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Huber, Victor Aimé: Sieben Briefe über englisches Revival und deutsche Erweckung. Frankfurt (Main), 1862.

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Seelsorge, ganz getrennt von der Predigt, irgend auf erheblichen
Erfolg rechnen kann. So gilt auch hier wieder, das Eine thun, und
das Andere nicht laßen! Die Frage, ob die freie Predigt sich mit
dem lutherischen Amtsbegriff unbedingt nicht verträgt, will ich hier
nicht erörtern, sondern ihr mit der Gegenfrage begegnen: steht
Gottes Wort und die Ordnung und Praxis der apostolischen sowie
der ersten reformatorischen Kirche dieser Ausdehnung der Thätig-
keit des Amts am Wort entgegen? Die schon sowohl aus der
Vergangenheit, z. B. von Luther selbst, vorliegenden Beispiele
scheinen jedenfalls in dieser Beziehung, wahrscheinlich aber doch jenen
ersten und specifisch lutherischen Bedenken gegenüber, das Gegentheil
zu beweisen. Der noch gesteigerte Amtsbegriff der anglikanischen
Kirche hat zu keiner Zeit die Predigt im Freien principiell ausge-
schloßen. Sie ist nur in dem Todesschlaf der letzten anderthalb
Jahrhunderte abgekommen, neuerdings aber, z. B. von dem Bischof
von Oxford, wieder erweckt worden, und zwar mit großer Wirkung.

Jst aber von einer solchen Ausdehnung der geistlichen Amts-
thätigkeit die Rede, wie sie die gänzliche Entfremdung einer großen
Mehrheit der namenchristlichen Bevölkerung zu ihrer Erweckung
auch nur in sehr beschränkten Gränzen, geschweige denn in irgend
allgemeiner Ausdehnung erfordert, so wird wohl von allen Seiten
die Unzulänglichkeit schon allein der physischen Kräfte und der
Zeit zur Abwehr einer solchen Zumuthung geltend gemacht werden,
womit denn die allzu heikle Frage nach der durchschnittlichen geist-
lichen, sittlichen und intellektuellen Begabung glücklich beseitigt ist.
Gilt ultra posse von allen diesen Stücken, so kann die Anwendung
auf jene beiden so entscheidenden Momente auch ohne alle Ver-
letzung der "Susceptibilitäten" des Standes oder der Personen
Statt finden. Soweit indeßen wird es auch uns Laien um so eher
erlaubt sein, hier wenigstens mit bescheidener Anfrage herauszugehen,
als uns noch kürzlich das Zeugniß einer der ehrwürdigsten und
gewichtigsten Stimmen aus den geistlichen Kreisen in Gnadau einen
Einblick gestattet hat in das Verhältniß zwischen Arbeit und Ruhe
mit Genuß oder Erholung bei dem Durchschnitt unserer geistlichen
Hirten. Danach dürfte ein leiser Zweifel wohl nicht ganz unge-
rechtfertigt sein: ob nicht z. B. die durchschnittlich unter der Con-
stellation des Schlafrocks, der Pantoffeln, der Cigarre und des

Seelſorge, ganz getrennt von der Predigt, irgend auf erheblichen
Erfolg rechnen kann. So gilt auch hier wieder, das Eine thun, und
das Andere nicht laßen! Die Frage, ob die freie Predigt ſich mit
dem lutheriſchen Amtsbegriff unbedingt nicht verträgt, will ich hier
nicht erörtern, ſondern ihr mit der Gegenfrage begegnen: ſteht
Gottes Wort und die Ordnung und Praxis der apoſtoliſchen ſowie
der erſten reformatoriſchen Kirche dieſer Ausdehnung der Thätig-
keit des Amts am Wort entgegen? Die ſchon ſowohl aus der
Vergangenheit, z. B. von Luther ſelbſt, vorliegenden Beiſpiele
ſcheinen jedenfalls in dieſer Beziehung, wahrſcheinlich aber doch jenen
erſten und ſpecifiſch lutheriſchen Bedenken gegenüber, das Gegentheil
zu beweiſen. Der noch geſteigerte Amtsbegriff der anglikaniſchen
Kirche hat zu keiner Zeit die Predigt im Freien principiell ausge-
ſchloßen. Sie iſt nur in dem Todesſchlaf der letzten anderthalb
Jahrhunderte abgekommen, neuerdings aber, z. B. von dem Biſchof
von Oxford, wieder erweckt worden, und zwar mit großer Wirkung.

Jſt aber von einer ſolchen Ausdehnung der geiſtlichen Amts-
thätigkeit die Rede, wie ſie die gänzliche Entfremdung einer großen
Mehrheit der namenchriſtlichen Bevölkerung zu ihrer Erweckung
auch nur in ſehr beſchränkten Gränzen, geſchweige denn in irgend
allgemeiner Ausdehnung erfordert, ſo wird wohl von allen Seiten
die Unzulänglichkeit ſchon allein der phyſiſchen Kräfte und der
Zeit zur Abwehr einer ſolchen Zumuthung geltend gemacht werden,
womit denn die allzu heikle Frage nach der durchſchnittlichen geiſt-
lichen, ſittlichen und intellektuellen Begabung glücklich beſeitigt iſt.
Gilt ultra posse von allen dieſen Stücken, ſo kann die Anwendung
auf jene beiden ſo entſcheidenden Momente auch ohne alle Ver-
letzung der „Susceptibilitäten‟ des Standes oder der Perſonen
Statt finden. Soweit indeßen wird es auch uns Laien um ſo eher
erlaubt ſein, hier wenigſtens mit beſcheidener Anfrage herauszugehen,
als uns noch kürzlich das Zeugniß einer der ehrwürdigſten und
gewichtigſten Stimmen aus den geiſtlichen Kreiſen in Gnadau einen
Einblick geſtattet hat in das Verhältniß zwiſchen Arbeit und Ruhe
mit Genuß oder Erholung bei dem Durchſchnitt unſerer geiſtlichen
Hirten. Danach dürfte ein leiſer Zweifel wohl nicht ganz unge-
rechtfertigt ſein: ob nicht z. B. die durchſchnittlich unter der Con-
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[69/0075] Seelſorge, ganz getrennt von der Predigt, irgend auf erheblichen Erfolg rechnen kann. So gilt auch hier wieder, das Eine thun, und das Andere nicht laßen! Die Frage, ob die freie Predigt ſich mit dem lutheriſchen Amtsbegriff unbedingt nicht verträgt, will ich hier nicht erörtern, ſondern ihr mit der Gegenfrage begegnen: ſteht Gottes Wort und die Ordnung und Praxis der apoſtoliſchen ſowie der erſten reformatoriſchen Kirche dieſer Ausdehnung der Thätig- keit des Amts am Wort entgegen? Die ſchon ſowohl aus der Vergangenheit, z. B. von Luther ſelbſt, vorliegenden Beiſpiele ſcheinen jedenfalls in dieſer Beziehung, wahrſcheinlich aber doch jenen erſten und ſpecifiſch lutheriſchen Bedenken gegenüber, das Gegentheil zu beweiſen. Der noch geſteigerte Amtsbegriff der anglikaniſchen Kirche hat zu keiner Zeit die Predigt im Freien principiell ausge- ſchloßen. Sie iſt nur in dem Todesſchlaf der letzten anderthalb Jahrhunderte abgekommen, neuerdings aber, z. B. von dem Biſchof von Oxford, wieder erweckt worden, und zwar mit großer Wirkung. Jſt aber von einer ſolchen Ausdehnung der geiſtlichen Amts- thätigkeit die Rede, wie ſie die gänzliche Entfremdung einer großen Mehrheit der namenchriſtlichen Bevölkerung zu ihrer Erweckung auch nur in ſehr beſchränkten Gränzen, geſchweige denn in irgend allgemeiner Ausdehnung erfordert, ſo wird wohl von allen Seiten die Unzulänglichkeit ſchon allein der phyſiſchen Kräfte und der Zeit zur Abwehr einer ſolchen Zumuthung geltend gemacht werden, womit denn die allzu heikle Frage nach der durchſchnittlichen geiſt- lichen, ſittlichen und intellektuellen Begabung glücklich beſeitigt iſt. Gilt ultra posse von allen dieſen Stücken, ſo kann die Anwendung auf jene beiden ſo entſcheidenden Momente auch ohne alle Ver- letzung der „Susceptibilitäten‟ des Standes oder der Perſonen Statt finden. Soweit indeßen wird es auch uns Laien um ſo eher erlaubt ſein, hier wenigſtens mit beſcheidener Anfrage herauszugehen, als uns noch kürzlich das Zeugniß einer der ehrwürdigſten und gewichtigſten Stimmen aus den geiſtlichen Kreiſen in Gnadau einen Einblick geſtattet hat in das Verhältniß zwiſchen Arbeit und Ruhe mit Genuß oder Erholung bei dem Durchſchnitt unſerer geiſtlichen Hirten. Danach dürfte ein leiſer Zweifel wohl nicht ganz unge- rechtfertigt ſein: ob nicht z. B. die durchſchnittlich unter der Con- ſtellation des Schlafrocks, der Pantoffeln, der Cigarre und des

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Zitationshilfe: Huber, Victor Aimé: Sieben Briefe über englisches Revival und deutsche Erweckung. Frankfurt (Main), 1862, S. 69. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/huber_revival_1862/75>, abgerufen am 21.11.2024.