überhaupt die practische Medizin zur Ver- längerung des Lebens? Kann man sie unbedingt ein Verlängerungsmittel des Lebens nennen? Allerdings, in so fern sie Krankheiten heilt, die uns tödten könnten. Aber nicht immer in andrer Rücksicht, und ich will einige Bemer- kungen zur Beherzigung meiner Herrn Amtsbrüder beyfügen, die uns aufmerk- sam machen können, dass Herstellung der Gesundheit und Verlängerung des Lebens nicht immer eins sind und dass es nicht blos darauf ankommt, eine Krankheit zu heilen, sondern auch gar sehr, wie sie geheilt wird. Einmal ist es aus dem obigen gewiss, dass die Arz- neymittel durch eine künstliche Krank- heit wirken. Jede Krankheit ist mit Reizung, mit Kraftverlust verbunden. Ist nun das Arzneymittel angreifender, als die Krankheit, so hat man den Kran- ken zwar gesund gemacht, aber man hat ihn durch den Prozess des Gesund- machens mehr geschwächt, und also sei- ner Lebenslänge mehr entzogen, als die
überhaupt die practiſche Medizin zur Ver- längerung des Lebens? Kann man ſie unbedingt ein Verlängerungsmittel des Lebens nennen? Allerdings, in ſo fern ſie Krankheiten heilt, die uns tödten könnten. Aber nicht immer in andrer Rückſicht, und ich will einige Bemer- kungen zur Beherzigung meiner Herrn Amtsbrüder beyfügen, die uns aufmerk- ſam machen können, daſs Herſtellung der Geſundheit und Verlängerung des Lebens nicht immer eins ſind und daſs es nicht blos darauf ankommt, eine Krankheit zu heilen, ſondern auch gar ſehr, wie ſie geheilt wird. Einmal iſt es aus dem obigen gewiſs, daſs die Arz- neymittel durch eine künſtliche Krank- heit wirken. Jede Krankheit iſt mit Reizung, mit Kraftverluſt verbunden. Iſt nun das Arzneymittel angreifender, als die Krankheit, ſo hat man den Kran- ken zwar geſund gemacht, aber man hat ihn durch den Prozeſs des Geſund- machens mehr geſchwächt, und alſo ſei- ner Lebenslänge mehr entzogen, als die
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überhaupt die practiſche Medizin zur Ver-
längerung des Lebens? Kann man ſie
unbedingt ein Verlängerungsmittel des
Lebens nennen? Allerdings, in ſo fern
ſie Krankheiten heilt, die uns tödten
könnten. Aber nicht immer in andrer
Rückſicht, und ich will einige Bemer-
kungen zur Beherzigung meiner Herrn
Amtsbrüder beyfügen, die uns aufmerk-
ſam machen können, daſs Herſtellung
der Geſundheit und Verlängerung des
Lebens nicht immer eins ſind und daſs
es nicht blos darauf ankommt, eine
Krankheit zu heilen, ſondern auch gar
ſehr, wie ſie geheilt wird. Einmal iſt
es aus dem obigen gewiſs, daſs die Arz-
neymittel durch eine künſtliche Krank-
heit wirken. Jede Krankheit iſt mit
Reizung, mit Kraftverluſt verbunden.
Iſt nun das Arzneymittel angreifender,
als die Krankheit, ſo hat man den Kran-
ken zwar geſund gemacht, aber man
hat ihn durch den Prozeſs des Geſund-
machens mehr geſchwächt, und alſo ſei-
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Hufeland, Christoph Wilhelm: Die Kunst das menschliche Leben zu verlängern. Jena, 1797, S. 634. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hufeland_leben_1797/662>, abgerufen am 22.11.2024.
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