Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 4. Breslau, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

"Du versprachst mir Ruhe, Mutter; Gottlob,
nun find' ich sie."

Nachdem er es gemurmelt, verlor er die Besinnung.



Als er wieder zu sich kam, stand die Sonne schon
ziemlich hoch. Seine Wunde blutete, er fühlte
sich unendlich matt, aber dabei fühlte er auch, daß er
nicht daran sterben dürfe, wenn ihm Hülfe zu Theil
werde, eh' es zu spät sei. Doch woher sollte hier die
Hülfe kommen? Kein lebendiges Wesen zeigte sich,
außer den kleinen Waldvögelein, die neugierig um ihn
herflatterten und sanfte Klagetöne ausstießen, wie
wenn sie Mitleid mit ihm hätten. Der Schmerz, den
die Wunde ihm verursachte, wurde mit jeder Minute
heftiger, schien aber gering, gegen den Schmerz ver-
glichen, den seine Seele fühlte über des feigen Mör-
ders That.

Jeder Versuch, sich aufzurichten, mißlang. Ein
Tuch, gegen die Wunde gepreßt, saugte sich an und
hemmte die Blutung.

So lag er nun und ergab sich in's Unvermeid-
liche. Ohne bewußtlos zu sein, verfiel er in jene
Apathie der Entsagung, wo jedes Bestreben endet,
wo jeder Wunsch erlischt, wo fröstelndes Fieber mit halb

„Du verſprachſt mir Ruhe, Mutter; Gottlob,
nun find’ ich ſie.“

Nachdem er es gemurmelt, verlor er die Beſinnung.



Als er wieder zu ſich kam, ſtand die Sonne ſchon
ziemlich hoch. Seine Wunde blutete, er fuͤhlte
ſich unendlich matt, aber dabei fuͤhlte er auch, daß er
nicht daran ſterben duͤrfe, wenn ihm Huͤlfe zu Theil
werde, eh’ es zu ſpaͤt ſei. Doch woher ſollte hier die
Huͤlfe kommen? Kein lebendiges Weſen zeigte ſich,
außer den kleinen Waldvoͤgelein, die neugierig um ihn
herflatterten und ſanfte Klagetoͤne ausſtießen, wie
wenn ſie Mitleid mit ihm haͤtten. Der Schmerz, den
die Wunde ihm verurſachte, wurde mit jeder Minute
heftiger, ſchien aber gering, gegen den Schmerz ver-
glichen, den ſeine Seele fuͤhlte uͤber des feigen Moͤr-
ders That.

Jeder Verſuch, ſich aufzurichten, mißlang. Ein
Tuch, gegen die Wunde gepreßt, ſaugte ſich an und
hemmte die Blutung.

So lag er nun und ergab ſich in’s Unvermeid-
liche. Ohne bewußtlos zu ſein, verfiel er in jene
Apathie der Entſagung, wo jedes Beſtreben endet,
wo jeder Wunſch erliſcht, wo froͤſtelndes Fieber mit halb

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0045" n="41"/>
        <p>&#x201E;Du ver&#x017F;prach&#x017F;t mir Ruhe, Mutter; Gottlob,<lb/>
nun find&#x2019; ich &#x017F;ie.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Nachdem er es gemurmelt, verlor er die Be&#x017F;innung.</p><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <p>Als er wieder zu &#x017F;ich kam, &#x017F;tand die Sonne &#x017F;chon<lb/>
ziemlich hoch. Seine Wunde blutete, er fu&#x0364;hlte<lb/>
&#x017F;ich unendlich matt, aber dabei fu&#x0364;hlte er auch, daß er<lb/>
nicht daran &#x017F;terben du&#x0364;rfe, wenn ihm Hu&#x0364;lfe zu Theil<lb/>
werde, eh&#x2019; es zu &#x017F;pa&#x0364;t &#x017F;ei. Doch woher &#x017F;ollte hier die<lb/>
Hu&#x0364;lfe kommen? Kein lebendiges We&#x017F;en zeigte &#x017F;ich,<lb/>
außer den kleinen Waldvo&#x0364;gelein, die neugierig um ihn<lb/>
herflatterten und &#x017F;anfte Klageto&#x0364;ne aus&#x017F;tießen, wie<lb/>
wenn &#x017F;ie Mitleid mit ihm ha&#x0364;tten. Der Schmerz, den<lb/>
die Wunde ihm verur&#x017F;achte, wurde mit jeder Minute<lb/>
heftiger, &#x017F;chien aber gering, gegen den Schmerz ver-<lb/>
glichen, den &#x017F;eine Seele fu&#x0364;hlte u&#x0364;ber des feigen Mo&#x0364;r-<lb/>
ders That.</p><lb/>
        <p>Jeder Ver&#x017F;uch, &#x017F;ich aufzurichten, mißlang. Ein<lb/>
Tuch, gegen die Wunde gepreßt, &#x017F;augte &#x017F;ich an und<lb/>
hemmte die Blutung.</p><lb/>
        <p>So lag er nun und ergab &#x017F;ich in&#x2019;s Unvermeid-<lb/>
liche. Ohne bewußtlos zu &#x017F;ein, verfiel er in jene<lb/>
Apathie der Ent&#x017F;agung, wo jedes Be&#x017F;treben endet,<lb/>
wo jeder Wun&#x017F;ch erli&#x017F;cht, wo fro&#x0364;&#x017F;telndes Fieber mit halb<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[41/0045] „Du verſprachſt mir Ruhe, Mutter; Gottlob, nun find’ ich ſie.“ Nachdem er es gemurmelt, verlor er die Beſinnung. Als er wieder zu ſich kam, ſtand die Sonne ſchon ziemlich hoch. Seine Wunde blutete, er fuͤhlte ſich unendlich matt, aber dabei fuͤhlte er auch, daß er nicht daran ſterben duͤrfe, wenn ihm Huͤlfe zu Theil werde, eh’ es zu ſpaͤt ſei. Doch woher ſollte hier die Huͤlfe kommen? Kein lebendiges Weſen zeigte ſich, außer den kleinen Waldvoͤgelein, die neugierig um ihn herflatterten und ſanfte Klagetoͤne ausſtießen, wie wenn ſie Mitleid mit ihm haͤtten. Der Schmerz, den die Wunde ihm verurſachte, wurde mit jeder Minute heftiger, ſchien aber gering, gegen den Schmerz ver- glichen, den ſeine Seele fuͤhlte uͤber des feigen Moͤr- ders That. Jeder Verſuch, ſich aufzurichten, mißlang. Ein Tuch, gegen die Wunde gepreßt, ſaugte ſich an und hemmte die Blutung. So lag er nun und ergab ſich in’s Unvermeid- liche. Ohne bewußtlos zu ſein, verfiel er in jene Apathie der Entſagung, wo jedes Beſtreben endet, wo jeder Wunſch erliſcht, wo froͤſtelndes Fieber mit halb

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden04_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden04_1852/45
Zitationshilfe: Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 4. Breslau, 1852, S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden04_1852/45>, abgerufen am 21.11.2024.