Horner, Heinrich [d. i. Heinrich Homberger]: Der Säugling. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 23. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 211–295. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.mit der Ordnung der Dinge bedeutete ihr diese Gigia, welche keine Zuneigung empfand und keine brauchte. Das Gespräch mit dem Mädchen lastete den ganzen Abend auf ihr mit unleidlichem Drucke; und sie, der kein körperlicher Schmerz je die geistige Spannkraft rauben oder auch nur verringern konnte, blieb heute tief niedergeschlagen; die Schwungfedern, welche sie sonst auftrugen, waren wie gelähmt. Sie ging in den nächsten Tagen mehrmals hinüber nach der Wohnung des Verwalters, jedesmal in der Absicht, dem Jungen klar und bündig zu sagen, daß Gigia nicht an ihn denke und daß er sie sich aus dem Kopf schlagen müsse. Allein je weiter Maso's Genesung voranschritt, -- er war nun schon einige Stunden täglich außer dem Bette --, desto unaufhörlicher redete er davon, wie er Gigia von Agenore befreien und an dem frechen Menschen Rache üben wolle. Mit jedem Besucher redete er davon, mit dem Verwalter und dessen Frau, mit seinem Vater und seinem Bruder, die öfters nach ihm schauten, zumal aber mit seinen Kameraden aus Valtella, wenn sie Abends in der Feierstunde sich um sein Bett versammelten. Und da in seinen Kameraden der Valtellaner Patriotismus mächtig war, so gaben sie ihm mehr als Recht und versicherten, sie würden seine Verwundung den Urballesen längst zehnfach heimgezahlt haben, wenn sie nicht ihm zu lieb den Tag der Rache aufschieben wollten, bis er selbst dabei sein könne. Die Nachricht, daß Gigia bereits einmal mit der Ordnung der Dinge bedeutete ihr diese Gigia, welche keine Zuneigung empfand und keine brauchte. Das Gespräch mit dem Mädchen lastete den ganzen Abend auf ihr mit unleidlichem Drucke; und sie, der kein körperlicher Schmerz je die geistige Spannkraft rauben oder auch nur verringern konnte, blieb heute tief niedergeschlagen; die Schwungfedern, welche sie sonst auftrugen, waren wie gelähmt. Sie ging in den nächsten Tagen mehrmals hinüber nach der Wohnung des Verwalters, jedesmal in der Absicht, dem Jungen klar und bündig zu sagen, daß Gigia nicht an ihn denke und daß er sie sich aus dem Kopf schlagen müsse. Allein je weiter Maso's Genesung voranschritt, — er war nun schon einige Stunden täglich außer dem Bette —, desto unaufhörlicher redete er davon, wie er Gigia von Agenore befreien und an dem frechen Menschen Rache üben wolle. Mit jedem Besucher redete er davon, mit dem Verwalter und dessen Frau, mit seinem Vater und seinem Bruder, die öfters nach ihm schauten, zumal aber mit seinen Kameraden aus Valtella, wenn sie Abends in der Feierstunde sich um sein Bett versammelten. Und da in seinen Kameraden der Valtellaner Patriotismus mächtig war, so gaben sie ihm mehr als Recht und versicherten, sie würden seine Verwundung den Urballesen längst zehnfach heimgezahlt haben, wenn sie nicht ihm zu lieb den Tag der Rache aufschieben wollten, bis er selbst dabei sein könne. Die Nachricht, daß Gigia bereits einmal <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0063"/> mit der Ordnung der Dinge bedeutete ihr diese Gigia, welche keine Zuneigung empfand und keine brauchte. Das Gespräch mit dem Mädchen lastete den ganzen Abend auf ihr mit unleidlichem Drucke; und sie, der kein körperlicher Schmerz je die geistige Spannkraft rauben oder auch nur verringern konnte, blieb heute tief niedergeschlagen; die Schwungfedern, welche sie sonst auftrugen, waren wie gelähmt.</p><lb/> <p>Sie ging in den nächsten Tagen mehrmals hinüber nach der Wohnung des Verwalters, jedesmal in der Absicht, dem Jungen klar und bündig zu sagen, daß Gigia nicht an ihn denke und daß er sie sich aus dem Kopf schlagen müsse. Allein je weiter Maso's Genesung voranschritt, — er war nun schon einige Stunden täglich außer dem Bette —, desto unaufhörlicher redete er davon, wie er Gigia von Agenore befreien und an dem frechen Menschen Rache üben wolle. Mit jedem Besucher redete er davon, mit dem Verwalter und dessen Frau, mit seinem Vater und seinem Bruder, die öfters nach ihm schauten, zumal aber mit seinen Kameraden aus Valtella, wenn sie Abends in der Feierstunde sich um sein Bett versammelten. Und da in seinen Kameraden der Valtellaner Patriotismus mächtig war, so gaben sie ihm mehr als Recht und versicherten, sie würden seine Verwundung den Urballesen längst zehnfach heimgezahlt haben, wenn sie nicht ihm zu lieb den Tag der Rache aufschieben wollten, bis er selbst dabei sein könne. Die Nachricht, daß Gigia bereits einmal<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0063]
mit der Ordnung der Dinge bedeutete ihr diese Gigia, welche keine Zuneigung empfand und keine brauchte. Das Gespräch mit dem Mädchen lastete den ganzen Abend auf ihr mit unleidlichem Drucke; und sie, der kein körperlicher Schmerz je die geistige Spannkraft rauben oder auch nur verringern konnte, blieb heute tief niedergeschlagen; die Schwungfedern, welche sie sonst auftrugen, waren wie gelähmt.
Sie ging in den nächsten Tagen mehrmals hinüber nach der Wohnung des Verwalters, jedesmal in der Absicht, dem Jungen klar und bündig zu sagen, daß Gigia nicht an ihn denke und daß er sie sich aus dem Kopf schlagen müsse. Allein je weiter Maso's Genesung voranschritt, — er war nun schon einige Stunden täglich außer dem Bette —, desto unaufhörlicher redete er davon, wie er Gigia von Agenore befreien und an dem frechen Menschen Rache üben wolle. Mit jedem Besucher redete er davon, mit dem Verwalter und dessen Frau, mit seinem Vater und seinem Bruder, die öfters nach ihm schauten, zumal aber mit seinen Kameraden aus Valtella, wenn sie Abends in der Feierstunde sich um sein Bett versammelten. Und da in seinen Kameraden der Valtellaner Patriotismus mächtig war, so gaben sie ihm mehr als Recht und versicherten, sie würden seine Verwundung den Urballesen längst zehnfach heimgezahlt haben, wenn sie nicht ihm zu lieb den Tag der Rache aufschieben wollten, bis er selbst dabei sein könne. Die Nachricht, daß Gigia bereits einmal
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Zitationshilfe: | Horner, Heinrich [d. i. Heinrich Homberger]: Der Säugling. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 23. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 211–295. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/horner_saeugling_1910/63>, abgerufen am 16.02.2025. |