Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859.

Bild:
<< vorherige Seite

den Pik von Tenerifa nur ein Hügel ist, hat der Krater einen
fünfmal größeren Durchmesser. Bedenkt man, daß sehr hohe
Vulkane aus ihrem Gipfel weniger Stoffe auswerfen als aus
Seitenspalten, so könnte man versucht sein anzunehmen, daß,
je niedriger die Vulkane sind, ihre Krater, bei gleicher Kraft
und Thätigkeit, desto größer sein müßten. Allerdings gibt
es ungeheure Vulkane in den Anden, die nur sehr kleine Oeff-
nungen haben, und man könnte es als ein geologisches Gesetz
hinstellen, daß die kolossalsten Berge auf ihren Gipfeln nur
Krater von geringem Umfang haben, wenn sich nicht in den
Kordilleren mehrere Beispiele 1 des gegenteiligen Verhaltens
fänden. Ich werde im Verfolg Gelegenheit finden, zahlreiche
Thatsachen anzuführen, welche einst auf das, was man den
äußeren Bau der Vulkane nennen kann, einiges Licht werfen
könnten. Dieser Bau ist so mannigfaltig als die vulkanischen
Erscheinungen selbst, und will man sich zu geologischen Vor-
stellungen erheben, die der Größe der Natur würdig sind, so
muß man die Meinung aufgeben, als ob alle Vulkane nach
dem Muster des Vesuv, des Stromboli und des Aetna gebaut
wären.

Die äußeren Ränder der Caldera sind beinahe senkrecht;
sie stellen sich ungefähr dar wie die Somma, vom Atrio dei
Cavalli aus gesehen. Wir stiegen auf den Boden des Kraters
auf einem Streif zerbrochener Laven, der zu der Lücke in der
Umfangsmauer hinaufläuft. Hitze war nur über einigen
Spalten zu spüren, aus denen Wasserdampf mit einem eigen-
tümlichen Sumsen strömte. Einige dieser Luftlöcher oder
Spalten befinden sich außerhalb des Kraterumfanges, am
äußeren Rand der Brüstung, welche den Krater umgibt. Ein
in dieselben gebrachter Thermometer stieg rasch auf 68 und 75°.
Er zeigte ohne Zweifel eine noch höhere Temperatur an, aber
wir konnten das Instrument erst ansehen, nachdem wir es
herausgezogen, wollten wir uns nicht die Hände verbrennen.
Cordier hat mehrere Spalten gefunden, in denen die Hitze
der des siedenden Wassers gleich war. Man könnte glauben,
diese Dämpfe, die stoßweise hervorkommen, enthalten Salz-
säure oder Schwefelsäure; läßt man sie aber an einem kalten
Körper sich verdichten, zeigen sie keinen besonderen Geschmack,

1 Die großen Vulkane Cotopaxi und Rucupichincha haben nach
meinen Messungen Krater mit Diametern von mehr als 975 und
1365 m.

den Pik von Tenerifa nur ein Hügel iſt, hat der Krater einen
fünfmal größeren Durchmeſſer. Bedenkt man, daß ſehr hohe
Vulkane aus ihrem Gipfel weniger Stoffe auswerfen als aus
Seitenſpalten, ſo könnte man verſucht ſein anzunehmen, daß,
je niedriger die Vulkane ſind, ihre Krater, bei gleicher Kraft
und Thätigkeit, deſto größer ſein müßten. Allerdings gibt
es ungeheure Vulkane in den Anden, die nur ſehr kleine Oeff-
nungen haben, und man könnte es als ein geologiſches Geſetz
hinſtellen, daß die koloſſalſten Berge auf ihren Gipfeln nur
Krater von geringem Umfang haben, wenn ſich nicht in den
Kordilleren mehrere Beiſpiele 1 des gegenteiligen Verhaltens
fänden. Ich werde im Verfolg Gelegenheit finden, zahlreiche
Thatſachen anzuführen, welche einſt auf das, was man den
äußeren Bau der Vulkane nennen kann, einiges Licht werfen
könnten. Dieſer Bau iſt ſo mannigfaltig als die vulkaniſchen
Erſcheinungen ſelbſt, und will man ſich zu geologiſchen Vor-
ſtellungen erheben, die der Größe der Natur würdig ſind, ſo
muß man die Meinung aufgeben, als ob alle Vulkane nach
dem Muſter des Veſuv, des Stromboli und des Aetna gebaut
wären.

Die äußeren Ränder der Caldera ſind beinahe ſenkrecht;
ſie ſtellen ſich ungefähr dar wie die Somma, vom Atrio dei
Cavalli aus geſehen. Wir ſtiegen auf den Boden des Kraters
auf einem Streif zerbrochener Laven, der zu der Lücke in der
Umfangsmauer hinaufläuft. Hitze war nur über einigen
Spalten zu ſpüren, aus denen Waſſerdampf mit einem eigen-
tümlichen Sumſen ſtrömte. Einige dieſer Luftlöcher oder
Spalten befinden ſich außerhalb des Kraterumfanges, am
äußeren Rand der Brüſtung, welche den Krater umgibt. Ein
in dieſelben gebrachter Thermometer ſtieg raſch auf 68 und 75°.
Er zeigte ohne Zweifel eine noch höhere Temperatur an, aber
wir konnten das Inſtrument erſt anſehen, nachdem wir es
herausgezogen, wollten wir uns nicht die Hände verbrennen.
Cordier hat mehrere Spalten gefunden, in denen die Hitze
der des ſiedenden Waſſers gleich war. Man könnte glauben,
dieſe Dämpfe, die ſtoßweiſe hervorkommen, enthalten Salz-
ſäure oder Schwefelſäure; läßt man ſie aber an einem kalten
Körper ſich verdichten, zeigen ſie keinen beſonderen Geſchmack,

1 Die großen Vulkane Cotopaxi und Rucupichincha haben nach
meinen Meſſungen Krater mit Diametern von mehr als 975 und
1365 m.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0104" n="88"/>
den Pik von Tenerifa nur ein Hügel i&#x017F;t, hat der Krater einen<lb/>
fünfmal größeren Durchme&#x017F;&#x017F;er. Bedenkt man, daß &#x017F;ehr hohe<lb/>
Vulkane aus ihrem Gipfel weniger Stoffe auswerfen als aus<lb/>
Seiten&#x017F;palten, &#x017F;o könnte man ver&#x017F;ucht &#x017F;ein anzunehmen, daß,<lb/>
je niedriger die Vulkane &#x017F;ind, ihre Krater, bei gleicher Kraft<lb/>
und Thätigkeit, de&#x017F;to größer &#x017F;ein müßten. Allerdings gibt<lb/>
es ungeheure Vulkane in den Anden, die nur &#x017F;ehr kleine Oeff-<lb/>
nungen haben, und man könnte es als ein geologi&#x017F;ches Ge&#x017F;etz<lb/>
hin&#x017F;tellen, daß die kolo&#x017F;&#x017F;al&#x017F;ten Berge auf ihren Gipfeln nur<lb/>
Krater von geringem Umfang haben, wenn &#x017F;ich nicht in den<lb/>
Kordilleren mehrere Bei&#x017F;piele <note place="foot" n="1">Die großen Vulkane Cotopaxi und Rucupichincha haben nach<lb/>
meinen Me&#x017F;&#x017F;ungen Krater mit Diametern von mehr als 975 und<lb/>
1365 <hi rendition="#aq">m.</hi></note> des gegenteiligen Verhaltens<lb/>
fänden. Ich werde im Verfolg Gelegenheit finden, zahlreiche<lb/>
That&#x017F;achen anzuführen, welche ein&#x017F;t auf das, was man den<lb/>
äußeren Bau der Vulkane nennen kann, einiges Licht werfen<lb/>
könnten. Die&#x017F;er Bau i&#x017F;t &#x017F;o mannigfaltig als die vulkani&#x017F;chen<lb/>
Er&#x017F;cheinungen &#x017F;elb&#x017F;t, und will man &#x017F;ich zu geologi&#x017F;chen Vor-<lb/>
&#x017F;tellungen erheben, die der Größe der Natur würdig &#x017F;ind, &#x017F;o<lb/>
muß man die Meinung aufgeben, als ob alle Vulkane nach<lb/>
dem Mu&#x017F;ter des Ve&#x017F;uv, des Stromboli und des Aetna gebaut<lb/>
wären.</p><lb/>
          <p>Die äußeren Ränder der <hi rendition="#g">Caldera</hi> &#x017F;ind beinahe &#x017F;enkrecht;<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;tellen &#x017F;ich ungefähr dar wie die Somma, vom Atrio dei<lb/>
Cavalli aus ge&#x017F;ehen. Wir &#x017F;tiegen auf den Boden des Kraters<lb/>
auf einem Streif zerbrochener Laven, der zu der Lücke in der<lb/>
Umfangsmauer hinaufläuft. Hitze war nur über einigen<lb/>
Spalten zu &#x017F;püren, aus denen Wa&#x017F;&#x017F;erdampf mit einem eigen-<lb/>
tümlichen Sum&#x017F;en &#x017F;trömte. Einige die&#x017F;er Luftlöcher oder<lb/>
Spalten befinden &#x017F;ich außerhalb des Kraterumfanges, am<lb/>
äußeren Rand der Brü&#x017F;tung, welche den Krater umgibt. Ein<lb/>
in die&#x017F;elben gebrachter Thermometer &#x017F;tieg ra&#x017F;ch auf 68 und 75°.<lb/>
Er zeigte ohne Zweifel eine noch höhere Temperatur an, aber<lb/>
wir konnten das In&#x017F;trument er&#x017F;t an&#x017F;ehen, nachdem wir es<lb/>
herausgezogen, wollten wir uns nicht die Hände verbrennen.<lb/>
Cordier hat mehrere Spalten gefunden, in denen die Hitze<lb/>
der des &#x017F;iedenden Wa&#x017F;&#x017F;ers gleich war. Man könnte glauben,<lb/>
die&#x017F;e Dämpfe, die &#x017F;toßwei&#x017F;e hervorkommen, enthalten Salz-<lb/>
&#x017F;äure oder Schwefel&#x017F;äure; läßt man &#x017F;ie aber an einem kalten<lb/>
Körper &#x017F;ich verdichten, zeigen &#x017F;ie keinen be&#x017F;onderen Ge&#x017F;chmack,<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[88/0104] den Pik von Tenerifa nur ein Hügel iſt, hat der Krater einen fünfmal größeren Durchmeſſer. Bedenkt man, daß ſehr hohe Vulkane aus ihrem Gipfel weniger Stoffe auswerfen als aus Seitenſpalten, ſo könnte man verſucht ſein anzunehmen, daß, je niedriger die Vulkane ſind, ihre Krater, bei gleicher Kraft und Thätigkeit, deſto größer ſein müßten. Allerdings gibt es ungeheure Vulkane in den Anden, die nur ſehr kleine Oeff- nungen haben, und man könnte es als ein geologiſches Geſetz hinſtellen, daß die koloſſalſten Berge auf ihren Gipfeln nur Krater von geringem Umfang haben, wenn ſich nicht in den Kordilleren mehrere Beiſpiele 1 des gegenteiligen Verhaltens fänden. Ich werde im Verfolg Gelegenheit finden, zahlreiche Thatſachen anzuführen, welche einſt auf das, was man den äußeren Bau der Vulkane nennen kann, einiges Licht werfen könnten. Dieſer Bau iſt ſo mannigfaltig als die vulkaniſchen Erſcheinungen ſelbſt, und will man ſich zu geologiſchen Vor- ſtellungen erheben, die der Größe der Natur würdig ſind, ſo muß man die Meinung aufgeben, als ob alle Vulkane nach dem Muſter des Veſuv, des Stromboli und des Aetna gebaut wären. Die äußeren Ränder der Caldera ſind beinahe ſenkrecht; ſie ſtellen ſich ungefähr dar wie die Somma, vom Atrio dei Cavalli aus geſehen. Wir ſtiegen auf den Boden des Kraters auf einem Streif zerbrochener Laven, der zu der Lücke in der Umfangsmauer hinaufläuft. Hitze war nur über einigen Spalten zu ſpüren, aus denen Waſſerdampf mit einem eigen- tümlichen Sumſen ſtrömte. Einige dieſer Luftlöcher oder Spalten befinden ſich außerhalb des Kraterumfanges, am äußeren Rand der Brüſtung, welche den Krater umgibt. Ein in dieſelben gebrachter Thermometer ſtieg raſch auf 68 und 75°. Er zeigte ohne Zweifel eine noch höhere Temperatur an, aber wir konnten das Inſtrument erſt anſehen, nachdem wir es herausgezogen, wollten wir uns nicht die Hände verbrennen. Cordier hat mehrere Spalten gefunden, in denen die Hitze der des ſiedenden Waſſers gleich war. Man könnte glauben, dieſe Dämpfe, die ſtoßweiſe hervorkommen, enthalten Salz- ſäure oder Schwefelſäure; läßt man ſie aber an einem kalten Körper ſich verdichten, zeigen ſie keinen beſonderen Geſchmack, 1 Die großen Vulkane Cotopaxi und Rucupichincha haben nach meinen Meſſungen Krater mit Diametern von mehr als 975 und 1365 m.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial01_1859
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial01_1859/104
Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859, S. 88. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial01_1859/104>, abgerufen am 21.11.2024.