Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Holz, Arno: Phantasus. 2. Heft. Berlin, 1899.

Bild:
<< vorherige Seite
Das kleine Jöhr in mir,
das nach jedem Sonnenstrahl greift und nach jedem Schmetterling,
das Vergissmeinnichtaugen hat und das mir vor meinem Tode hoffentlich nicht
sterben wird,
entzückt sich noch immer über Ludwig Richter.
Der Grosspapa liebt Walter Scott.
Mein Schläfchen,
sonntags,
wenn es zu Mittag Nelson-Cotteletts,
Karpfen in Bier, oder vielleicht gar eine Gans gegeben,
erledige ich auf einem blauen, grüngestreiften Biedermannssopha,
über dem an einer gelben Urvätertapete ein Stich von Chodowiecki hängt;
und auf meinem Vertiko,
zwischen zwei Sträussen aus Zittergras,
paradiert eine blanke mit bunten Blumen bemalte Porzellankuh,
die, während ich schnarche, gemolken wird.
Indessen!
Das hindert mich Alles nicht.
Abends,
auf der Redoute,
mitten unter dem mittelsten Kronleuchter,
bin ich durchaus Europäer.
Eine wandelnde, höchst appetitliche Reklame für einen Wurstladen
hat ausser ihren Brillantohringen wirklich auch noch Tricots an.
Ich hebe mit gespreizten Fingern meinen Handschuh,
bugsiere ihn ihr geschickt bis auf fünf Millimeter vor das schwarze, glänzende
Taffetnäschen,
lächle
und lasse ihn fallen.
Er bleibt sofort stecken.
"Na, kleener Sectproppen, Kostenpunkt?"
Das kleine Jöhr in mir,
das nach jedem Sonnenstrahl greift und nach jedem Schmetterling,
das Vergissmeinnichtaugen hat und das mir vor meinem Tode hoffentlich nicht
sterben wird,
entzückt sich noch immer über Ludwig Richter.
Der Grosspapa liebt Walter Scott.
Mein Schläfchen,
sonntags,
wenn es zu Mittag Nelson-Cotteletts,
Karpfen in Bier, oder vielleicht gar eine Gans gegeben,
erledige ich auf einem blauen, grüngestreiften Biedermannssopha,
über dem an einer gelben Urvätertapete ein Stich von Chodowiecki hängt;
und auf meinem Vertiko,
zwischen zwei Sträussen aus Zittergras,
paradiert eine blanke mit bunten Blumen bemalte Porzellankuh,
die, während ich schnarche, gemolken wird.
Indessen!
Das hindert mich Alles nicht.
Abends,
auf der Redoute,
mitten unter dem mittelsten Kronleuchter,
bin ich durchaus Europäer.
Eine wandelnde, höchst appetitliche Reklame für einen Wurstladen
hat ausser ihren Brillantohringen wirklich auch noch Tricots an.
Ich hebe mit gespreizten Fingern meinen Handschuh,
bugsiere ihn ihr geschickt bis auf fünf Millimeter vor das schwarze, glänzende
Taffetnäschen,
lächle
und lasse ihn fallen.
Er bleibt sofort stecken.
„Na, kleener Sectproppen, Kostenpunkt?“
<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0033"/>
      <lg type="poem">
        <lg n="1">
          <l rendition="#c">Das kleine Jöhr in mir,</l><lb/>
          <l rendition="#c">das nach jedem Sonnenstrahl greift und nach jedem Schmetterling,</l><lb/>
          <l rendition="#c">das Vergissmeinnichtaugen hat und das mir vor meinem Tode hoffentlich nicht</l><lb/>
          <l rendition="#c">sterben wird,</l><lb/>
          <l rendition="#c">entzückt sich noch immer über Ludwig Richter.</l>
        </lg><lb/>
        <lg n="2">
          <l rendition="#c">Der Grosspapa liebt Walter Scott.</l>
        </lg><lb/>
        <lg n="3">
          <l rendition="#c">Mein Schläfchen,</l><lb/>
          <l rendition="#c">sonntags,</l><lb/>
          <l rendition="#c">wenn es zu Mittag Nelson-Cotteletts,</l><lb/>
          <l rendition="#c">Karpfen in Bier, oder vielleicht gar eine Gans gegeben,</l><lb/>
          <l rendition="#c">erledige ich auf einem blauen, grüngestreiften Biedermannssopha,</l><lb/>
          <l rendition="#c">über dem an einer gelben Urvätertapete ein Stich von Chodowiecki hängt;</l><lb/>
          <l rendition="#c">und auf meinem Vertiko,</l><lb/>
          <l rendition="#c">zwischen zwei Sträussen aus Zittergras,</l><lb/>
          <l rendition="#c">paradiert eine blanke mit bunten Blumen bemalte Porzellankuh,</l><lb/>
          <l rendition="#c">die, während ich schnarche, gemolken wird.</l>
        </lg><lb/>
        <lg n="4">
          <l rendition="#c">Indessen!</l>
        </lg><lb/>
        <lg n="5">
          <l rendition="#c">Das hindert mich Alles nicht.</l>
        </lg><lb/>
        <lg n="6">
          <l rendition="#c">Abends,</l><lb/>
          <l rendition="#c">auf der Redoute,</l><lb/>
          <l rendition="#c">mitten unter dem mittelsten Kronleuchter,</l><lb/>
          <l rendition="#c">bin ich durchaus Europäer.</l>
        </lg><lb/>
        <lg n="7">
          <l rendition="#c">Eine wandelnde, höchst appetitliche Reklame für einen Wurstladen</l><lb/>
          <l rendition="#c">hat ausser ihren Brillantohringen wirklich auch noch Tricots an.</l>
        </lg><lb/>
        <lg n="8">
          <l rendition="#c">Ich hebe mit gespreizten Fingern meinen Handschuh,</l><lb/>
          <l rendition="#c">bugsiere ihn ihr geschickt bis auf fünf Millimeter vor das schwarze, glänzende</l><lb/>
          <l rendition="#c">Taffetnäschen,</l><lb/>
          <l rendition="#c">lächle</l><lb/>
          <l rendition="#c">und lasse ihn fallen.</l>
        </lg><lb/>
        <lg n="9">
          <l rendition="#c">Er bleibt sofort stecken.</l>
        </lg><lb/>
        <lg n="10">
          <l rendition="#c">&#x201E;Na, kleener Sectproppen, Kostenpunkt?&#x201C;</l>
        </lg><lb/>
      </lg>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0033] Das kleine Jöhr in mir, das nach jedem Sonnenstrahl greift und nach jedem Schmetterling, das Vergissmeinnichtaugen hat und das mir vor meinem Tode hoffentlich nicht sterben wird, entzückt sich noch immer über Ludwig Richter. Der Grosspapa liebt Walter Scott. Mein Schläfchen, sonntags, wenn es zu Mittag Nelson-Cotteletts, Karpfen in Bier, oder vielleicht gar eine Gans gegeben, erledige ich auf einem blauen, grüngestreiften Biedermannssopha, über dem an einer gelben Urvätertapete ein Stich von Chodowiecki hängt; und auf meinem Vertiko, zwischen zwei Sträussen aus Zittergras, paradiert eine blanke mit bunten Blumen bemalte Porzellankuh, die, während ich schnarche, gemolken wird. Indessen! Das hindert mich Alles nicht. Abends, auf der Redoute, mitten unter dem mittelsten Kronleuchter, bin ich durchaus Europäer. Eine wandelnde, höchst appetitliche Reklame für einen Wurstladen hat ausser ihren Brillantohringen wirklich auch noch Tricots an. Ich hebe mit gespreizten Fingern meinen Handschuh, bugsiere ihn ihr geschickt bis auf fünf Millimeter vor das schwarze, glänzende Taffetnäschen, lächle und lasse ihn fallen. Er bleibt sofort stecken. „Na, kleener Sectproppen, Kostenpunkt?“

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/holz_phantasus02_1899
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/holz_phantasus02_1899/33
Zitationshilfe: Holz, Arno: Phantasus. 2. Heft. Berlin, 1899, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holz_phantasus02_1899/33>, abgerufen am 21.11.2024.