Das ist die Abtödtung. Diese Neigungen bilden den sinn- lichen Theil unserer Natur. Wenn wir nun dieser zurufen: Du bist gar nicht sinnlich und, wenn du noch sinnlich sein willst, so darfst du nicht mehr nach deiner Sinnlich- keit handeln, so verleugnen wir dieselbe nach der Mah- nung Jesu Christi. Diese Kunst der Selbstverleugnung und Abtödtung ist auf dem Gebiete der Erziehung heut- zutage fast ganz verloren gegangen, und wo sie noch geübt wird, ist das nur um Ueberwindung vieler Schwie- rigkeiten möglich.
Oder was sehen die Kinder oft an ihren Eltern? An größern Geschwistern? An Verwandten und Be- kannten? Welche Beispiele der Genußsucht, der Feigheit, der Trägheit, der Ausschweifungen? Da stehen wir schrecklich tief. Vor einigen Jahren wurde in einer katholischen Schweizer Stadt ein Theaterstück aufgeführt, das selbst für die Erwachsenen mit größten Gefahren verbunden ist, ganz geeignet, die schlimmsten Leidenschaften fürchterlich aufzuregen. Um ein volles Haus zu erhalten wurde gestattet, je einen Repräsentanten der häuslichen Jugend gratis ins Theater zu führen. Um Erwachsene für ein gefährliches Spiel zahlreich zu gewinnen, ist man bereit, in den Herzen der Jugend das gefährliche Feuer anzuzünden: Ein katholisches Blatt trägt diese Einladung in katholische Familien! Ist das Kurzsichtigkeit, Gedanken- losigkeit, Geldliebe - oder alles zusammen? -
Es ist jedenfalls ein Zeichen, wie bei der Erzie- hung der Jugend nicht bloß die christliche Weltanschauung, sondern sogar der gesunde Menschenverstand vielfach Schiffbruch gelitten; wie man zum Verderben der Jugend auffordern darf, ohne einen allgemeinen Sturm des Un- willens fürchten zu müssen. Und das geschieht an jenem Holze, welches, ich sage nicht - wirklich grün ist - aber doch als solches gelten will.
Das ist die Abtödtung. Diese Neigungen bilden den sinn- lichen Theil unserer Natur. Wenn wir nun dieser zurufen: Du bist gar nicht sinnlich und, wenn du noch sinnlich sein willst, so darfst du nicht mehr nach deiner Sinnlich- keit handeln, so verleugnen wir dieselbe nach der Mah- nung Jesu Christi. Diese Kunst der Selbstverleugnung und Abtödtung ist auf dem Gebiete der Erziehung heut- zutage fast ganz verloren gegangen, und wo sie noch geübt wird, ist das nur um Ueberwindung vieler Schwie- rigkeiten möglich.
Oder was sehen die Kinder oft an ihren Eltern? An größern Geschwistern? An Verwandten und Be- kannten? Welche Beispiele der Genußsucht, der Feigheit, der Trägheit, der Ausschweifungen? Da stehen wir schrecklich tief. Vor einigen Jahren wurde in einer katholischen Schweizer Stadt ein Theaterstück aufgeführt, das selbst für die Erwachsenen mit größten Gefahren verbunden ist, ganz geeignet, die schlimmsten Leidenschaften fürchterlich aufzuregen. Um ein volles Haus zu erhalten wurde gestattet, je einen Repräsentanten der häuslichen Jugend gratis ins Theater zu führen. Um Erwachsene für ein gefährliches Spiel zahlreich zu gewinnen, ist man bereit, in den Herzen der Jugend das gefährliche Feuer anzuzünden: Ein katholisches Blatt trägt diese Einladung in katholische Familien! Ist das Kurzsichtigkeit, Gedanken- losigkeit, Geldliebe – oder alles zusammen? –
Es ist jedenfalls ein Zeichen, wie bei der Erzie- hung der Jugend nicht bloß die christliche Weltanschauung, sondern sogar der gesunde Menschenverstand vielfach Schiffbruch gelitten; wie man zum Verderben der Jugend auffordern darf, ohne einen allgemeinen Sturm des Un- willens fürchten zu müssen. Und das geschieht an jenem Holze, welches, ich sage nicht – wirklich grün ist – aber doch als solches gelten will.
<TEI><text><body><divn="23"><p><pbfacs="#f0231"xml:id="H891_001_1896_pb0219_0001"n="219"/>
Das ist die Abtödtung. Diese Neigungen bilden den sinn-<lb/>
lichen Theil unserer Natur. Wenn wir nun dieser zurufen:<lb/>
Du bist gar nicht sinnlich und, wenn du noch sinnlich<lb/>
sein willst, so darfst du nicht mehr nach deiner Sinnlich-<lb/>
keit handeln, so verleugnen wir dieselbe nach der Mah-<lb/>
nung Jesu Christi. Diese Kunst der Selbstverleugnung<lb/>
und Abtödtung ist auf dem Gebiete der Erziehung heut-<lb/>
zutage fast ganz verloren gegangen, und wo sie noch<lb/>
geübt wird, ist das nur um Ueberwindung vieler Schwie-<lb/>
rigkeiten möglich.</p><p>Oder was sehen die Kinder oft an ihren Eltern?<lb/>
An größern Geschwistern? An Verwandten und Be-<lb/>
kannten? Welche Beispiele der Genußsucht, der Feigheit,<lb/>
der Trägheit, der Ausschweifungen? Da stehen wir<lb/>
schrecklich tief. Vor einigen Jahren wurde in einer<lb/>
katholischen Schweizer Stadt ein Theaterstück aufgeführt,<lb/>
das selbst für die Erwachsenen mit größten Gefahren<lb/>
verbunden ist, ganz geeignet, die schlimmsten Leidenschaften<lb/>
fürchterlich aufzuregen. Um ein volles Haus zu erhalten<lb/>
wurde gestattet, je einen Repräsentanten der häuslichen<lb/>
Jugend gratis ins Theater zu führen. Um Erwachsene<lb/>
für ein gefährliches Spiel zahlreich zu gewinnen, ist man<lb/>
bereit, in den Herzen der Jugend das gefährliche Feuer<lb/>
anzuzünden: Ein katholisches Blatt trägt diese Einladung<lb/>
in katholische Familien! Ist das Kurzsichtigkeit, Gedanken-<lb/>
losigkeit, Geldliebe – oder alles zusammen? –</p><p>Es ist jedenfalls ein Zeichen, wie bei der Erzie-<lb/>
hung der Jugend nicht bloß die christliche Weltanschauung,<lb/>
sondern sogar der gesunde Menschenverstand vielfach<lb/>
Schiffbruch gelitten; wie man zum Verderben der Jugend<lb/>
auffordern darf, ohne einen allgemeinen Sturm des Un-<lb/>
willens fürchten zu müssen. Und das geschieht an jenem<lb/>
Holze, welches, ich sage nicht – wirklich grün ist –<lb/>
aber doch als solches gelten will.</p></div></body></text></TEI>
[219/0231]
Das ist die Abtödtung. Diese Neigungen bilden den sinn-
lichen Theil unserer Natur. Wenn wir nun dieser zurufen:
Du bist gar nicht sinnlich und, wenn du noch sinnlich
sein willst, so darfst du nicht mehr nach deiner Sinnlich-
keit handeln, so verleugnen wir dieselbe nach der Mah-
nung Jesu Christi. Diese Kunst der Selbstverleugnung
und Abtödtung ist auf dem Gebiete der Erziehung heut-
zutage fast ganz verloren gegangen, und wo sie noch
geübt wird, ist das nur um Ueberwindung vieler Schwie-
rigkeiten möglich.
Oder was sehen die Kinder oft an ihren Eltern?
An größern Geschwistern? An Verwandten und Be-
kannten? Welche Beispiele der Genußsucht, der Feigheit,
der Trägheit, der Ausschweifungen? Da stehen wir
schrecklich tief. Vor einigen Jahren wurde in einer
katholischen Schweizer Stadt ein Theaterstück aufgeführt,
das selbst für die Erwachsenen mit größten Gefahren
verbunden ist, ganz geeignet, die schlimmsten Leidenschaften
fürchterlich aufzuregen. Um ein volles Haus zu erhalten
wurde gestattet, je einen Repräsentanten der häuslichen
Jugend gratis ins Theater zu führen. Um Erwachsene
für ein gefährliches Spiel zahlreich zu gewinnen, ist man
bereit, in den Herzen der Jugend das gefährliche Feuer
anzuzünden: Ein katholisches Blatt trägt diese Einladung
in katholische Familien! Ist das Kurzsichtigkeit, Gedanken-
losigkeit, Geldliebe – oder alles zusammen? –
Es ist jedenfalls ein Zeichen, wie bei der Erzie-
hung der Jugend nicht bloß die christliche Weltanschauung,
sondern sogar der gesunde Menschenverstand vielfach
Schiffbruch gelitten; wie man zum Verderben der Jugend
auffordern darf, ohne einen allgemeinen Sturm des Un-
willens fürchten zu müssen. Und das geschieht an jenem
Holze, welches, ich sage nicht – wirklich grün ist –
aber doch als solches gelten will.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Hug, Gallus Joseph: Die christliche Familie im Kampfe gegen feindliche Mächte. Vorträge über christliche Ehe und Erziehung. Freiburg (Schweiz), 1896, S. 219. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hug_familie_1896/231>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.