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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859.

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vorkommen; im allgemeinen aber beginnt die Vegetation in
den Ländern in der Nähe der Tropen nicht mit Flechten und
Moosen. Auf den Kanarien, wie in Guinea und an den
Felsenküsten von Peru sind es die Saftpflanzen, die den
Grund zur Dammerde legen, Gewächse, deren mit unzähligen
Oeffnungen und Hauptgefäßen versehene Blätter der um-
gebenden Luft das darin aufgelöste Wasser entziehen. Sie
wachsen in den Ritzen des vulkanischen Gesteins und bil-
den gleichsam die erste vegetabilische Schicht, womit sich die
Lavaströme überziehen. Ueberall wo die Laven verschlackt
sind oder eine glänzende Oberfläche haben, wie die Basalt-
kuppen im Norden von Lanzarote, entwickelt sich die Vege-
tation ungemein langsam darauf, und es vergehen mehrere
Jahrhunderte, bis Buschwerk darauf wächst. Nur wenn die
Lava mit Tuff und Asche bedeckt ist, verliert sich auf vul-
kanischen Eilanden die Kahlheit, die sie in der ersten Zeit
nach ihrer Bildung auszeichnet, und schmücken sie sich mit
einer üppigen glänzenden Pflanzendecke.

In seinem gegenwärtigen Zustand zeigt die Insel Tenerifa
oder das Chinerfe 1 der Guanchen fünf Pflanzenzonen, die
man bezeichnen kann als die Regionen der Weinreben, der
Lorbeeren, der Fichten, der Retama, der Gräser. Diese Zonen
liegen am steilen Abhang des Piks wie Stockwerke über-
einander und haben 1462 m senkrechte Höhe, während 15°
weiter gegen Norden in den Pyrenäen der Schnee bereits zu
2530 bis 2725 m absoluter Höhe erreicht. Wenn auf Tenerifa
die Pflanzen nicht bis zum Gipfel des Vulkans vordringen,
so rührt dies nicht daher, weil ewiges Eis 2 und die Kälte

1 Aus Chinerfe haben die Europäer durch Korruption
Tschineriffe, Tenerifa gemacht.
2 Obgleich der Pik von Tenerifa sich nur in den Winter-
monaten mit Schnee bedeckt, könnte der Vulkan doch die seiner
Breite entsprechende Schneegrenze erreichen, und wenn er Sommers
ganz schneefrei ist, so könnte dies nur von der freien Lage des
Berges in der weiten See, von der Häufigkeit aufsteigender
sehr warmer Winde oder von der hohen Temperatur der Asche des
Piton herrühren. Beim gegenwärtigen Stand unserer Kenntnisse
lassen sich diese Zweifel nicht heben. Vom Parallel der Berge
Mexikos bis zum Parallel der Pyrenäen und der Alpen, zwischen
dem 20. und dem 45. Grad ist die Kurve des ewigen Schnees
durch keine direkte Messung bestimmt worden, und da sich durch die
wenigen Punkte, welche uns unter 0°, 20°, 45°, 62° und 71° nörd-

vorkommen; im allgemeinen aber beginnt die Vegetation in
den Ländern in der Nähe der Tropen nicht mit Flechten und
Mooſen. Auf den Kanarien, wie in Guinea und an den
Felſenküſten von Peru ſind es die Saftpflanzen, die den
Grund zur Dammerde legen, Gewächſe, deren mit unzähligen
Oeffnungen und Hauptgefäßen verſehene Blätter der um-
gebenden Luft das darin aufgelöſte Waſſer entziehen. Sie
wachſen in den Ritzen des vulkaniſchen Geſteins und bil-
den gleichſam die erſte vegetabiliſche Schicht, womit ſich die
Lavaſtröme überziehen. Ueberall wo die Laven verſchlackt
ſind oder eine glänzende Oberfläche haben, wie die Baſalt-
kuppen im Norden von Lanzarote, entwickelt ſich die Vege-
tation ungemein langſam darauf, und es vergehen mehrere
Jahrhunderte, bis Buſchwerk darauf wächſt. Nur wenn die
Lava mit Tuff und Aſche bedeckt iſt, verliert ſich auf vul-
kaniſchen Eilanden die Kahlheit, die ſie in der erſten Zeit
nach ihrer Bildung auszeichnet, und ſchmücken ſie ſich mit
einer üppigen glänzenden Pflanzendecke.

In ſeinem gegenwärtigen Zuſtand zeigt die Inſel Tenerifa
oder das Chinerfe 1 der Guanchen fünf Pflanzenzonen, die
man bezeichnen kann als die Regionen der Weinreben, der
Lorbeeren, der Fichten, der Retama, der Gräſer. Dieſe Zonen
liegen am ſteilen Abhang des Piks wie Stockwerke über-
einander und haben 1462 m ſenkrechte Höhe, während 15°
weiter gegen Norden in den Pyrenäen der Schnee bereits zu
2530 bis 2725 m abſoluter Höhe erreicht. Wenn auf Tenerifa
die Pflanzen nicht bis zum Gipfel des Vulkans vordringen,
ſo rührt dies nicht daher, weil ewiges Eis 2 und die Kälte

1 Aus Chinerfe haben die Europäer durch Korruption
Tſchineriffe, Tenerifa gemacht.
2 Obgleich der Pik von Tenerifa ſich nur in den Winter-
monaten mit Schnee bedeckt, könnte der Vulkan doch die ſeiner
Breite entſprechende Schneegrenze erreichen, und wenn er Sommers
ganz ſchneefrei iſt, ſo könnte dies nur von der freien Lage des
Berges in der weiten See, von der Häufigkeit aufſteigender
ſehr warmer Winde oder von der hohen Temperatur der Aſche des
Piton herrühren. Beim gegenwärtigen Stand unſerer Kenntniſſe
laſſen ſich dieſe Zweifel nicht heben. Vom Parallel der Berge
Mexikos bis zum Parallel der Pyrenäen und der Alpen, zwiſchen
dem 20. und dem 45. Grad iſt die Kurve des ewigen Schnees
durch keine direkte Meſſung beſtimmt worden, und da ſich durch die
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[109/0125] vorkommen; im allgemeinen aber beginnt die Vegetation in den Ländern in der Nähe der Tropen nicht mit Flechten und Mooſen. Auf den Kanarien, wie in Guinea und an den Felſenküſten von Peru ſind es die Saftpflanzen, die den Grund zur Dammerde legen, Gewächſe, deren mit unzähligen Oeffnungen und Hauptgefäßen verſehene Blätter der um- gebenden Luft das darin aufgelöſte Waſſer entziehen. Sie wachſen in den Ritzen des vulkaniſchen Geſteins und bil- den gleichſam die erſte vegetabiliſche Schicht, womit ſich die Lavaſtröme überziehen. Ueberall wo die Laven verſchlackt ſind oder eine glänzende Oberfläche haben, wie die Baſalt- kuppen im Norden von Lanzarote, entwickelt ſich die Vege- tation ungemein langſam darauf, und es vergehen mehrere Jahrhunderte, bis Buſchwerk darauf wächſt. Nur wenn die Lava mit Tuff und Aſche bedeckt iſt, verliert ſich auf vul- kaniſchen Eilanden die Kahlheit, die ſie in der erſten Zeit nach ihrer Bildung auszeichnet, und ſchmücken ſie ſich mit einer üppigen glänzenden Pflanzendecke. In ſeinem gegenwärtigen Zuſtand zeigt die Inſel Tenerifa oder das Chinerfe 1 der Guanchen fünf Pflanzenzonen, die man bezeichnen kann als die Regionen der Weinreben, der Lorbeeren, der Fichten, der Retama, der Gräſer. Dieſe Zonen liegen am ſteilen Abhang des Piks wie Stockwerke über- einander und haben 1462 m ſenkrechte Höhe, während 15° weiter gegen Norden in den Pyrenäen der Schnee bereits zu 2530 bis 2725 m abſoluter Höhe erreicht. Wenn auf Tenerifa die Pflanzen nicht bis zum Gipfel des Vulkans vordringen, ſo rührt dies nicht daher, weil ewiges Eis 2 und die Kälte 1 Aus Chinerfe haben die Europäer durch Korruption Tſchineriffe, Tenerifa gemacht. 2 Obgleich der Pik von Tenerifa ſich nur in den Winter- monaten mit Schnee bedeckt, könnte der Vulkan doch die ſeiner Breite entſprechende Schneegrenze erreichen, und wenn er Sommers ganz ſchneefrei iſt, ſo könnte dies nur von der freien Lage des Berges in der weiten See, von der Häufigkeit aufſteigender ſehr warmer Winde oder von der hohen Temperatur der Aſche des Piton herrühren. Beim gegenwärtigen Stand unſerer Kenntniſſe laſſen ſich dieſe Zweifel nicht heben. Vom Parallel der Berge Mexikos bis zum Parallel der Pyrenäen und der Alpen, zwiſchen dem 20. und dem 45. Grad iſt die Kurve des ewigen Schnees durch keine direkte Meſſung beſtimmt worden, und da ſich durch die wenigen Punkte, welche uns unter 0°, 20°, 45°, 62° und 71° nörd-

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859, S. 109. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial01_1859/125>, abgerufen am 24.11.2024.