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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 2. Breslau, 1852.

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drücken. Anton aber hatte weder Ente, noch Pfote
eines Blickes gewürdiget; die großen Augen des
neunjährigen Knaben waren unausgesetzt auf dem
alten schmutzigen Mann heften geblieben, der wie er
glaubte den Heiland kreuzigen helfen. Heimgekehrt
befragte er dringend seine Großmutter, warum denn
auch solche Mörder frei umherlaufen und sogar drei-
beinige Enten besitzen dürften, während doch die
rechtschaffensten Christen sich mit zweibeinigen zufrie-
den stellen müßten; derer nicht zu gedenken, die gleich
ihnen, gar keine besäßen? Worauf Mutter Goksch
den Fragenden an die unbegreifliche Langmüthigkeit
Gottes verwiesen, welche ausnahmsweise dergleichen
bisweilen dulde. Diese göttliche Langmüthigkeit war
ihm späterhin, namentlich während des Aufenthaltes
im Polnischen, höchst ausgedehnt erschienen, wo es
von Juden rings um ihn her wimmelte und mitunter
von solchen, die an äußerer Armuth noch weit hinter
dem ehemaligen Entenbesitzer zurückblieben. Jn
nähere Berührung war er mit keinem derselben
gerathen. Ein Jude blieb ihm etwas Exotisches.
Deshalb kam ihm auch unerklärlich vor, wie man
einen solchen zur Hauptperson eines Drama's machen
könne. Dies Befremden theilte er seinem Arzte mit,

5*

druͤcken. Anton aber hatte weder Ente, noch Pfote
eines Blickes gewuͤrdiget; die großen Augen des
neunjaͤhrigen Knaben waren unausgeſetzt auf dem
alten ſchmutzigen Mann heften geblieben, der wie er
glaubte den Heiland kreuzigen helfen. Heimgekehrt
befragte er dringend ſeine Großmutter, warum denn
auch ſolche Moͤrder frei umherlaufen und ſogar drei-
beinige Enten beſitzen duͤrften, waͤhrend doch die
rechtſchaffenſten Chriſten ſich mit zweibeinigen zufrie-
den ſtellen muͤßten; derer nicht zu gedenken, die gleich
ihnen, gar keine beſaͤßen? Worauf Mutter Gokſch
den Fragenden an die unbegreifliche Langmuͤthigkeit
Gottes verwieſen, welche ausnahmsweiſe dergleichen
bisweilen dulde. Dieſe goͤttliche Langmuͤthigkeit war
ihm ſpaͤterhin, namentlich waͤhrend des Aufenthaltes
im Polniſchen, hoͤchſt ausgedehnt erſchienen, wo es
von Juden rings um ihn her wimmelte und mitunter
von ſolchen, die an aͤußerer Armuth noch weit hinter
dem ehemaligen Entenbeſitzer zuruͤckblieben. Jn
naͤhere Beruͤhrung war er mit keinem derſelben
gerathen. Ein Jude blieb ihm etwas Exotiſches.
Deshalb kam ihm auch unerklaͤrlich vor, wie man
einen ſolchen zur Hauptperſon eines Drama’s machen
koͤnne. Dies Befremden theilte er ſeinem Arzte mit,

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[67/0069] druͤcken. Anton aber hatte weder Ente, noch Pfote eines Blickes gewuͤrdiget; die großen Augen des neunjaͤhrigen Knaben waren unausgeſetzt auf dem alten ſchmutzigen Mann heften geblieben, der wie er glaubte den Heiland kreuzigen helfen. Heimgekehrt befragte er dringend ſeine Großmutter, warum denn auch ſolche Moͤrder frei umherlaufen und ſogar drei- beinige Enten beſitzen duͤrften, waͤhrend doch die rechtſchaffenſten Chriſten ſich mit zweibeinigen zufrie- den ſtellen muͤßten; derer nicht zu gedenken, die gleich ihnen, gar keine beſaͤßen? Worauf Mutter Gokſch den Fragenden an die unbegreifliche Langmuͤthigkeit Gottes verwieſen, welche ausnahmsweiſe dergleichen bisweilen dulde. Dieſe goͤttliche Langmuͤthigkeit war ihm ſpaͤterhin, namentlich waͤhrend des Aufenthaltes im Polniſchen, hoͤchſt ausgedehnt erſchienen, wo es von Juden rings um ihn her wimmelte und mitunter von ſolchen, die an aͤußerer Armuth noch weit hinter dem ehemaligen Entenbeſitzer zuruͤckblieben. Jn naͤhere Beruͤhrung war er mit keinem derſelben gerathen. Ein Jude blieb ihm etwas Exotiſches. Deshalb kam ihm auch unerklaͤrlich vor, wie man einen ſolchen zur Hauptperſon eines Drama’s machen koͤnne. Dies Befremden theilte er ſeinem Arzte mit, 5*

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Zitationshilfe: Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 2. Breslau, 1852, S. 67. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden02_1852/69>, abgerufen am 23.05.2024.