Holz, Arno: Das Buch der Zeit. Lieder eines Modernen. Zürich, 1886.Die ringende Menschheit, eine tragische Heldin, Die endlich nach jahrmyriadenlangem, Wildem Ringen Von ihrem eigenen, dunklen Sein Den geheimnißvollen Isisschleier heben sollte; Und hier oben im Himmel Ein fühlloser Selbstling, dem der Weihrauch Eines kleinen Häufleins Alter, verrückter Betschwestern Das Hirn umnebelt hatte! Aber die Liebe, die ewige Liebe, Die Allerbarmerin, Sah es und weinte laut auf Und an ihr großes, feuriges Sonnenherz Preßte sie wild ihre schöne, süße Tochter, Das Mitleid, Und beide traten, hochaufathmend, Vor den Thron des Alten, Der so alt war, daß er sich selbst nicht mehr kannte, Und die Mutter sprach: "Soll dich denn nichts
Aus deinem wüsten, häßlichen Halbschlaf Aufrütteln, du alter Mann? Hat dich die einstige siebentägige Schöpfungsarbeit Denn wirklich schon erschlafft? Die ringende Menſchheit, eine tragiſche Heldin, Die endlich nach jahrmyriadenlangem, Wildem Ringen Von ihrem eigenen, dunklen Sein Den geheimnißvollen Iſisſchleier heben ſollte; Und hier oben im Himmel Ein fühlloſer Selbſtling, dem der Weihrauch Eines kleinen Häufleins Alter, verrückter Betſchweſtern Das Hirn umnebelt hatte! Aber die Liebe, die ewige Liebe, Die Allerbarmerin, Sah es und weinte laut auf Und an ihr großes, feuriges Sonnenherz Preßte ſie wild ihre ſchöne, ſüße Tochter, Das Mitleid, Und beide traten, hochaufathmend, Vor den Thron des Alten, Der ſo alt war, daß er ſich ſelbſt nicht mehr kannte, Und die Mutter ſprach: „Soll dich denn nichts
Aus deinem wüſten, häßlichen Halbſchlaf Aufrütteln, du alter Mann? Hat dich die einſtige ſiebentägige Schöpfungsarbeit Denn wirklich ſchon erſchlafft? <TEI> <text> <body> <div> <lg type="poem"> <pb facs="#f0290" n="268"/> <lg n="15"> <l>Die ringende Menſchheit, eine tragiſche Heldin,</l><lb/> <l>Die endlich nach jahrmyriadenlangem,</l><lb/> <l>Wildem Ringen</l><lb/> <l>Von ihrem eigenen, dunklen Sein</l><lb/> <l>Den geheimnißvollen Iſisſchleier heben ſollte;</l><lb/> <l>Und hier oben im Himmel</l><lb/> <l>Ein fühlloſer Selbſtling, dem der Weihrauch</l><lb/> <l>Eines kleinen Häufleins</l><lb/> <l>Alter, verrückter Betſchweſtern</l><lb/> <l>Das Hirn umnebelt hatte!</l><lb/> </lg> <lg n="16"> <l>Aber die Liebe, die ewige Liebe,</l><lb/> <l>Die Allerbarmerin,</l><lb/> <l>Sah es und weinte laut auf</l><lb/> <l>Und an ihr großes, feuriges Sonnenherz</l><lb/> <l>Preßte ſie wild ihre ſchöne, ſüße Tochter,</l><lb/> <l>Das Mitleid,</l><lb/> <l>Und beide traten, hochaufathmend,</l><lb/> <l>Vor den Thron des Alten,</l><lb/> <l>Der ſo alt war, daß er ſich ſelbſt nicht mehr kannte,</l><lb/> <l>Und die Mutter ſprach:</l><lb/> </lg> <lg n="17"> <l>„Soll dich denn nichts</l><lb/> <l>Aus deinem wüſten, häßlichen Halbſchlaf</l><lb/> <l>Aufrütteln, du alter Mann?</l><lb/> <l>Hat dich die einſtige ſiebentägige Schöpfungsarbeit</l><lb/> <l>Denn wirklich ſchon erſchlafft?</l><lb/> </lg> </lg> </div> </body> </text> </TEI> [268/0290]
Die ringende Menſchheit, eine tragiſche Heldin,
Die endlich nach jahrmyriadenlangem,
Wildem Ringen
Von ihrem eigenen, dunklen Sein
Den geheimnißvollen Iſisſchleier heben ſollte;
Und hier oben im Himmel
Ein fühlloſer Selbſtling, dem der Weihrauch
Eines kleinen Häufleins
Alter, verrückter Betſchweſtern
Das Hirn umnebelt hatte!
Aber die Liebe, die ewige Liebe,
Die Allerbarmerin,
Sah es und weinte laut auf
Und an ihr großes, feuriges Sonnenherz
Preßte ſie wild ihre ſchöne, ſüße Tochter,
Das Mitleid,
Und beide traten, hochaufathmend,
Vor den Thron des Alten,
Der ſo alt war, daß er ſich ſelbſt nicht mehr kannte,
Und die Mutter ſprach:
„Soll dich denn nichts
Aus deinem wüſten, häßlichen Halbſchlaf
Aufrütteln, du alter Mann?
Hat dich die einſtige ſiebentägige Schöpfungsarbeit
Denn wirklich ſchon erſchlafft?
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