Holz, Arno: Das Buch der Zeit. Lieder eines Modernen. Zürich, 1886.Augenrollend und zähnefletschend, Um Paläste und Hütten schleicht, Tag und Nacht! Und wie die Menschheit, dies arme Findelkind, Das die Mutter nicht kennt und den Vater verflucht, Trotz Zerduscht und Buddha, Christus und Muhamed, Noch so weit vom Ziel, Noch so weit, o so weit! Müssen nicht immer noch tausend Fäuste,
Harte, schwielenbedeckte Fäuste, Sich vom Munde das Brot abdarben, Das schwarze Brot, Um einem einzigen dummfaulen Tagedieb Den gefräßigen Schmeerbauch zu mästen, "Standesgemäß" Mit Krebshirn und Nachtigallzungen? Zwingt nicht das Gold, Dieser herzloseste aller Teufel, Die Schönheit, die arme, rührende Schönheit, Noch immer in das dumpfe, Seuchenverpestete Lustbett der Sünde? Leckt nicht das Volk, Die gezähmte, schweifwedelnde Bestie, Noch immer die bluttriefende Hand Ihres gekrönten Peinigers? Und muß sich die Wahrheit, die bleiche Dulderin, Augenrollend und zähnefletſchend, Um Paläſte und Hütten ſchleicht, Tag und Nacht! Und wie die Menſchheit, dies arme Findelkind, Das die Mutter nicht kennt und den Vater verflucht, Trotz Zerduſcht und Buddha, Chriſtus und Muhamed, Noch ſo weit vom Ziel, Noch ſo weit, o ſo weit! Müſſen nicht immer noch tauſend Fäuſte,
Harte, ſchwielenbedeckte Fäuſte, Sich vom Munde das Brot abdarben, Das ſchwarze Brot, Um einem einzigen dummfaulen Tagedieb Den gefräßigen Schmeerbauch zu mäſten, „Standesgemäß“ Mit Krebshirn und Nachtigallzungen? Zwingt nicht das Gold, Dieſer herzloſeſte aller Teufel, Die Schönheit, die arme, rührende Schönheit, Noch immer in das dumpfe, Seuchenverpeſtete Luſtbett der Sünde? Leckt nicht das Volk, Die gezähmte, ſchweifwedelnde Beſtie, Noch immer die bluttriefende Hand Ihres gekrönten Peinigers? Und muß ſich die Wahrheit, die bleiche Dulderin, <TEI> <text> <body> <div> <lg type="poem"> <pb facs="#f0296" n="274"/> <lg n="29"> <l>Augenrollend und zähnefletſchend,</l><lb/> <l>Um Paläſte und Hütten ſchleicht,</l><lb/> <l>Tag und Nacht!</l><lb/> <l>Und wie die Menſchheit, dies arme Findelkind,</l><lb/> <l>Das die Mutter nicht kennt und den Vater verflucht,</l><lb/> <l>Trotz Zerduſcht und Buddha, Chriſtus und Muhamed,</l><lb/> <l>Noch ſo weit vom Ziel,</l><lb/> <l>Noch ſo weit, o ſo weit!</l><lb/> </lg> <lg n="30"> <l>Müſſen nicht immer noch tauſend Fäuſte,</l><lb/> <l>Harte, ſchwielenbedeckte Fäuſte,</l><lb/> <l>Sich vom Munde das Brot abdarben,</l><lb/> <l>Das ſchwarze Brot,</l><lb/> <l>Um einem einzigen dummfaulen Tagedieb</l><lb/> <l>Den gefräßigen Schmeerbauch zu mäſten,</l><lb/> <l>„Standesgemäß“</l><lb/> <l>Mit Krebshirn und Nachtigallzungen?</l><lb/> <l>Zwingt nicht das Gold,</l><lb/> <l>Dieſer herzloſeſte aller Teufel,</l><lb/> <l>Die Schönheit, die arme, rührende Schönheit,</l><lb/> <l>Noch immer in das dumpfe,</l><lb/> <l>Seuchenverpeſtete Luſtbett der Sünde?</l><lb/> <l>Leckt nicht das Volk,</l><lb/> <l>Die gezähmte, ſchweifwedelnde Beſtie,</l><lb/> <l>Noch immer die bluttriefende Hand</l><lb/> <l>Ihres gekrönten Peinigers?</l><lb/> <l>Und muß ſich die Wahrheit, die bleiche Dulderin,</l><lb/> </lg> </lg> </div> </body> </text> </TEI> [274/0296]
Augenrollend und zähnefletſchend,
Um Paläſte und Hütten ſchleicht,
Tag und Nacht!
Und wie die Menſchheit, dies arme Findelkind,
Das die Mutter nicht kennt und den Vater verflucht,
Trotz Zerduſcht und Buddha, Chriſtus und Muhamed,
Noch ſo weit vom Ziel,
Noch ſo weit, o ſo weit!
Müſſen nicht immer noch tauſend Fäuſte,
Harte, ſchwielenbedeckte Fäuſte,
Sich vom Munde das Brot abdarben,
Das ſchwarze Brot,
Um einem einzigen dummfaulen Tagedieb
Den gefräßigen Schmeerbauch zu mäſten,
„Standesgemäß“
Mit Krebshirn und Nachtigallzungen?
Zwingt nicht das Gold,
Dieſer herzloſeſte aller Teufel,
Die Schönheit, die arme, rührende Schönheit,
Noch immer in das dumpfe,
Seuchenverpeſtete Luſtbett der Sünde?
Leckt nicht das Volk,
Die gezähmte, ſchweifwedelnde Beſtie,
Noch immer die bluttriefende Hand
Ihres gekrönten Peinigers?
Und muß ſich die Wahrheit, die bleiche Dulderin,
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