ihren Ausdruck im bekannten Sprichwort gefunden: "Keine Erben, oder Verderben, oder früh sterben." Solch' traurige Erfahrungen zeigt die Beob- achtung besonders in Bezug auf Taubstumme, Blödsinnige und Geistesschwache. Je öfter diese Gesetze der Natur und der Kirche in einer Familie übertreten werden, desto trauriger sind die Folgen bis zum gänzlichen Verderben und Aussterben. In dieser Beziehung erhebt de Maistre, einer der größten Denker der Neuzeit, warnend und bittend seine Stimme betreff der Verwandtschaftsehen der Könige und Fürsten, mit einem Freimuthe, der an die Propheten des alten Bundes erinnert. Er wünscht, sein Mahnruf möchte ein lautes Echo finden in den Hallen der Königspalaste und in den Säälen des Vatikans, daß die Fürsten keine derartige Dispens mehr verlangen, und die Päpste keine mehr geben.
Und doch droht die Ausnahme immer mehr wieder Gesetz zu werden! Mit Geschwisterkindern soll nur bei Fürsten dispensirt werden und nur dann, wenn das öffentliche Wohl ge- fährdet ist - sonst aber gar nie! So lautet die Vorschrift der Kirche! Aber heut zu Tage? Da sind so viele Bettler Fürsten geworden! Und oft welche Fürsten? Ich weiß wohl, daß nahe Verwandte ganz ehrfurchtsvoll um Dispens bitten und auch zufrieden sind, wenn dieselbe verweigert wird; aber wie oft und wie traurig gilt auch jenes Wort: "Man muß nur schlecht sein, um Dispens zu erhalten" oder "wir heirathen civil."
Oder ist es nicht traurig und aller Thränen werth, wenn Zucht und Sitte unter den nächsten Verwandten der- art gesunken, daß nur die Ehe den Sünden und Aerger- nissen ein Ende macht. Ist es nicht überaus kläglich, wenn man mit der Civilehe droht, falls keine Dispens
ihren Ausdruck im bekannten Sprichwort gefunden: „Keine Erben, oder Verderben, oder früh sterben.“ Solch' traurige Erfahrungen zeigt die Beob- achtung besonders in Bezug auf Taubstumme, Blödsinnige und Geistesschwache. Je öfter diese Gesetze der Natur und der Kirche in einer Familie übertreten werden, desto trauriger sind die Folgen bis zum gänzlichen Verderben und Aussterben. In dieser Beziehung erhebt de Maistre, einer der größten Denker der Neuzeit, warnend und bittend seine Stimme betreff der Verwandtschaftsehen der Könige und Fürsten, mit einem Freimuthe, der an die Propheten des alten Bundes erinnert. Er wünscht, sein Mahnruf möchte ein lautes Echo finden in den Hallen der Königspalaste und in den Säälen des Vatikans, daß die Fürsten keine derartige Dispens mehr verlangen, und die Päpste keine mehr geben.
Und doch droht die Ausnahme immer mehr wieder Gesetz zu werden! Mit Geschwisterkindern soll nur bei Fürsten dispensirt werden und nur dann, wenn das öffentliche Wohl ge- fährdet ist – sonst aber gar nie! So lautet die Vorschrift der Kirche! Aber heut zu Tage? Da sind so viele Bettler Fürsten geworden! Und oft welche Fürsten? Ich weiß wohl, daß nahe Verwandte ganz ehrfurchtsvoll um Dispens bitten und auch zufrieden sind, wenn dieselbe verweigert wird; aber wie oft und wie traurig gilt auch jenes Wort: „Man muß nur schlecht sein, um Dispens zu erhalten“ oder „wir heirathen civil.“
Oder ist es nicht traurig und aller Thränen werth, wenn Zucht und Sitte unter den nächsten Verwandten der- art gesunken, daß nur die Ehe den Sünden und Aerger- nissen ein Ende macht. Ist es nicht überaus kläglich, wenn man mit der Civilehe droht, falls keine Dispens
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ihren Ausdruck im bekannten Sprichwort gefunden:
„Keine Erben, oder Verderben, oder früh
sterben.“ Solch' traurige Erfahrungen zeigt die Beob-
achtung besonders in Bezug auf Taubstumme, Blödsinnige
und Geistesschwache. Je öfter diese Gesetze der Natur
und der Kirche in einer Familie übertreten werden, desto
trauriger sind die Folgen bis zum gänzlichen Verderben
und Aussterben. In dieser Beziehung erhebt de Maistre,
einer der größten Denker der Neuzeit, warnend und
bittend seine Stimme betreff der Verwandtschaftsehen der
Könige und Fürsten, mit einem Freimuthe, der an die
Propheten des alten Bundes erinnert. Er wünscht, sein
Mahnruf möchte ein lautes Echo finden in den Hallen
der Königspalaste und in den Säälen des Vatikans, daß
die Fürsten keine derartige Dispens mehr
verlangen, und die Päpste keine mehr
geben.
Und doch droht die Ausnahme immer mehr wieder
Gesetz zu werden! Mit Geschwisterkindern
soll nur bei Fürsten dispensirt werden und
nur dann, wenn das öffentliche Wohl ge-
fährdet ist – sonst aber gar nie! So lautet
die Vorschrift der Kirche! Aber heut zu Tage? Da sind
so viele Bettler Fürsten geworden! Und oft welche Fürsten?
Ich weiß wohl, daß nahe Verwandte ganz ehrfurchtsvoll
um Dispens bitten und auch zufrieden sind, wenn dieselbe
verweigert wird; aber wie oft und wie traurig gilt auch
jenes Wort: „Man muß nur schlecht sein, um Dispens
zu erhalten“ oder „wir heirathen civil.“
Oder ist es nicht traurig und aller Thränen werth,
wenn Zucht und Sitte unter den nächsten Verwandten der-
art gesunken, daß nur die Ehe den Sünden und Aerger-
nissen ein Ende macht. Ist es nicht überaus kläglich,
wenn man mit der Civilehe droht, falls keine Dispens
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Hug, Gallus Joseph: Die christliche Familie im Kampfe gegen feindliche Mächte. Vorträge über christliche Ehe und Erziehung. Freiburg (Schweiz), 1896, S. 143. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hug_familie_1896/155>, abgerufen am 24.11.2024.
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