Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859.Höhen Helikonien, Costus, Maranta und andere Pflanzen Wir kamen in der Schlucht Los Frailes und zwischen Diese Betrachtungen über den Ackerbau in heißen Land- Höhen Helikonien, Coſtus, Maranta und andere Pflanzen Wir kamen in der Schlucht Los Frailes und zwiſchen Dieſe Betrachtungen über den Ackerbau in heißen Land- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0233" n="217"/> Höhen Helikonien, Coſtus, Maranta und andere Pflanzen<lb/> aus der Familie der Cannaarten, die in der Nähe der Küſte<lb/> nur niedrige, feuchte Orte aufſuchen. So kommt es, daß<lb/> die heiße Erdzone und das nördliche Europa die intereſſante<lb/> Eigentümlichkeit gemein haben, daß in einer beſtändig mit<lb/> Waſſerdampf erfüllten Luft, wie auf einem vom ſchmelzenden<lb/> Schnee durchfeuchteten Boden die Vegetation in den Gebirgen<lb/> ganz den Charakter einer Sumpfvegetation zeigt.</p><lb/> <p>Wir kamen in der Schlucht Los Frailes und zwiſchen<lb/> Cueſta de Caneyes und dem Rio Guriental an Hütten vorbei,<lb/> die von Meſtizen bewohnt ſind. Jede Hütte liegt mitten in<lb/> einem Gehege, das Bananenbäume, Melonenbäume, Zucker-<lb/> rohr und Mais einfriedigt. Man müßte ſich wundern, wie<lb/> klein dieſe Flecke urbar gemachten Landes ſind, wenn man<lb/> nicht bedächte, daß ein mit Piſang angepflanzter Morgen<lb/> Landes gegen zwanzigmal mehr Nahrungsſtoff liefert, als die<lb/> gleiche mit Getreide beſtellte Fläche. In Europa bedecken<lb/> unſere nahrhaften Grasarten, Weizen, Gerſte, Roggen, weite<lb/> Landſtrecken; überall, wo die Völker ſich von Cerealien nähren,<lb/> ſtoßen die bebauten Grundſtücke notwendig aneinander. Anders<lb/> in der heißen Zone, wo der Menſch ſich Gewächſe aneignen<lb/> konnte, die ihm weit reichere und frühere Ernten liefern. In<lb/> dieſen geſegneten Landſtrichen entſpricht die unermeßliche<lb/> Fruchtbarkeit des Bodens der Gluthitze und der Feuchtigkeit<lb/> der Luft. Ein kleines Stück Boden, auf dem Bananenbäume,<lb/> Manioc, Yams, und Mais ſtehen, ernährt reichlich eine zahl-<lb/> reiche Bevölkerung. Daß die Hütten einſam im Walde zer-<lb/> ſtreut liegen, wird für den Reiſenden ein Merkmal der Ueber-<lb/> fülle der Natur; oft reicht ein ganz kleiner Fleck urbaren<lb/> Landes für den Bedarf mehrerer Familien hin.</p><lb/> <p>Dieſe Betrachtungen über den Ackerbau in heißen Land-<lb/> ſtrichen erinnern von ſelbſt daran, welch inniger Verband<lb/> zwiſchen dem Umfang des urbar gemachten Landes und dem<lb/> geſellſchaftlichen Fortſchritt beſteht. So groß die Fülle der<lb/> Lebensmittel iſt, die dieſer Reichtum des Bodens, die ſtrotzende<lb/> Kraft der organiſchen Natur hervorbringt, dennoch wird die<lb/> Kulturentwickelung der Völker dadurch niedergehalten. In einem<lb/> milden, gleichförmigen Klima kennt der Menſch kein anderes<lb/> dringendes Bedürfnis als das der Nahrung. Nur wenn dieſes<lb/> Bedürfnis ſich geltend macht, fühlt er ſich zur Arbeit getrieben,<lb/> und man ſieht leicht ein, warum ſich im Schoße des Ueber-<lb/> fluſſes, im Schatten von Bananen- und Brotfruchtbäumen,<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [217/0233]
Höhen Helikonien, Coſtus, Maranta und andere Pflanzen
aus der Familie der Cannaarten, die in der Nähe der Küſte
nur niedrige, feuchte Orte aufſuchen. So kommt es, daß
die heiße Erdzone und das nördliche Europa die intereſſante
Eigentümlichkeit gemein haben, daß in einer beſtändig mit
Waſſerdampf erfüllten Luft, wie auf einem vom ſchmelzenden
Schnee durchfeuchteten Boden die Vegetation in den Gebirgen
ganz den Charakter einer Sumpfvegetation zeigt.
Wir kamen in der Schlucht Los Frailes und zwiſchen
Cueſta de Caneyes und dem Rio Guriental an Hütten vorbei,
die von Meſtizen bewohnt ſind. Jede Hütte liegt mitten in
einem Gehege, das Bananenbäume, Melonenbäume, Zucker-
rohr und Mais einfriedigt. Man müßte ſich wundern, wie
klein dieſe Flecke urbar gemachten Landes ſind, wenn man
nicht bedächte, daß ein mit Piſang angepflanzter Morgen
Landes gegen zwanzigmal mehr Nahrungsſtoff liefert, als die
gleiche mit Getreide beſtellte Fläche. In Europa bedecken
unſere nahrhaften Grasarten, Weizen, Gerſte, Roggen, weite
Landſtrecken; überall, wo die Völker ſich von Cerealien nähren,
ſtoßen die bebauten Grundſtücke notwendig aneinander. Anders
in der heißen Zone, wo der Menſch ſich Gewächſe aneignen
konnte, die ihm weit reichere und frühere Ernten liefern. In
dieſen geſegneten Landſtrichen entſpricht die unermeßliche
Fruchtbarkeit des Bodens der Gluthitze und der Feuchtigkeit
der Luft. Ein kleines Stück Boden, auf dem Bananenbäume,
Manioc, Yams, und Mais ſtehen, ernährt reichlich eine zahl-
reiche Bevölkerung. Daß die Hütten einſam im Walde zer-
ſtreut liegen, wird für den Reiſenden ein Merkmal der Ueber-
fülle der Natur; oft reicht ein ganz kleiner Fleck urbaren
Landes für den Bedarf mehrerer Familien hin.
Dieſe Betrachtungen über den Ackerbau in heißen Land-
ſtrichen erinnern von ſelbſt daran, welch inniger Verband
zwiſchen dem Umfang des urbar gemachten Landes und dem
geſellſchaftlichen Fortſchritt beſteht. So groß die Fülle der
Lebensmittel iſt, die dieſer Reichtum des Bodens, die ſtrotzende
Kraft der organiſchen Natur hervorbringt, dennoch wird die
Kulturentwickelung der Völker dadurch niedergehalten. In einem
milden, gleichförmigen Klima kennt der Menſch kein anderes
dringendes Bedürfnis als das der Nahrung. Nur wenn dieſes
Bedürfnis ſich geltend macht, fühlt er ſich zur Arbeit getrieben,
und man ſieht leicht ein, warum ſich im Schoße des Ueber-
fluſſes, im Schatten von Bananen- und Brotfruchtbäumen,
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