Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859.wildwachsenden Pflanzen beherrschen noch durch ihre Masse Je tiefer wir in den Wald hineinkamen, desto mehr zeigte wildwachſenden Pflanzen beherrſchen noch durch ihre Maſſe Je tiefer wir in den Wald hineinkamen, deſto mehr zeigte <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0235" n="219"/> wildwachſenden Pflanzen beherrſchen noch durch ihre Maſſe<lb/> die angebauten Gewächſe und beſtimmen allein den Charakter<lb/> der Landſchaft. Allem Vermuten nach wird dieſer Zuſtand<lb/> nur äußerſt langſam einem anderen Platz machen. Wenn in<lb/> unſeren gemäßigten Landſtrichen es beſonders der Getreidebau<lb/> iſt, der dem urbaren Lande einen ſo trübſelig eintönigen An-<lb/> ſtrich gibt, ſo erhält ſich, aller Wahrſcheinlichkeit nach, in der<lb/> heißen Zone ſelbſt bei zunehmender Bevölkerung die Groß-<lb/> artigkeit der Pflanzengeſtalten, das Gepräge einer jungfräu-<lb/> lichen, ungezähmten Natur, wodurch dieſe ſo unendlich an-<lb/> ziehend und maleriſch wird. So werden denn, infolge einer<lb/> merkwürdigen Verknüpfung phyſiſcher und moraliſcher Urſachen,<lb/> durch Wahl und Ertrag der Nahrungsgewächſe drei wichtige<lb/> Momente vorzugsweiſe beſtimmt: das geſellige Beiſammenleben<lb/> der Familien oder ihre Vereinzelung, der raſchere oder lang-<lb/> ſamere Fortſchritt der Kultur, und die Phyſiognomie der<lb/> Landſchaft.</p><lb/> <p>Je tiefer wir in den Wald hineinkamen, deſto mehr zeigte<lb/> uns der Barometer, daß der Boden mehr und mehr anſtieg.<lb/> Die Baumſtämme boten uns hier einen ganz eigenen Anblick;<lb/> eine Grasart mit quirlförmigen Zweigen klettert, gleich einer<lb/> Liane, 2,6 bis 3,25 <hi rendition="#aq">m</hi> hoch und bildet über dem Wege Ge-<lb/> winde, die ſich im Luftzuge ſchaukeln. Gegen 3 Uhr nach-<lb/> mittags hielten wir auf einer kleinen Hochebene an, <hi rendition="#g">Quetepe</hi><lb/> genannt, die etwa 370 <hi rendition="#aq">m</hi> über dem Meere liegt. Es ſtehen<lb/> hier einige Hütten an einer Quelle, deren Waſſer bei den<lb/> Eingeborenen als ſehr kühl und geſund berühmt iſt. Wir<lb/> fanden das Waſſer wirklich ausgezeichnet; es zeigte 22,5° der<lb/> hundertteiligen Skale, während der Thermometer an der Luft<lb/> auf 28,7° ſtand. Die Quellen, die von benachbarten höheren<lb/> Bergen herabkommen, geben häufig eine zu raſche Abnahme<lb/> der Luftwärme an. Nimmt man als mittlere Temperatur des<lb/> Waſſers an der Küſte von Cumana 26° an, ſo folgt daraus,<lb/> wenn nicht andere lokale Urſachen auf die Temperatur der<lb/> Quellen Einfluß äußern, daß die Quelle von Quetepe ſich<lb/> erſt in mehr als 680 <hi rendition="#aq">m</hi> abſoluter Höhe ſo bedeutend abkühlt.<lb/> Da hier von Quellen die Rede iſt, die in der heißen Zone<lb/> in der Ebene oder in unbedeutender Höhe zu Tage kommen,<lb/> ſo ſei bemerkt, daß nur in Ländern, wo die mittlere Sommer-<lb/> temperatur von der durchſchnittlichen des ganzen Jahres be-<lb/> deutend abweicht, die Einwohner in der heißeſten Jahreszeit<lb/> ſehr kaltes Quellwaſſer trinken können. Die Lappen bei Umeo<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [219/0235]
wildwachſenden Pflanzen beherrſchen noch durch ihre Maſſe
die angebauten Gewächſe und beſtimmen allein den Charakter
der Landſchaft. Allem Vermuten nach wird dieſer Zuſtand
nur äußerſt langſam einem anderen Platz machen. Wenn in
unſeren gemäßigten Landſtrichen es beſonders der Getreidebau
iſt, der dem urbaren Lande einen ſo trübſelig eintönigen An-
ſtrich gibt, ſo erhält ſich, aller Wahrſcheinlichkeit nach, in der
heißen Zone ſelbſt bei zunehmender Bevölkerung die Groß-
artigkeit der Pflanzengeſtalten, das Gepräge einer jungfräu-
lichen, ungezähmten Natur, wodurch dieſe ſo unendlich an-
ziehend und maleriſch wird. So werden denn, infolge einer
merkwürdigen Verknüpfung phyſiſcher und moraliſcher Urſachen,
durch Wahl und Ertrag der Nahrungsgewächſe drei wichtige
Momente vorzugsweiſe beſtimmt: das geſellige Beiſammenleben
der Familien oder ihre Vereinzelung, der raſchere oder lang-
ſamere Fortſchritt der Kultur, und die Phyſiognomie der
Landſchaft.
Je tiefer wir in den Wald hineinkamen, deſto mehr zeigte
uns der Barometer, daß der Boden mehr und mehr anſtieg.
Die Baumſtämme boten uns hier einen ganz eigenen Anblick;
eine Grasart mit quirlförmigen Zweigen klettert, gleich einer
Liane, 2,6 bis 3,25 m hoch und bildet über dem Wege Ge-
winde, die ſich im Luftzuge ſchaukeln. Gegen 3 Uhr nach-
mittags hielten wir auf einer kleinen Hochebene an, Quetepe
genannt, die etwa 370 m über dem Meere liegt. Es ſtehen
hier einige Hütten an einer Quelle, deren Waſſer bei den
Eingeborenen als ſehr kühl und geſund berühmt iſt. Wir
fanden das Waſſer wirklich ausgezeichnet; es zeigte 22,5° der
hundertteiligen Skale, während der Thermometer an der Luft
auf 28,7° ſtand. Die Quellen, die von benachbarten höheren
Bergen herabkommen, geben häufig eine zu raſche Abnahme
der Luftwärme an. Nimmt man als mittlere Temperatur des
Waſſers an der Küſte von Cumana 26° an, ſo folgt daraus,
wenn nicht andere lokale Urſachen auf die Temperatur der
Quellen Einfluß äußern, daß die Quelle von Quetepe ſich
erſt in mehr als 680 m abſoluter Höhe ſo bedeutend abkühlt.
Da hier von Quellen die Rede iſt, die in der heißen Zone
in der Ebene oder in unbedeutender Höhe zu Tage kommen,
ſo ſei bemerkt, daß nur in Ländern, wo die mittlere Sommer-
temperatur von der durchſchnittlichen des ganzen Jahres be-
deutend abweicht, die Einwohner in der heißeſten Jahreszeit
ſehr kaltes Quellwaſſer trinken können. Die Lappen bei Umeo
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