"Liegt es an meinem schlechten Gewissen, -- denn Unrecht bleibt es, das muß ich selbst gestehen, ein Mädchen im Schlafgemach also zu belauschen; -- oder liegt es daran, daß ihre körperlichen Vorzüge mir gefährlich zu werden anfangen? ich empfinde neben dem Groll, der mich bisher gegen sie schweigen ließ, jetzt auch einige Verlegenheit. Je mehr sie meine Phantasie des Abends und bei Nacht beschäftiget, desto mehr such' ich ihr den Tag über auszuweichen. Uebri- gens kann das nicht so fortdauern und ein Ende muß gemacht werden. Das Einfachste und Leichteste wäre allerdings, daß ich mich erklärte; daß ich dem Vater eröffnete: ich will Jhren Wunsch erfüllen. Damit wäre auch der Adelheid geholfen, die nicht weiß, wie sie sich dreh'n und winden soll, um ihre Liebe zu beherrschen. Sie seufzt manmal so aus dem Tiefsten heraus, daß ich förmlich erschrecke; dann wird sie's gewahr und erschrickt auch; und dann macht sie sich im Stalle, oder sonst wo zu schaffen, daß sie mir nur aus den Augen kommt. Der Vater wartet nur auf mein erstes Wort; er ist zu zartfühlend, sie mir wie- derholt anzutragen. Jch sehe deutlich, wie er oft gern reden möchte und es wieder hinunter schluckt.
Vom 13. Dezember.
„Liegt es an meinem ſchlechten Gewiſſen, — denn Unrecht bleibt es, das muß ich ſelbſt geſtehen, ein Maͤdchen im Schlafgemach alſo zu belauſchen; — oder liegt es daran, daß ihre koͤrperlichen Vorzuͤge mir gefaͤhrlich zu werden anfangen? ich empfinde neben dem Groll, der mich bisher gegen ſie ſchweigen ließ, jetzt auch einige Verlegenheit. Je mehr ſie meine Phantaſie des Abends und bei Nacht beſchaͤftiget, deſto mehr ſuch’ ich ihr den Tag uͤber auszuweichen. Uebri- gens kann das nicht ſo fortdauern und ein Ende muß gemacht werden. Das Einfachſte und Leichteſte waͤre allerdings, daß ich mich erklaͤrte; daß ich dem Vater eroͤffnete: ich will Jhren Wunſch erfuͤllen. Damit waͤre auch der Adelheid geholfen, die nicht weiß, wie ſie ſich dreh’n und winden ſoll, um ihre Liebe zu beherrſchen. Sie ſeufzt manmal ſo aus dem Tiefſten heraus, daß ich foͤrmlich erſchrecke; dann wird ſie’s gewahr und erſchrickt auch; und dann macht ſie ſich im Stalle, oder ſonſt wo zu ſchaffen, daß ſie mir nur aus den Augen kommt. Der Vater wartet nur auf mein erſtes Wort; er iſt zu zartfuͤhlend, ſie mir wie- derholt anzutragen. Jch ſehe deutlich, wie er oft gern reden moͤchte und es wieder hinunter ſchluckt.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0128"n="124"/><divtype="diaryEntry"><dateline><hirendition="#et">Vom 13. Dezember.</hi></dateline><lb/><p>„Liegt es an meinem ſchlechten Gewiſſen, — denn<lb/>
Unrecht bleibt es, das muß ich ſelbſt geſtehen, ein<lb/>
Maͤdchen im Schlafgemach alſo zu belauſchen; —<lb/>
oder liegt es daran, daß ihre koͤrperlichen Vorzuͤge<lb/>
mir gefaͤhrlich zu werden anfangen? ich empfinde<lb/>
neben dem Groll, der mich bisher gegen ſie ſchweigen<lb/>
ließ, jetzt auch einige Verlegenheit. Je mehr ſie meine<lb/>
Phantaſie des Abends und bei Nacht beſchaͤftiget, deſto<lb/>
mehr ſuch’ ich ihr den Tag uͤber auszuweichen. Uebri-<lb/>
gens kann das nicht ſo fortdauern und ein Ende muß<lb/>
gemacht werden. Das Einfachſte und Leichteſte waͤre<lb/>
allerdings, daß ich mich erklaͤrte; daß ich dem Vater<lb/>
eroͤffnete: ich will Jhren Wunſch erfuͤllen. Damit<lb/>
waͤre auch der Adelheid geholfen, die nicht weiß, wie<lb/>ſie ſich dreh’n und winden ſoll, um ihre Liebe zu<lb/>
beherrſchen. Sie ſeufzt manmal ſo aus dem Tiefſten<lb/>
heraus, daß ich foͤrmlich erſchrecke; dann wird ſie’s<lb/>
gewahr und erſchrickt auch; und dann macht ſie ſich<lb/>
im Stalle, oder ſonſt wo zu ſchaffen, daß ſie mir nur<lb/>
aus den Augen kommt. Der Vater wartet nur auf<lb/>
mein erſtes Wort; er iſt zu zartfuͤhlend, ſie mir wie-<lb/>
derholt anzutragen. Jch ſehe deutlich, wie er oft gern<lb/>
reden moͤchte und es wieder hinunter ſchluckt.</p><lb/></div></div></div></body></text></TEI>
[124/0128]
Vom 13. Dezember.
„Liegt es an meinem ſchlechten Gewiſſen, — denn
Unrecht bleibt es, das muß ich ſelbſt geſtehen, ein
Maͤdchen im Schlafgemach alſo zu belauſchen; —
oder liegt es daran, daß ihre koͤrperlichen Vorzuͤge
mir gefaͤhrlich zu werden anfangen? ich empfinde
neben dem Groll, der mich bisher gegen ſie ſchweigen
ließ, jetzt auch einige Verlegenheit. Je mehr ſie meine
Phantaſie des Abends und bei Nacht beſchaͤftiget, deſto
mehr ſuch’ ich ihr den Tag uͤber auszuweichen. Uebri-
gens kann das nicht ſo fortdauern und ein Ende muß
gemacht werden. Das Einfachſte und Leichteſte waͤre
allerdings, daß ich mich erklaͤrte; daß ich dem Vater
eroͤffnete: ich will Jhren Wunſch erfuͤllen. Damit
waͤre auch der Adelheid geholfen, die nicht weiß, wie
ſie ſich dreh’n und winden ſoll, um ihre Liebe zu
beherrſchen. Sie ſeufzt manmal ſo aus dem Tiefſten
heraus, daß ich foͤrmlich erſchrecke; dann wird ſie’s
gewahr und erſchrickt auch; und dann macht ſie ſich
im Stalle, oder ſonſt wo zu ſchaffen, daß ſie mir nur
aus den Augen kommt. Der Vater wartet nur auf
mein erſtes Wort; er iſt zu zartfuͤhlend, ſie mir wie-
derholt anzutragen. Jch ſehe deutlich, wie er oft gern
reden moͤchte und es wieder hinunter ſchluckt.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 3. Breslau, 1852, S. 124. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden03_1852/128>, abgerufen am 26.05.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.