Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hufeland, Christoph Wilhelm: Die Kunst das menschliche Leben zu verlängern. Jena, 1797.

Bild:
<< vorherige Seite

Es ist unglaublich, wie weit Vorur-
theile in diesem Puncte gehen können,
besonders wenn sie unsern Neigungen
schmeicheln. Ich habe wirklich einen
Menschen gekannt, der in allem Ernste
glaubte, es existire kein schädlicheres
Gift für den menschlichen Körper als die
Zeugungssäfte, und die Folge war, dass
er nichts angelegentlicheres zu thun
hatte, als sich immer, so schnell wie
möglich davon zu entledigen. Durch
diese Bemühungen brachte ers denn
dahin, dass er im 20sten Jahre ein Greis
war, und im 25sten alt und lebenssatt
starb.

Man ist jezt so ganz in den Ge-
schmack der Ritterzeiten gekommen,
dass sogar alle Romane diese Form an-
nehmen müssen, wenn sie gefallen sol-
len, und man kann nicht aufhören, die
Denk- und Handlungsweise, das Edle,
Grosse und Entschlossne dieser Teut-
schen Männer zu bewundern. Und das
mit Recht. Es scheint je mehr wir füh-
len, wie weit wir davon abgekommen

Es iſt unglaublich, wie weit Vorur-
theile in dieſem Puncte gehen können,
beſonders wenn ſie unſern Neigungen
ſchmeicheln. Ich habe wirklich einen
Menſchen gekannt, der in allem Ernſte
glaubte, es exiſtire kein ſchädlicheres
Gift für den menſchlichen Körper als die
Zeugungsſäfte, und die Folge war, daſs
er nichts angelegentlicheres zu thun
hatte, als ſich immer, ſo ſchnell wie
möglich davon zu entledigen. Durch
dieſe Bemühungen brachte ers denn
dahin, daſs er im 20ſten Jahre ein Greis
war, und im 25ſten alt und lebensſatt
ſtarb.

Man iſt jezt ſo ganz in den Ge-
ſchmack der Ritterzeiten gekommen,
daſs ſogar alle Romane dieſe Form an-
nehmen müſſen, wenn ſie gefallen ſol-
len, und man kann nicht aufhören, die
Denk- und Handlungsweiſe, das Edle,
Groſse und Entſchloſsne dieſer Teut-
ſchen Männer zu bewundern. Und das
mit Recht. Es ſcheint je mehr wir füh-
len, wie weit wir davon abgekommen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0544" n="516"/>
            <p>Es i&#x017F;t unglaublich, wie weit Vorur-<lb/>
theile in die&#x017F;em Puncte gehen können,<lb/>
be&#x017F;onders wenn &#x017F;ie un&#x017F;ern Neigungen<lb/>
&#x017F;chmeicheln. Ich habe wirklich einen<lb/>
Men&#x017F;chen gekannt, der in allem Ern&#x017F;te<lb/>
glaubte, es exi&#x017F;tire kein &#x017F;chädlicheres<lb/>
Gift für den men&#x017F;chlichen Körper als die<lb/>
Zeugungs&#x017F;äfte, und die Folge war, da&#x017F;s<lb/>
er nichts angelegentlicheres zu thun<lb/>
hatte, als &#x017F;ich immer, &#x017F;o &#x017F;chnell wie<lb/>
möglich davon zu entledigen. Durch<lb/>
die&#x017F;e Bemühungen brachte ers denn<lb/>
dahin, da&#x017F;s er im 20&#x017F;ten Jahre ein Greis<lb/>
war, und im 25&#x017F;ten alt und lebens&#x017F;att<lb/>
&#x017F;tarb.</p><lb/>
            <p>Man i&#x017F;t jezt &#x017F;o ganz in den Ge-<lb/>
&#x017F;chmack der Ritterzeiten gekommen,<lb/>
da&#x017F;s &#x017F;ogar alle Romane die&#x017F;e Form an-<lb/>
nehmen mü&#x017F;&#x017F;en, wenn &#x017F;ie gefallen &#x017F;ol-<lb/>
len, und man kann nicht aufhören, die<lb/>
Denk- und Handlungswei&#x017F;e, das Edle,<lb/>
Gro&#x017F;se und Ent&#x017F;chlo&#x017F;sne die&#x017F;er Teut-<lb/>
&#x017F;chen Männer zu bewundern. Und das<lb/>
mit Recht. Es &#x017F;cheint je mehr wir füh-<lb/>
len, wie weit wir davon abgekommen<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[516/0544] Es iſt unglaublich, wie weit Vorur- theile in dieſem Puncte gehen können, beſonders wenn ſie unſern Neigungen ſchmeicheln. Ich habe wirklich einen Menſchen gekannt, der in allem Ernſte glaubte, es exiſtire kein ſchädlicheres Gift für den menſchlichen Körper als die Zeugungsſäfte, und die Folge war, daſs er nichts angelegentlicheres zu thun hatte, als ſich immer, ſo ſchnell wie möglich davon zu entledigen. Durch dieſe Bemühungen brachte ers denn dahin, daſs er im 20ſten Jahre ein Greis war, und im 25ſten alt und lebensſatt ſtarb. Man iſt jezt ſo ganz in den Ge- ſchmack der Ritterzeiten gekommen, daſs ſogar alle Romane dieſe Form an- nehmen müſſen, wenn ſie gefallen ſol- len, und man kann nicht aufhören, die Denk- und Handlungsweiſe, das Edle, Groſse und Entſchloſsne dieſer Teut- ſchen Männer zu bewundern. Und das mit Recht. Es ſcheint je mehr wir füh- len, wie weit wir davon abgekommen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hufeland_leben_1797
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hufeland_leben_1797/544
Zitationshilfe: Hufeland, Christoph Wilhelm: Die Kunst das menschliche Leben zu verlängern. Jena, 1797, S. 516. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hufeland_leben_1797/544>, abgerufen am 26.06.2024.