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Hufeland, Christoph Wilhelm: Die Kunst das menschliche Leben zu verlängern. Jena, 1797.

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Er bekam Maderawein aus America ge-
schickt, der in Virginien auf Bouteillen
gezogen worden war, und fand darin
einige todte Fliegen. Er legte sie in die
heisse Juliussonne, und es dauerte kaum
drey Stunden, so erhielten diese Schein-
todten ihr Leben wieder, was eine so
lange Zeit unterbrochen gewesen war.
Sie bekamen erst einige krampfhafte
Zuckungen, dann richteten sie sich auf
die Beine, wischten sich die Augen mit
den Vorderfüssen, puzten die Flügel mit
den Hinterfüssen, und fingen bald dar-
auf an zu fliegen. Dieser scharfsinnige
Philosoph wirft hierbey die Frage auf:
Wenn durch eine solche gänzliche Un-
terbrechung aller in- und äusserlichen
Consumtion ein solcher Stillstand des
Lebens und dabey doch Erhaltung des
Lebensprinzips möglich ist; sollte nicht
ein ähnlicher Prozess mit dem Menschen
vorzunehmen seyn? Und wenn diess
wäre, sezt er als ächter Patriot hinzu, so
könnte ich mir keine grössre Freude den-
ken, als mich auf diese Art, nebst eini-

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Er bekam Maderawein aus America ge-
ſchickt, der in Virginien auf Bouteillen
gezogen worden war, und fand darin
einige todte Fliegen. Er legte ſie in die
heiſse Juliusſonne, und es dauerte kaum
drey Stunden, ſo erhielten dieſe Schein-
todten ihr Leben wieder, was eine ſo
lange Zeit unterbrochen geweſen war.
Sie bekamen erſt einige krampfhafte
Zuckungen, dann richteten ſie ſich auf
die Beine, wiſchten ſich die Augen mit
den Vorderfüſsen, puzten die Flügel mit
den Hinterfüſsen, und fingen bald dar-
auf an zu fliegen. Dieſer ſcharfſinnige
Philoſoph wirft hierbey die Frage auf:
Wenn durch eine ſolche gänzliche Un-
terbrechung aller in- und äuſſerlichen
Conſumtion ein ſolcher Stillſtand des
Lebens und dabey doch Erhaltung des
Lebensprinzips möglich iſt; ſollte nicht
ein ähnlicher Prozeſs mit dem Menſchen
vorzunehmen ſeyn? Und wenn dieſs
wäre, ſezt er als ächter Patriot hinzu, ſo
könnte ich mir keine gröſsre Freude den-
ken, als mich auf dieſe Art, nebſt eini-

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[291/0319] Er bekam Maderawein aus America ge- ſchickt, der in Virginien auf Bouteillen gezogen worden war, und fand darin einige todte Fliegen. Er legte ſie in die heiſse Juliusſonne, und es dauerte kaum drey Stunden, ſo erhielten dieſe Schein- todten ihr Leben wieder, was eine ſo lange Zeit unterbrochen geweſen war. Sie bekamen erſt einige krampfhafte Zuckungen, dann richteten ſie ſich auf die Beine, wiſchten ſich die Augen mit den Vorderfüſsen, puzten die Flügel mit den Hinterfüſsen, und fingen bald dar- auf an zu fliegen. Dieſer ſcharfſinnige Philoſoph wirft hierbey die Frage auf: Wenn durch eine ſolche gänzliche Un- terbrechung aller in- und äuſſerlichen Conſumtion ein ſolcher Stillſtand des Lebens und dabey doch Erhaltung des Lebensprinzips möglich iſt; ſollte nicht ein ähnlicher Prozeſs mit dem Menſchen vorzunehmen ſeyn? Und wenn dieſs wäre, ſezt er als ächter Patriot hinzu, ſo könnte ich mir keine gröſsre Freude den- ken, als mich auf dieſe Art, nebſt eini- T 2

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Zitationshilfe: Hufeland, Christoph Wilhelm: Die Kunst das menschliche Leben zu verlängern. Jena, 1797, S. 291. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hufeland_leben_1797/319>, abgerufen am 28.11.2024.