Holz, Arno: Phantasus. 1. Heft. Berlin, 1898.Rote Dächer! Aus den Schornsteinen, hier und da, Rauch, oben, hoch, in sonniger Luft, ab und zu, Tauben. Es ist Nachmittag. Aus Mohdrickers Garten her gackert eine Henne, die ganze Stadt riecht nach Kaffee. Ich bin ein kleiner, achtjähriger Junge und liege, das Kinn in beide Fäuste, platt auf dem Bauch und kucke durch die Bodenluke. Unter mir, steil, der Hof, hinter mir, weggeworfen, ein Buch. Franz Hoffmann. Die Sclavenjäger. Wie still das ist! Nur drüben in Knorrs Regenrinne zwei Spatzen, die sich um einen Strohhalm zanken, ein Mann, der sägt, und dazwischen, deutlich von der Kirche her, in kurzen Pausen, regelmässig, hämmernd, der Kupferschmied Thiel. Wenn ich unten runtersehe, sehe ich grade auf Mutters Blumenbrett: ein Topf Goldlack, zwei Töpfe Levkoyen, eine Geranie und mittendrin, zierlich in einem Cigarrenkistchen, ein Hümpelchen Reseda. Wie das riecht? Bis zu mir rauf! Und die Farben! Jetzt! Wie der Wind drüber weht! Die wunder, wunderschönen Farben! Ich schliesse die Augen. Ich sehe sie noch immer. Rote Dächer! Aus den Schornsteinen, hier und da, Rauch, oben, hoch, in sonniger Luft, ab und zu, Tauben. Es ist Nachmittag. Aus Mohdrickers Garten her gackert eine Henne, die ganze Stadt riecht nach Kaffee. Ich bin ein kleiner, achtjähriger Junge und liege, das Kinn in beide Fäuste, platt auf dem Bauch und kucke durch die Bodenluke. Unter mir, steil, der Hof, hinter mir, weggeworfen, ein Buch. Franz Hoffmann. Die Sclavenjäger. Wie still das ist! Nur drüben in Knorrs Regenrinne zwei Spatzen, die sich um einen Strohhalm zanken, ein Mann, der sägt, und dazwischen, deutlich von der Kirche her, in kurzen Pausen, regelmässig, hämmernd, der Kupferschmied Thiel. Wenn ich unten runtersehe, sehe ich grade auf Mutters Blumenbrett: ein Topf Goldlack, zwei Töpfe Levkoyen, eine Geranie und mittendrin, zierlich in einem Cigarrenkistchen, ein Hümpelchen Reseda. Wie das riecht? Bis zu mir rauf! Und die Farben! Jetzt! Wie der Wind drüber weht! Die wunder, wunderschönen Farben! Ich schliesse die Augen. Ich sehe sie noch immer. <TEI> <text> <body> <pb facs="#f0027"/> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l rendition="#c">Rote Dächer!</l><lb/> <l rendition="#c">Aus den Schornsteinen, hier und da, Rauch,</l><lb/> <l rendition="#c">oben, hoch, in sonniger Luft, ab und zu, Tauben.</l><lb/> <l rendition="#c">Es ist Nachmittag.</l><lb/> <l rendition="#c">Aus Mohdrickers Garten her gackert eine Henne,</l><lb/> <l rendition="#c">die ganze Stadt riecht nach Kaffee.</l> </lg><lb/> <lg n="2"> <l rendition="#c">Ich bin ein kleiner, achtjähriger Junge</l><lb/> <l rendition="#c">und liege, das Kinn in beide Fäuste,</l><lb/> <l rendition="#c">platt auf dem Bauch</l><lb/> <l rendition="#c">und kucke durch die Bodenluke.</l><lb/> <l rendition="#c">Unter mir, steil, der Hof,</l><lb/> <l rendition="#c">hinter mir, weggeworfen, ein Buch.</l><lb/> <l rendition="#c">Franz Hoffmann. Die Sclavenjäger.</l> </lg><lb/> <lg n="3"> <l rendition="#c">Wie still das ist!</l> </lg><lb/> <lg n="4"> <l rendition="#c">Nur drüben in Knorrs Regenrinne</l><lb/> <l rendition="#c">zwei Spatzen, die sich um einen Strohhalm zanken,</l><lb/> <l rendition="#c">ein Mann, der sägt,</l><lb/> <l rendition="#c">und dazwischen, deutlich von der Kirche her,</l><lb/> <l rendition="#c">in kurzen Pausen, regelmässig, hämmernd,</l><lb/> <l rendition="#c">der Kupferschmied Thiel.</l> </lg><lb/> <lg n="5"> <l rendition="#c">Wenn ich unten runtersehe,</l><lb/> <l rendition="#c">sehe ich grade auf Mutters Blumenbrett:</l><lb/> <l rendition="#c">ein Topf Goldlack, zwei Töpfe Levkoyen, eine Geranie</l><lb/> <l rendition="#c">und mittendrin, zierlich in einem Cigarrenkistchen,</l><lb/> <l rendition="#c">ein Hümpelchen Reseda.</l> </lg><lb/> <lg n="6"> <l rendition="#c">Wie das riecht? Bis zu mir rauf!</l> </lg><lb/> <lg n="7"> <l rendition="#c">Und die Farben!</l><lb/> <l rendition="#c">Jetzt! Wie der Wind drüber weht!</l><lb/> <l rendition="#c">Die wunder, wunderschönen Farben!</l> </lg><lb/> <lg n="8"> <l rendition="#c">Ich schliesse die Augen. Ich sehe sie noch immer.</l> </lg><lb/> </lg> </body> </text> </TEI> [0027]
Rote Dächer!
Aus den Schornsteinen, hier und da, Rauch,
oben, hoch, in sonniger Luft, ab und zu, Tauben.
Es ist Nachmittag.
Aus Mohdrickers Garten her gackert eine Henne,
die ganze Stadt riecht nach Kaffee.
Ich bin ein kleiner, achtjähriger Junge
und liege, das Kinn in beide Fäuste,
platt auf dem Bauch
und kucke durch die Bodenluke.
Unter mir, steil, der Hof,
hinter mir, weggeworfen, ein Buch.
Franz Hoffmann. Die Sclavenjäger.
Wie still das ist!
Nur drüben in Knorrs Regenrinne
zwei Spatzen, die sich um einen Strohhalm zanken,
ein Mann, der sägt,
und dazwischen, deutlich von der Kirche her,
in kurzen Pausen, regelmässig, hämmernd,
der Kupferschmied Thiel.
Wenn ich unten runtersehe,
sehe ich grade auf Mutters Blumenbrett:
ein Topf Goldlack, zwei Töpfe Levkoyen, eine Geranie
und mittendrin, zierlich in einem Cigarrenkistchen,
ein Hümpelchen Reseda.
Wie das riecht? Bis zu mir rauf!
Und die Farben!
Jetzt! Wie der Wind drüber weht!
Die wunder, wunderschönen Farben!
Ich schliesse die Augen. Ich sehe sie noch immer.
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