Thomas (II. II. 9, 154, a. 9) bemerkt: Blutsverwandte Personen stehen nothwendig in vielfachem Verkehre, deßhalb wäre die Gelegenheit zur Verführung zu groß, wenn die Ehe unter ihnen erlaubt wäre, und die Menschen unsittlich. Darum scheint im alten Bunde besonders die Ehe der- jenigen Personen verboten zu sein, die nothwendig zu- sammen wohnen müssen." Beachtet wohl diese Wahrheit, um die weise Fürsorge der Kirche nicht bloß zu verstehen sondern zu würdigen. Ihr wisset es wohl, in wie viel- fachem Verkehre die Verwandtschaften stehen und häufig stehen müssen! Ihr arbeitet mit einander, helfet einander, machet gegenseitig Besuche und mit einander Ausflüge, wohnet unter demselben Dache, müsset häufig allein bei einander sein in Folge von Krankheiten und Geschäften und Besuchen. Wenn nun bei solchen Anlässen, trotz der natürlichen Ehrfurcht vor dem verwandten Blute, trotz der Heiligkeit der Ehe, trotz des Schutzes, den man nach göttlichem und natürlichem Rechte bei Verwandten finden muß, dennoch die zartesten Gefühle oft ver- letzt und die hl. Rechte zertreten werden, was würde erst geschehen bei der Aussicht, daß man sich gegenseitig ehelichen könne? O, wäre das Uebertreibung, wie glück- lich wären wir! Aber es ist nicht einmal die ganze Wahr- heit. Montesquieu behauptet geradezu: Man müßte durch Eheverbote eine unübersteigliche Schranke zwischen den beiden Geschlechtern aufrichten, um jede Art Sittenver- derben zu verhüten. (XXVI, 14.)
Ja noch weit mehr. Als in der französischen Revo- lution nicht bloß die katholische Religion, mit den letzten Spuren des Christenthums vernichtet schien, sondern sogar Gott im Himmel abgeschafft und abgesetzt war, soweit es die menschlichen Gesetze vermochten, konnte die Stimme der Natur doch nicht vollkommen erstickt werden, wenn auch die Menschen wie wilde Bestien geworden zu sein schienen.
Thomas (II. II. 9, 154, a. 9) bemerkt: Blutsverwandte Personen stehen nothwendig in vielfachem Verkehre, deßhalb wäre die Gelegenheit zur Verführung zu groß, wenn die Ehe unter ihnen erlaubt wäre, und die Menschen unsittlich. Darum scheint im alten Bunde besonders die Ehe der- jenigen Personen verboten zu sein, die nothwendig zu- sammen wohnen müssen.“ Beachtet wohl diese Wahrheit, um die weise Fürsorge der Kirche nicht bloß zu verstehen sondern zu würdigen. Ihr wisset es wohl, in wie viel- fachem Verkehre die Verwandtschaften stehen und häufig stehen müssen! Ihr arbeitet mit einander, helfet einander, machet gegenseitig Besuche und mit einander Ausflüge, wohnet unter demselben Dache, müsset häufig allein bei einander sein in Folge von Krankheiten und Geschäften und Besuchen. Wenn nun bei solchen Anlässen, trotz der natürlichen Ehrfurcht vor dem verwandten Blute, trotz der Heiligkeit der Ehe, trotz des Schutzes, den man nach göttlichem und natürlichem Rechte bei Verwandten finden muß, dennoch die zartesten Gefühle oft ver- letzt und die hl. Rechte zertreten werden, was würde erst geschehen bei der Aussicht, daß man sich gegenseitig ehelichen könne? O, wäre das Uebertreibung, wie glück- lich wären wir! Aber es ist nicht einmal die ganze Wahr- heit. Montesquieu behauptet geradezu: Man müßte durch Eheverbote eine unübersteigliche Schranke zwischen den beiden Geschlechtern aufrichten, um jede Art Sittenver- derben zu verhüten. (XXVI, 14.)
Ja noch weit mehr. Als in der französischen Revo- lution nicht bloß die katholische Religion, mit den letzten Spuren des Christenthums vernichtet schien, sondern sogar Gott im Himmel abgeschafft und abgesetzt war, soweit es die menschlichen Gesetze vermochten, konnte die Stimme der Natur doch nicht vollkommen erstickt werden, wenn auch die Menschen wie wilde Bestien geworden zu sein schienen.
<TEI><text><body><divn="15"><p><pbfacs="#f0152"xml:id="H891_001_1896_pb0140_0001"n="140"/>
Thomas (II. II. 9, 154, <hirendition="#aq">a</hi>. 9) bemerkt: <q>Blutsverwandte<lb/>
Personen stehen nothwendig in vielfachem Verkehre, deßhalb<lb/>
wäre die Gelegenheit zur Verführung zu groß, wenn die<lb/>
Ehe unter ihnen erlaubt wäre, und die Menschen unsittlich.<lb/>
Darum scheint im alten Bunde besonders die Ehe der-<lb/>
jenigen Personen verboten zu sein, die nothwendig zu-<lb/>
sammen wohnen müssen.“</q> Beachtet wohl diese Wahrheit,<lb/>
um die weise Fürsorge der Kirche nicht bloß zu verstehen<lb/>
sondern zu würdigen. Ihr wisset es wohl, in wie viel-<lb/>
fachem Verkehre die Verwandtschaften stehen und häufig<lb/>
stehen müssen! Ihr arbeitet mit einander, helfet einander,<lb/>
machet gegenseitig Besuche und mit einander Ausflüge,<lb/>
wohnet unter demselben Dache, müsset häufig allein bei<lb/>
einander sein in Folge von Krankheiten und Geschäften<lb/>
und Besuchen. Wenn nun bei solchen Anlässen, trotz der<lb/>
natürlichen Ehrfurcht vor dem verwandten Blute, trotz<lb/>
der Heiligkeit der Ehe, trotz des Schutzes, den man nach<lb/>
göttlichem und natürlichem Rechte bei Verwandten<lb/>
finden muß, dennoch die zartesten Gefühle oft ver-<lb/>
letzt und die hl. Rechte zertreten werden, was würde<lb/>
erst geschehen bei der Aussicht, daß man sich gegenseitig<lb/>
ehelichen könne? O, wäre das Uebertreibung, wie glück-<lb/>
lich wären wir! Aber es ist nicht einmal die ganze Wahr-<lb/>
heit. Montesquieu behauptet geradezu: Man müßte durch<lb/>
Eheverbote eine unübersteigliche Schranke zwischen den<lb/>
beiden Geschlechtern aufrichten, um jede Art Sittenver-<lb/>
derben zu verhüten. (XXVI, 14.)</p><p>Ja noch weit mehr. Als in der französischen Revo-<lb/>
lution nicht bloß die katholische Religion, mit den letzten<lb/>
Spuren des Christenthums vernichtet schien, sondern sogar<lb/>
Gott im Himmel abgeschafft und abgesetzt war, soweit es<lb/>
die menschlichen Gesetze vermochten, konnte die Stimme<lb/>
der Natur doch nicht vollkommen erstickt werden, wenn auch<lb/>
die Menschen wie wilde Bestien geworden zu sein schienen.<lb/></p></div></body></text></TEI>
[140/0152]
Thomas (II. II. 9, 154, a. 9) bemerkt: Blutsverwandte
Personen stehen nothwendig in vielfachem Verkehre, deßhalb
wäre die Gelegenheit zur Verführung zu groß, wenn die
Ehe unter ihnen erlaubt wäre, und die Menschen unsittlich.
Darum scheint im alten Bunde besonders die Ehe der-
jenigen Personen verboten zu sein, die nothwendig zu-
sammen wohnen müssen.“ Beachtet wohl diese Wahrheit,
um die weise Fürsorge der Kirche nicht bloß zu verstehen
sondern zu würdigen. Ihr wisset es wohl, in wie viel-
fachem Verkehre die Verwandtschaften stehen und häufig
stehen müssen! Ihr arbeitet mit einander, helfet einander,
machet gegenseitig Besuche und mit einander Ausflüge,
wohnet unter demselben Dache, müsset häufig allein bei
einander sein in Folge von Krankheiten und Geschäften
und Besuchen. Wenn nun bei solchen Anlässen, trotz der
natürlichen Ehrfurcht vor dem verwandten Blute, trotz
der Heiligkeit der Ehe, trotz des Schutzes, den man nach
göttlichem und natürlichem Rechte bei Verwandten
finden muß, dennoch die zartesten Gefühle oft ver-
letzt und die hl. Rechte zertreten werden, was würde
erst geschehen bei der Aussicht, daß man sich gegenseitig
ehelichen könne? O, wäre das Uebertreibung, wie glück-
lich wären wir! Aber es ist nicht einmal die ganze Wahr-
heit. Montesquieu behauptet geradezu: Man müßte durch
Eheverbote eine unübersteigliche Schranke zwischen den
beiden Geschlechtern aufrichten, um jede Art Sittenver-
derben zu verhüten. (XXVI, 14.)
Ja noch weit mehr. Als in der französischen Revo-
lution nicht bloß die katholische Religion, mit den letzten
Spuren des Christenthums vernichtet schien, sondern sogar
Gott im Himmel abgeschafft und abgesetzt war, soweit es
die menschlichen Gesetze vermochten, konnte die Stimme
der Natur doch nicht vollkommen erstickt werden, wenn auch
die Menschen wie wilde Bestien geworden zu sein schienen.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Hug, Gallus Joseph: Die christliche Familie im Kampfe gegen feindliche Mächte. Vorträge über christliche Ehe und Erziehung. Freiburg (Schweiz), 1896, S. 140. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hug_familie_1896/152>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.