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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859.

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haftem Wuchs beschattet. Ein Fluß, dessen Temperatur zur
Zeit des Hochwassers auf 22° fällt, während der Thermo-
meter an der Luft auf 30 bis 33° steht, ist eine unschätzbare
Wohlthat in einem Lande, wo das ganze Jahr eine furcht-
bare Hitze herrscht und man den Trieb hat, mehrere Male des
Tags zu baden. Die Kinder bringen so zu sagen einen Teil
ihres Lebens im Wasser zu; alle Einwohner, selbst die weib-
lichen Glieder der reichsten Familien, können schwimmen, und
in einem Lande, wo der Mensch dem Naturstande noch so
nahe ist, hat man sich, wenn man morgens einander begegnet,
nichts Wichtigeres zu fragen, als ob der Fluß heute kühler
sei als gestern. Man hat verschiedene Bademethoden. So
besuchten wir jeden Abend einen Zirkel sehr achtungswerter
Personen in der Vorstadt der Guaykari. Da stellte man
bei schönem Mondschein Stühle ins Wasser; Männer und
Frauen waren leicht gekleidet, wie in manchen Bädern des
nördlichen Europas, und die Familie und die Fremden blieben
ein paar Stunden im Flusse sitzen, rauchten Cigarren dazu
und unterhielten sich nach Landessitte von der ungemeinen
Trockenheit der Jahreszeit, vom starken Regenfall in den be-
nachbarten Distrikten, besonders aber vom Luxus, den die
Damen in Cumana den Damen in Caracas und Havana zum
Vorwurf machen. Durch die Bavas oder kleinen Krokodile,
die jetzt sehr selten sind und den Menschen nahe kommen,
ohne anzugreifen, ließ sich die Gesellschaft durchaus nicht stören.
Diese Tiere sind 1 bis 1,3 m lang; wir haben nie eines im
Manzanares gesehen, wohl aber Delphine, die zuweilen bei
Nacht im Flusse heraufkommen und die Badenden erschrecken,
wenn sie durch ihre Luftlöcher Wasser spritzen.

Der Hafen von Cumana ist eine Reede, welche die Flotten
von ganz Europa aufnehmen könnte. Der ganze Meerbusen
von Cariaco, der 67 km lang und 11 bis 15 km breit ist, bietet
vortrefflichen Ankergrund. Der Große Ozean an der Küste von
Peru kann nicht stiller und ruhiger sein als das Meer der
Antillen von Portocabello an, namentlich aber vom Vorge-
birge Codera bis zur Landspitze von Paria. Von den Stürmen
bei den Antillischen Inseln spürt man nie etwas in diesem
Strich, wo man in Schaluppen ohne Verdeck das Meer be-
fährt. Die einzige Gefahr im Hafen von Cumana ist eine
Untiefe, Baxo del Morro roxo, die von West nach Ost 1754 m
lang ist und so steil abfällt, daß man dicht dabei ist, ehe man
sie gewahr wird.


haftem Wuchs beſchattet. Ein Fluß, deſſen Temperatur zur
Zeit des Hochwaſſers auf 22° fällt, während der Thermo-
meter an der Luft auf 30 bis 33° ſteht, iſt eine unſchätzbare
Wohlthat in einem Lande, wo das ganze Jahr eine furcht-
bare Hitze herrſcht und man den Trieb hat, mehrere Male des
Tags zu baden. Die Kinder bringen ſo zu ſagen einen Teil
ihres Lebens im Waſſer zu; alle Einwohner, ſelbſt die weib-
lichen Glieder der reichſten Familien, können ſchwimmen, und
in einem Lande, wo der Menſch dem Naturſtande noch ſo
nahe iſt, hat man ſich, wenn man morgens einander begegnet,
nichts Wichtigeres zu fragen, als ob der Fluß heute kühler
ſei als geſtern. Man hat verſchiedene Bademethoden. So
beſuchten wir jeden Abend einen Zirkel ſehr achtungswerter
Perſonen in der Vorſtadt der Guaykari. Da ſtellte man
bei ſchönem Mondſchein Stühle ins Waſſer; Männer und
Frauen waren leicht gekleidet, wie in manchen Bädern des
nördlichen Europas, und die Familie und die Fremden blieben
ein paar Stunden im Fluſſe ſitzen, rauchten Cigarren dazu
und unterhielten ſich nach Landesſitte von der ungemeinen
Trockenheit der Jahreszeit, vom ſtarken Regenfall in den be-
nachbarten Diſtrikten, beſonders aber vom Luxus, den die
Damen in Cumana den Damen in Caracas und Havana zum
Vorwurf machen. Durch die Bavas oder kleinen Krokodile,
die jetzt ſehr ſelten ſind und den Menſchen nahe kommen,
ohne anzugreifen, ließ ſich die Geſellſchaft durchaus nicht ſtören.
Dieſe Tiere ſind 1 bis 1,3 m lang; wir haben nie eines im
Manzanares geſehen, wohl aber Delphine, die zuweilen bei
Nacht im Fluſſe heraufkommen und die Badenden erſchrecken,
wenn ſie durch ihre Luftlöcher Waſſer ſpritzen.

Der Hafen von Cumana iſt eine Reede, welche die Flotten
von ganz Europa aufnehmen könnte. Der ganze Meerbuſen
von Cariaco, der 67 km lang und 11 bis 15 km breit iſt, bietet
vortrefflichen Ankergrund. Der Große Ozean an der Küſte von
Peru kann nicht ſtiller und ruhiger ſein als das Meer der
Antillen von Portocabello an, namentlich aber vom Vorge-
birge Codera bis zur Landſpitze von Paria. Von den Stürmen
bei den Antilliſchen Inſeln ſpürt man nie etwas in dieſem
Strich, wo man in Schaluppen ohne Verdeck das Meer be-
fährt. Die einzige Gefahr im Hafen von Cumana iſt eine
Untiefe, Baxo del Morro roxo, die von Weſt nach Oſt 1754 m
lang iſt und ſo ſteil abfällt, daß man dicht dabei iſt, ehe man
ſie gewahr wird.


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[168/0184] haftem Wuchs beſchattet. Ein Fluß, deſſen Temperatur zur Zeit des Hochwaſſers auf 22° fällt, während der Thermo- meter an der Luft auf 30 bis 33° ſteht, iſt eine unſchätzbare Wohlthat in einem Lande, wo das ganze Jahr eine furcht- bare Hitze herrſcht und man den Trieb hat, mehrere Male des Tags zu baden. Die Kinder bringen ſo zu ſagen einen Teil ihres Lebens im Waſſer zu; alle Einwohner, ſelbſt die weib- lichen Glieder der reichſten Familien, können ſchwimmen, und in einem Lande, wo der Menſch dem Naturſtande noch ſo nahe iſt, hat man ſich, wenn man morgens einander begegnet, nichts Wichtigeres zu fragen, als ob der Fluß heute kühler ſei als geſtern. Man hat verſchiedene Bademethoden. So beſuchten wir jeden Abend einen Zirkel ſehr achtungswerter Perſonen in der Vorſtadt der Guaykari. Da ſtellte man bei ſchönem Mondſchein Stühle ins Waſſer; Männer und Frauen waren leicht gekleidet, wie in manchen Bädern des nördlichen Europas, und die Familie und die Fremden blieben ein paar Stunden im Fluſſe ſitzen, rauchten Cigarren dazu und unterhielten ſich nach Landesſitte von der ungemeinen Trockenheit der Jahreszeit, vom ſtarken Regenfall in den be- nachbarten Diſtrikten, beſonders aber vom Luxus, den die Damen in Cumana den Damen in Caracas und Havana zum Vorwurf machen. Durch die Bavas oder kleinen Krokodile, die jetzt ſehr ſelten ſind und den Menſchen nahe kommen, ohne anzugreifen, ließ ſich die Geſellſchaft durchaus nicht ſtören. Dieſe Tiere ſind 1 bis 1,3 m lang; wir haben nie eines im Manzanares geſehen, wohl aber Delphine, die zuweilen bei Nacht im Fluſſe heraufkommen und die Badenden erſchrecken, wenn ſie durch ihre Luftlöcher Waſſer ſpritzen. Der Hafen von Cumana iſt eine Reede, welche die Flotten von ganz Europa aufnehmen könnte. Der ganze Meerbuſen von Cariaco, der 67 km lang und 11 bis 15 km breit iſt, bietet vortrefflichen Ankergrund. Der Große Ozean an der Küſte von Peru kann nicht ſtiller und ruhiger ſein als das Meer der Antillen von Portocabello an, namentlich aber vom Vorge- birge Codera bis zur Landſpitze von Paria. Von den Stürmen bei den Antilliſchen Inſeln ſpürt man nie etwas in dieſem Strich, wo man in Schaluppen ohne Verdeck das Meer be- fährt. Die einzige Gefahr im Hafen von Cumana iſt eine Untiefe, Baxo del Morro roxo, die von Weſt nach Oſt 1754 m lang iſt und ſo ſteil abfällt, daß man dicht dabei iſt, ehe man ſie gewahr wird.

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859, S. 168. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial01_1859/184>, abgerufen am 21.11.2024.