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Hufeland, Christoph Wilhelm: Die Kunst das menschliche Leben zu verlängern. Jena, 1797.

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nur ängstlich für den Zuschauer, nicht
für den Sterbenden, der davon nichts
empfindet. Es wäre eben so, als wenn
man aus den fürchterlichen Zuckungen
eines Epileptischen auf seine inneren
Gefühle schliessen wollte. Er weiss
nichts von allem dem, was uns so viel
Angst machte.

3. Man denke sich das Leben immer
als das, was es ist, als einen Mittelzu-
stand, (der noch nicht selbst Zweck, son-
dern nur Mittel zum Zweck ist, wie die
tausendfachen Unvollkommenheiten des-
selben hinlänglich beweisen,) als eine
Periode der Entwicklung und Vorberei-
tung, als ein Fragment unsrer Existenz,
durch das wir blos zu andern Perioden
übergehen und reifen sollen. Kann uns
denn der Gedanke wohl schrecklich
seyn, diesen Uebergang wirklich zu ma-
chen, aus diesem Mittelzustand, aus
dieser räthselhaften, zweifelsvollen, nie
ganz befriedigenden Existenz, zu einer
andern heraus zu treten? Ganz ruhig

nur ängſtlich für den Zuſchauer, nicht
für den Sterbenden, der davon nichts
empfindet. Es wäre eben ſo, als wenn
man aus den fürchterlichen Zuckungen
eines Epileptiſchen auf ſeine inneren
Gefühle ſchlieſsen wollte. Er weiſs
nichts von allem dem, was uns ſo viel
Angſt machte.

3. Man denke ſich das Leben immer
als das, was es iſt, als einen Mittelzu-
ſtand, (der noch nicht ſelbſt Zweck, ſon-
dern nur Mittel zum Zweck iſt, wie die
tauſendfachen Unvollkommenheiten deſ-
ſelben hinlänglich beweiſen,) als eine
Periode der Entwicklung und Vorberei-
tung, als ein Fragment unſrer Exiſtenz,
durch das wir blos zu andern Perioden
übergehen und reifen ſollen. Kann uns
denn der Gedanke wohl ſchrecklich
ſeyn, dieſen Uebergang wirklich zu ma-
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[399/0427] nur ängſtlich für den Zuſchauer, nicht für den Sterbenden, der davon nichts empfindet. Es wäre eben ſo, als wenn man aus den fürchterlichen Zuckungen eines Epileptiſchen auf ſeine inneren Gefühle ſchlieſsen wollte. Er weiſs nichts von allem dem, was uns ſo viel Angſt machte. 3. Man denke ſich das Leben immer als das, was es iſt, als einen Mittelzu- ſtand, (der noch nicht ſelbſt Zweck, ſon- dern nur Mittel zum Zweck iſt, wie die tauſendfachen Unvollkommenheiten deſ- ſelben hinlänglich beweiſen,) als eine Periode der Entwicklung und Vorberei- tung, als ein Fragment unſrer Exiſtenz, durch das wir blos zu andern Perioden übergehen und reifen ſollen. Kann uns denn der Gedanke wohl ſchrecklich ſeyn, dieſen Uebergang wirklich zu ma- chen, aus dieſem Mittelzuſtand, aus dieſer räthſelhaften, zweifelsvollen, nie ganz befriedigenden Exiſtenz, zu einer andern heraus zu treten? Ganz ruhig

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Zitationshilfe: Hufeland, Christoph Wilhelm: Die Kunst das menschliche Leben zu verlängern. Jena, 1797, S. 399. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hufeland_leben_1797/427>, abgerufen am 22.11.2024.