Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859.damit die christlichen kosmogonischen und religiösen Vorstel- Noch mehr: die amerikanischen Kolonieen sind fast durch- Aber auch welch ein Abstand zwischen der eintönigen damit die chriſtlichen kosmogoniſchen und religiöſen Vorſtel- Noch mehr: die amerikaniſchen Kolonieen ſind faſt durch- Aber auch welch ein Abſtand zwiſchen der eintönigen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0226" n="210"/> damit die chriſtlichen kosmogoniſchen und religiöſen Vorſtel-<lb/> lungen ein merkbares Uebergewicht über die rein nationalen<lb/> Erinnerungen erhalten.</p><lb/> <p>Noch mehr: die amerikaniſchen Kolonieen ſind faſt durch-<lb/> aus in Ländern angelegt, wo die dahingegangenen Geſchlechter<lb/> kaum eine Spur ihres Daſeins hinterlaſſen haben. Nord-<lb/> wärts vom Rio Gila, an den Ufern des Miſſouri, auf den<lb/> Ebenen, die ſich im Oſten der Anden ausbreiten, gehen die<lb/> Ueberlieferungen nicht über ein Jahrhundert hinauf. In<lb/> Peru, in Guatemala und in Mexiko ſind allerdings Trümmer<lb/> von Gebäuden, hiſtoriſche Malereien und Bildwerke Zeugen der<lb/> alten Kultur der Eingeborenen; aber in einer ganzen Provinz<lb/> findet man kaum ein paar Familien, die einen klaren Begriff von<lb/> der Geſchichte der Inka und der mexikaniſchen Fürſten haben.<lb/> Der Eingeborene hat ſeine Sprache, ſeine Tracht und ſeinen<lb/> Volkscharakter behalten; aber mit dem Aufhören des Gebrauches<lb/> der Quippu und der ſymboliſchen Malereien, durch die Ein-<lb/> führung des Chriſtentums und andere Umſtände, die ich<lb/> anderswo auseinandergeſetzt, ſind die geſchichtlichen und reli-<lb/> giöſen Ueberlieferungen allmählich untergegangen. Anderer-<lb/> ſeits ſieht der Anſiedler von europäiſcher Abkunft verächtlich<lb/> auf alles herab, was ſich auf die unterworfenen Völker be-<lb/> zieht. Er ſieht ſich in die Mitte geſtellt zwiſchen die frühere<lb/> Geſchichte des Mutterlandes und die ſeines Geburtslandes,<lb/> und die eine iſt ihm ſo gleichgültig wie die andere; in einem<lb/> Klima, wo bei dem geringen Unterſchied der Jahreszeiten der<lb/> Ablauf der Jahre faſt unmerklich wird, überläßt er ſich ganz<lb/> dem Genuſſe der Gegenwart und wirft ſelten einen Blick in<lb/> vergangene Zeiten.</p><lb/> <p>Aber auch welch ein Abſtand zwiſchen der eintönigen<lb/> Geſchichte neuerer Niederlaſſungen und dem lebensvollen Bilde,<lb/> das Geſetzgebung, Sitten und politiſche Stürme der alten<lb/> Kolonieen darbieten! Ihre durch abweichende Regierungsformen<lb/> verſchieden gefärbte geiſtige Bildung machte nicht ſelten die<lb/> Eiferſucht der Mutterländer rege. Durch dieſen glücklichen<lb/> Wetteifer gelangten Kunſt und Litteratur in Jonien, Groß-<lb/> griechenland und Sizilien zur herrlichſten Entwickelung. Heut-<lb/> zutage dagegen haben die Kolonieen weder eine eigene Ge-<lb/> ſchichte noch eine eigene Litteratur. Die in der Neuen Welt<lb/> haben faſt nie mächtige Nachbarn gehabt, und die geſellſchaft-<lb/> lichen Zuſtände haben ſich immer nur allgemach umgewandelt.<lb/> Des politiſchen Lebens bar, haben dieſe Handels- und Acker-<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [210/0226]
damit die chriſtlichen kosmogoniſchen und religiöſen Vorſtel-
lungen ein merkbares Uebergewicht über die rein nationalen
Erinnerungen erhalten.
Noch mehr: die amerikaniſchen Kolonieen ſind faſt durch-
aus in Ländern angelegt, wo die dahingegangenen Geſchlechter
kaum eine Spur ihres Daſeins hinterlaſſen haben. Nord-
wärts vom Rio Gila, an den Ufern des Miſſouri, auf den
Ebenen, die ſich im Oſten der Anden ausbreiten, gehen die
Ueberlieferungen nicht über ein Jahrhundert hinauf. In
Peru, in Guatemala und in Mexiko ſind allerdings Trümmer
von Gebäuden, hiſtoriſche Malereien und Bildwerke Zeugen der
alten Kultur der Eingeborenen; aber in einer ganzen Provinz
findet man kaum ein paar Familien, die einen klaren Begriff von
der Geſchichte der Inka und der mexikaniſchen Fürſten haben.
Der Eingeborene hat ſeine Sprache, ſeine Tracht und ſeinen
Volkscharakter behalten; aber mit dem Aufhören des Gebrauches
der Quippu und der ſymboliſchen Malereien, durch die Ein-
führung des Chriſtentums und andere Umſtände, die ich
anderswo auseinandergeſetzt, ſind die geſchichtlichen und reli-
giöſen Ueberlieferungen allmählich untergegangen. Anderer-
ſeits ſieht der Anſiedler von europäiſcher Abkunft verächtlich
auf alles herab, was ſich auf die unterworfenen Völker be-
zieht. Er ſieht ſich in die Mitte geſtellt zwiſchen die frühere
Geſchichte des Mutterlandes und die ſeines Geburtslandes,
und die eine iſt ihm ſo gleichgültig wie die andere; in einem
Klima, wo bei dem geringen Unterſchied der Jahreszeiten der
Ablauf der Jahre faſt unmerklich wird, überläßt er ſich ganz
dem Genuſſe der Gegenwart und wirft ſelten einen Blick in
vergangene Zeiten.
Aber auch welch ein Abſtand zwiſchen der eintönigen
Geſchichte neuerer Niederlaſſungen und dem lebensvollen Bilde,
das Geſetzgebung, Sitten und politiſche Stürme der alten
Kolonieen darbieten! Ihre durch abweichende Regierungsformen
verſchieden gefärbte geiſtige Bildung machte nicht ſelten die
Eiferſucht der Mutterländer rege. Durch dieſen glücklichen
Wetteifer gelangten Kunſt und Litteratur in Jonien, Groß-
griechenland und Sizilien zur herrlichſten Entwickelung. Heut-
zutage dagegen haben die Kolonieen weder eine eigene Ge-
ſchichte noch eine eigene Litteratur. Die in der Neuen Welt
haben faſt nie mächtige Nachbarn gehabt, und die geſellſchaft-
lichen Zuſtände haben ſich immer nur allgemach umgewandelt.
Des politiſchen Lebens bar, haben dieſe Handels- und Acker-
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