Namenlose Angst bemächtigte sich seiner. Eiligst will er das Haus verlassen .... an der Vorderthür tritt sie ihm entgegen. Kaum erkennt er sie, so auf- fallend hat sie gealtert. Groß, mager, bleich, wie ein Gespenst steht sie vor ihm. Sein Anblick über- fliegt ihr Antlitz mit einem Purpurschein der Freude; sie verjüngt sich, wie durch Zauber. Doch verräth sonst kein Ausruf, keine übereilte Bewegung, was in ihr vorgeht. Lächelnd reicht sie ihm nur die Hand und wie wenn sie sich gestern getrennt hätten, spricht sie freundlich:
Nun, Anton Hahn, seid Jhr wieder in Liebenau?
"Fräulein Ottilie -- gnädige Baronesse -- ich bin so erfreut ... und Sie in diesem Häuschen? Die- ses Glück für mich ...."
Schwatzt keinen Unsinn, Anton. Es war ein Glück für mich, in diesem Hause wohnen zu können; ich hab' es gemiethet, es ist passend für eine alte Jungfer. Nun kehrt Jhr zurück, wollt Euer Eigen- thum in Beschlag nehmen -- und ich werd' es räu- men. Darauf bin ich schon vorbereitet, denn ich dachte mir's, Jhr würdet über kurz oder lang wieder heim- kehren. Laßt mir Zeit bis morgen. Jch zieh' aus Liebenau fort. Meine Anstalten sind getroffen.
Namenloſe Angſt bemaͤchtigte ſich ſeiner. Eiligſt will er das Haus verlaſſen .... an der Vorderthuͤr tritt ſie ihm entgegen. Kaum erkennt er ſie, ſo auf- fallend hat ſie gealtert. Groß, mager, bleich, wie ein Geſpenſt ſteht ſie vor ihm. Sein Anblick uͤber- fliegt ihr Antlitz mit einem Purpurſchein der Freude; ſie verjuͤngt ſich, wie durch Zauber. Doch verraͤth ſonſt kein Ausruf, keine uͤbereilte Bewegung, was in ihr vorgeht. Laͤchelnd reicht ſie ihm nur die Hand und wie wenn ſie ſich geſtern getrennt haͤtten, ſpricht ſie freundlich:
Nun, Anton Hahn, ſeid Jhr wieder in Liebenau?
„Fraͤulein Ottilie — gnaͤdige Baroneſſe — ich bin ſo erfreut ... und Sie in dieſem Haͤuschen? Die- ſes Gluͤck fuͤr mich ....“
Schwatzt keinen Unſinn, Anton. Es war ein Gluͤck fuͤr mich, in dieſem Hauſe wohnen zu koͤnnen; ich hab’ es gemiethet, es iſt paſſend fuͤr eine alte Jungfer. Nun kehrt Jhr zuruͤck, wollt Euer Eigen- thum in Beſchlag nehmen — und ich werd’ es raͤu- men. Darauf bin ich ſchon vorbereitet, denn ich dachte mir’s, Jhr wuͤrdet uͤber kurz oder lang wieder heim- kehren. Laßt mir Zeit bis morgen. Jch zieh’ aus Liebenau fort. Meine Anſtalten ſind getroffen.
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Namenloſe Angſt bemaͤchtigte ſich ſeiner. Eiligſt
will er das Haus verlaſſen .... an der Vorderthuͤr
tritt ſie ihm entgegen. Kaum erkennt er ſie, ſo auf-
fallend hat ſie gealtert. Groß, mager, bleich, wie
ein Geſpenſt ſteht ſie vor ihm. Sein Anblick uͤber-
fliegt ihr Antlitz mit einem Purpurſchein der Freude;
ſie verjuͤngt ſich, wie durch Zauber. Doch verraͤth
ſonſt kein Ausruf, keine uͤbereilte Bewegung, was in
ihr vorgeht. Laͤchelnd reicht ſie ihm nur die Hand
und wie wenn ſie ſich geſtern getrennt haͤtten, ſpricht
ſie freundlich:
Nun, Anton Hahn, ſeid Jhr wieder in Liebenau?
„Fraͤulein Ottilie — gnaͤdige Baroneſſe — ich
bin ſo erfreut ... und Sie in dieſem Haͤuschen? Die-
ſes Gluͤck fuͤr mich ....“
Schwatzt keinen Unſinn, Anton. Es war ein
Gluͤck fuͤr mich, in dieſem Hauſe wohnen zu koͤnnen;
ich hab’ es gemiethet, es iſt paſſend fuͤr eine alte
Jungfer. Nun kehrt Jhr zuruͤck, wollt Euer Eigen-
thum in Beſchlag nehmen — und ich werd’ es raͤu-
men. Darauf bin ich ſchon vorbereitet, denn ich dachte
mir’s, Jhr wuͤrdet uͤber kurz oder lang wieder heim-
kehren. Laßt mir Zeit bis morgen. Jch zieh’ aus
Liebenau fort. Meine Anſtalten ſind getroffen.
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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 4. Breslau, 1852, S. 89. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden04_1852/93>, abgerufen am 17.02.2025.
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