Holz, Arno: Das Buch der Zeit. Lieder eines Modernen. Zürich, 1886.Oder der Frühling hoch auf die Berge steigt, Oder "auf ewig" im ersten Kuß Zwei Herzen sich finden, Zwei arme thörichte, Wankelmüthige Menschenherzen: Klingt's durch die Weihnachtsglocken der Kindheit Mir süß wie die Stimme meiner Mutter, Meiner schönen, todten Mutter, Und ich denke zurück an die alte Zeit, Als ich im Volk noch des Menschen Sohn hieß! Damals war ja mein Herz, Mein armes Herz, Noch kein todtes Uhrwerk; Lieblich grünten die Thäler von Hebron, Mir zu Füßen rauschte der Jordan Und blutroth blühte die Rose von Saron! Ich liebte, liebte und wurde geliebt Und freudig trug ich die "frohe Botschaft", Die goldne Legende, Unter die Fischer am See Genezareth. Doch Teufel! was red ich!
Nickt denn nicht grinsend von meinem Käppi Die fuchsrothe Hahnenfeder Mephistos? Und bin ich nicht oft mit Marte Schwertlein Schäkernd im Mondschein, Hart an der Stadtmauer, Oder der Frühling hoch auf die Berge ſteigt, Oder „auf ewig“ im erſten Kuß Zwei Herzen ſich finden, Zwei arme thörichte, Wankelmüthige Menſchenherzen: Klingt's durch die Weihnachtsglocken der Kindheit Mir ſüß wie die Stimme meiner Mutter, Meiner ſchönen, todten Mutter, Und ich denke zurück an die alte Zeit, Als ich im Volk noch des Menſchen Sohn hieß! Damals war ja mein Herz, Mein armes Herz, Noch kein todtes Uhrwerk; Lieblich grünten die Thäler von Hebron, Mir zu Füßen rauſchte der Jordan Und blutroth blühte die Roſe von Saron! Ich liebte, liebte und wurde geliebt Und freudig trug ich die „frohe Botſchaft“, Die goldne Legende, Unter die Fiſcher am See Genezareth. Doch Teufel! was red ich!
Nickt denn nicht grinſend von meinem Käppi Die fuchsrothe Hahnenfeder Mephiſtos? Und bin ich nicht oft mit Marte Schwertlein Schäkernd im Mondſchein, Hart an der Stadtmauer, <TEI> <text> <body> <div> <lg type="poem"> <pb facs="#f0317" n="295"/> <lg n="74"> <l>Oder der Frühling hoch auf die Berge ſteigt,</l><lb/> <l>Oder „auf ewig“ im erſten Kuß</l><lb/> <l>Zwei Herzen ſich finden,</l><lb/> <l>Zwei arme thörichte,</l><lb/> <l>Wankelmüthige Menſchenherzen:</l><lb/> <l>Klingt's durch die Weihnachtsglocken der Kindheit</l><lb/> <l>Mir ſüß wie die Stimme meiner Mutter,</l><lb/> <l>Meiner ſchönen, todten Mutter,</l><lb/> <l>Und ich denke zurück an die alte Zeit,</l><lb/> <l>Als ich im Volk noch des Menſchen Sohn hieß!</l><lb/> <l>Damals war ja mein Herz,</l><lb/> <l>Mein armes Herz,</l><lb/> <l>Noch kein todtes Uhrwerk;</l><lb/> <l>Lieblich grünten die Thäler von Hebron,</l><lb/> <l>Mir zu Füßen rauſchte der Jordan</l><lb/> <l>Und blutroth blühte die Roſe von Saron!</l><lb/> <l>Ich liebte, liebte und wurde geliebt</l><lb/> <l>Und freudig trug ich die „frohe Botſchaft“,</l><lb/> <l>Die goldne Legende,</l><lb/> <l>Unter die Fiſcher am See Genezareth.</l><lb/> </lg> <lg n="75"> <l>Doch Teufel! was red ich!</l><lb/> <l>Nickt denn nicht grinſend von meinem Käppi</l><lb/> <l>Die fuchsrothe Hahnenfeder Mephiſtos?</l><lb/> <l>Und bin ich nicht oft mit Marte Schwertlein</l><lb/> <l>Schäkernd im Mondſchein,</l><lb/> <l>Hart an der Stadtmauer,</l><lb/> </lg> </lg> </div> </body> </text> </TEI> [295/0317]
Oder der Frühling hoch auf die Berge ſteigt,
Oder „auf ewig“ im erſten Kuß
Zwei Herzen ſich finden,
Zwei arme thörichte,
Wankelmüthige Menſchenherzen:
Klingt's durch die Weihnachtsglocken der Kindheit
Mir ſüß wie die Stimme meiner Mutter,
Meiner ſchönen, todten Mutter,
Und ich denke zurück an die alte Zeit,
Als ich im Volk noch des Menſchen Sohn hieß!
Damals war ja mein Herz,
Mein armes Herz,
Noch kein todtes Uhrwerk;
Lieblich grünten die Thäler von Hebron,
Mir zu Füßen rauſchte der Jordan
Und blutroth blühte die Roſe von Saron!
Ich liebte, liebte und wurde geliebt
Und freudig trug ich die „frohe Botſchaft“,
Die goldne Legende,
Unter die Fiſcher am See Genezareth.
Doch Teufel! was red ich!
Nickt denn nicht grinſend von meinem Käppi
Die fuchsrothe Hahnenfeder Mephiſtos?
Und bin ich nicht oft mit Marte Schwertlein
Schäkernd im Mondſchein,
Hart an der Stadtmauer,
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