Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859.Gemeinden, die man Missionen nennt und die der Ent- Einrichtungen, die trefflich dazu dienten, dem Blutver- Sie haben mehr und mehr von der Charakterstärke und Gemeinden, die man Miſſionen nennt und die der Ent- Einrichtungen, die trefflich dazu dienten, dem Blutver- Sie haben mehr und mehr von der Charakterſtärke und <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0230" n="214"/> Gemeinden, die man <hi rendition="#g">Miſſionen</hi> nennt und die der Ent-<lb/> wickelung des Ackerbaues Vorſchub leiſten. So haben ſich all-<lb/> mählich, aber in gleichförmiger, planmäßiger Entwickelung jene<lb/> großen mönchiſchen Niederlaſſungen gebildet, jenes merkwürdige<lb/> Regiment, das immer darauf hinausgeht, ſich abzuſchließen,<lb/> und Länder, die vier- und fünfmal größer ſind als Frankreich,<lb/> den Mönchsorden unterwirft.</p><lb/> <p>Einrichtungen, die trefflich dazu dienten, dem Blutver-<lb/> gießen Einhalt zu thun und den erſten Grund zur geſellſchaft-<lb/> lichen Entwickelung zu legen, ſind in der Folge dem Fortſchritt<lb/> derſelben hinderlich geworden. Die Abſchließung hatte zur<lb/> Folge, daß die Indianer ſo ziemlich blieben, was ſie waren,<lb/> als ihre zerſtreuten Hütten noch nicht um das Haus des Miſ-<lb/> ſionärs beiſammen lagen. Ihre Zahl hat anſehnlich zuge-<lb/> nommen, keineswegs aber ihr geiſtiger Geſichtskreis.</p><lb/> <p>Sie haben mehr und mehr von der Charakterſtärke und<lb/> der natürlichen Lebendigkeit eingebüßt, die auf allen Stufen<lb/> menſchlicher Entwickelung die edlen Früchte der Unabhängigkeit<lb/> ſind. Man hat alles bei ihnen, ſogar die unbedeutendſten<lb/> Verrichtungen des häuslichen Lebens, der unabänderlichen<lb/> Regel unterworfen, und ſo hat man ſie gehorſam gemacht,<lb/> zugleich aber auch dumm. Ihr Lebensunterhalt iſt meiſt ge-<lb/> ſicherter, ihre Sitten ſind milder geworden; aber der Zwang<lb/> und das trübſelige Einerlei des Miſſionsregimentes laſtet auf<lb/> ihnen und ihr düſteres, verſchloſſenes Weſen verrät, wie un-<lb/> gern ſie die Freiheit der Ruhe zum Opfer gebracht haben.<lb/> Die Mönchszucht innerhalb der Kloſtermauern entzieht zwar<lb/> dem Staate nützliche Bürger, indeſſen mag ſie immerhin hier<lb/> und da Leidenſchaften zur Ruhe bringen, große Schmerzen<lb/> lindern, der geiſtigen Vertiefung förderlich ſein; aber in die<lb/> Wildniſſe der Neuen Welt verpflanzt, auf alle Beziehungen<lb/> des bürgerlichen Lebens angewendet, muß ſie deſto verderblicher<lb/> wirken, je länger ſie andauert. Sie hält von Geſchlecht zu<lb/> Geſchlecht die geiſtige Entwickelung nieder, ſie hemmt den Ver-<lb/> kehr unter den Völkern, ſie weiſt alles ab, was die Seele<lb/> erhebt und den Vorſtellungskreis erweitert. Aus allen dieſen<lb/> Urſachen zuſammen verharren die Indianer in den Miſſionen<lb/> in einem Zuſtande von Unkultur, der Stillſtand heißen müßte,<lb/> wenn nicht auch die menſchlichen Vereine denſelben Geſetzen<lb/> gehorchten, wie die Entwickelung des menſchlichen Geiſtes<lb/> überhaupt, wenn ſie nicht Rückſchritte machten, eben weil ſie<lb/> nicht fortſchreiten.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [214/0230]
Gemeinden, die man Miſſionen nennt und die der Ent-
wickelung des Ackerbaues Vorſchub leiſten. So haben ſich all-
mählich, aber in gleichförmiger, planmäßiger Entwickelung jene
großen mönchiſchen Niederlaſſungen gebildet, jenes merkwürdige
Regiment, das immer darauf hinausgeht, ſich abzuſchließen,
und Länder, die vier- und fünfmal größer ſind als Frankreich,
den Mönchsorden unterwirft.
Einrichtungen, die trefflich dazu dienten, dem Blutver-
gießen Einhalt zu thun und den erſten Grund zur geſellſchaft-
lichen Entwickelung zu legen, ſind in der Folge dem Fortſchritt
derſelben hinderlich geworden. Die Abſchließung hatte zur
Folge, daß die Indianer ſo ziemlich blieben, was ſie waren,
als ihre zerſtreuten Hütten noch nicht um das Haus des Miſ-
ſionärs beiſammen lagen. Ihre Zahl hat anſehnlich zuge-
nommen, keineswegs aber ihr geiſtiger Geſichtskreis.
Sie haben mehr und mehr von der Charakterſtärke und
der natürlichen Lebendigkeit eingebüßt, die auf allen Stufen
menſchlicher Entwickelung die edlen Früchte der Unabhängigkeit
ſind. Man hat alles bei ihnen, ſogar die unbedeutendſten
Verrichtungen des häuslichen Lebens, der unabänderlichen
Regel unterworfen, und ſo hat man ſie gehorſam gemacht,
zugleich aber auch dumm. Ihr Lebensunterhalt iſt meiſt ge-
ſicherter, ihre Sitten ſind milder geworden; aber der Zwang
und das trübſelige Einerlei des Miſſionsregimentes laſtet auf
ihnen und ihr düſteres, verſchloſſenes Weſen verrät, wie un-
gern ſie die Freiheit der Ruhe zum Opfer gebracht haben.
Die Mönchszucht innerhalb der Kloſtermauern entzieht zwar
dem Staate nützliche Bürger, indeſſen mag ſie immerhin hier
und da Leidenſchaften zur Ruhe bringen, große Schmerzen
lindern, der geiſtigen Vertiefung förderlich ſein; aber in die
Wildniſſe der Neuen Welt verpflanzt, auf alle Beziehungen
des bürgerlichen Lebens angewendet, muß ſie deſto verderblicher
wirken, je länger ſie andauert. Sie hält von Geſchlecht zu
Geſchlecht die geiſtige Entwickelung nieder, ſie hemmt den Ver-
kehr unter den Völkern, ſie weiſt alles ab, was die Seele
erhebt und den Vorſtellungskreis erweitert. Aus allen dieſen
Urſachen zuſammen verharren die Indianer in den Miſſionen
in einem Zuſtande von Unkultur, der Stillſtand heißen müßte,
wenn nicht auch die menſchlichen Vereine denſelben Geſetzen
gehorchten, wie die Entwickelung des menſchlichen Geiſtes
überhaupt, wenn ſie nicht Rückſchritte machten, eben weil ſie
nicht fortſchreiten.
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