunſtreiterin
iſt unerhoͤrt.

Jhren Rekonvaleszenten zum erſten Ausgange zu
bewegen, hatte der Jartour unendliche Muͤhe gemacht.
Denn er fand ſich gar haͤßlich. Die von dem ſcharfen
Meſſer des Wundarztes glatt abgeſchorenen Locken
wuchſen nur ſehr langſam nach. Seine Haare hatten
einen Hauptbeſtandtheil jener Eitelkeit, die ihn ſonſt
bisweilen vor den Spiegel gefuͤhrt, abgegeben. Jetzt
wich er dem eigenen Anblick moͤglichſt aus. Jch bin
ganz unkenntlich, rief er faſt betruͤbt. „Deſto beſſer,“
wendete ihm Adele, gutmuͤthig ſcherzend, dawider
ein; „ſo wird niemand wiſſen, daß es der ſchoͤne
Antoine iſt, den er erblickt und Sie koͤnnen ſich dreiſt
unter die Menge miſchen, wie auf einem maskirten
Ball.“

Wir erinnern uns aus dem erſten Theile dieſes
Buch’s an einen Abend wo Genoveva in Liebenau
dargeſtellt wurde. Seit jenem Abende hatte Anton
unterſchiedlichen theatraliſchen Auffuͤhrungen bei-

Die Bagabunden. II. 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0067" n="65"/>
le&#x017F;en, was nach meinem Argwohn &#x017F;chmeckt. Da &#x017F;teht<lb/>
nichts drinn, als Ehrlichkeit, Treue und Sitt&#x017F;amkeit.<lb/>
Und doch .... na, die Welt dreht &#x017F;ich um, das muß<lb/>
ich &#x017F;agen. Solche Edition von einer Kun&#x017F;treiterin<lb/>
i&#x017F;t unerho&#x0364;rt.</p><lb/>
        <p>Jhren Rekonvaleszenten zum er&#x017F;ten Ausgange zu<lb/>
bewegen, hatte der Jartour unendliche Mu&#x0364;he gemacht.<lb/>
Denn er fand &#x017F;ich gar ha&#x0364;ßlich. Die von dem &#x017F;charfen<lb/>
Me&#x017F;&#x017F;er des Wundarztes glatt abge&#x017F;chorenen Locken<lb/>
wuch&#x017F;en nur &#x017F;ehr lang&#x017F;am nach. Seine Haare hatten<lb/>
einen Hauptbe&#x017F;tandtheil jener Eitelkeit, die ihn &#x017F;on&#x017F;t<lb/>
bisweilen vor den Spiegel gefu&#x0364;hrt, abgegeben. Jetzt<lb/>
wich er dem eigenen Anblick mo&#x0364;glich&#x017F;t aus. Jch bin<lb/>
ganz unkenntlich, rief er fa&#x017F;t betru&#x0364;bt. &#x201E;De&#x017F;to be&#x017F;&#x017F;er,&#x201C;<lb/>
wendete ihm Adele, gutmu&#x0364;thig &#x017F;cherzend, dawider<lb/>
ein; &#x201E;&#x017F;o wird niemand wi&#x017F;&#x017F;en, daß es der &#x017F;cho&#x0364;ne<lb/>
Antoine i&#x017F;t, den er erblickt und Sie ko&#x0364;nnen &#x017F;ich drei&#x017F;t<lb/>
unter die Menge mi&#x017F;chen, wie auf einem maskirten<lb/>
Ball.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Wir erinnern uns aus dem er&#x017F;ten Theile die&#x017F;es<lb/>
Buch&#x2019;s an einen Abend wo Genoveva in Liebenau<lb/>
darge&#x017F;tellt wurde. Seit jenem Abende hatte Anton<lb/>
unter&#x017F;chiedlichen theatrali&#x017F;chen Auffu&#x0364;hrungen bei-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">Die Bagabunden. <hi rendition="#aq">II.</hi> 5</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[65/0067] leſen, was nach meinem Argwohn ſchmeckt. Da ſteht nichts drinn, als Ehrlichkeit, Treue und Sittſamkeit. Und doch .... na, die Welt dreht ſich um, das muß ich ſagen. Solche Edition von einer Kunſtreiterin iſt unerhoͤrt. Jhren Rekonvaleszenten zum erſten Ausgange zu bewegen, hatte der Jartour unendliche Muͤhe gemacht. Denn er fand ſich gar haͤßlich. Die von dem ſcharfen Meſſer des Wundarztes glatt abgeſchorenen Locken wuchſen nur ſehr langſam nach. Seine Haare hatten einen Hauptbeſtandtheil jener Eitelkeit, die ihn ſonſt bisweilen vor den Spiegel gefuͤhrt, abgegeben. Jetzt wich er dem eigenen Anblick moͤglichſt aus. Jch bin ganz unkenntlich, rief er faſt betruͤbt. „Deſto beſſer,“ wendete ihm Adele, gutmuͤthig ſcherzend, dawider ein; „ſo wird niemand wiſſen, daß es der ſchoͤne Antoine iſt, den er erblickt und Sie koͤnnen ſich dreiſt unter die Menge miſchen, wie auf einem maskirten Ball.“ Wir erinnern uns aus dem erſten Theile dieſes Buch’s an einen Abend wo Genoveva in Liebenau dargeſtellt wurde. Seit jenem Abende hatte Anton unterſchiedlichen theatraliſchen Auffuͤhrungen bei- Die Bagabunden. II. 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden02_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden02_1852/67
Zitationshilfe: Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 2. Breslau, 1852, S. 65. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden02_1852/67>, abgerufen am 09.11.2024.