Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859.gegeben, wurde das Grab der europäischen Seeleute. Unser Nichts ist dem Eindruck majestätischer Ruhe zu vergleichen, In der Morgenkühle machten wir uns auf, den Turimi- gegeben, wurde das Grab der europäiſchen Seeleute. Unſer Nichts iſt dem Eindruck majeſtätiſcher Ruhe zu vergleichen, In der Morgenkühle machten wir uns auf, den Turimi- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0266" n="250"/> gegeben, wurde das Grab der europäiſchen Seeleute. Unſer<lb/> Wirt hatte das ſeltene Glück, dieſen Gefahren zu entgehen;<lb/> nachdem er den größten Teil der Seinigen hatte hinſterben<lb/> ſehen, zog er weit weg von der Küſte auf die Berge des<lb/> Cocollar. Ohne Nachbarſchaft, im ungeſtörten Beſitze eines<lb/> Savannenſtriches von 22 <hi rendition="#aq">km</hi>, genießt er hier der Unabhängig-<lb/> keit, wie die Vereinzelung ſie gewährt, und der Heiterkeit des<lb/> Gemüts, wie ſie ſchlichten Menſchen eigen iſt, die in reiner,<lb/> ſtärkender Luft leben.</p><lb/> <p>Nichts iſt dem Eindruck majeſtätiſcher Ruhe zu vergleichen,<lb/> den der Anblick des geſtirnten Himmels an dieſem einſamen<lb/> Ort in einem hinterläßt. Blickten wir bei Einbruch der Nacht<lb/> hinaus über die Prärieen, die bis zum Horizont fortſtreichen,<lb/> über die grün bewachſene, ſanft gewellte Hochebene, ſo war<lb/> es uns, gerade wie in den Steppen am Orinoko, als ſähen<lb/> wir weit weg das geſtirnte Himmelsgewölbe auf dem Ozean<lb/> ruhen. Der Baum, unter dem wir ſaßen, die leuchtenden<lb/> Inſekten, die in der Luft tanzten, die glänzenden Sternbilder<lb/> im Süden, alles mahnte uns daran, wie weit wir von der<lb/> Heimaterde waren. Und wenn nun, inmitten dieſer fremd-<lb/> artigen Natur, aus einer Schlucht herauf das Schellengeläute<lb/> einer Kuh oder das Brüllen des Stieres zu unſeren Ohren<lb/> drang, dann ſprang mit einmal der Gedanke an die Heimat<lb/> in uns auf. Es war, als hörten wir aus weiter, weiter<lb/> Ferne Stimmen, die über das Weltmeer herüberriefen und<lb/> uns mit Zauberkraft aus einer Hemiſphäre in die andere ver-<lb/> ſetzten. So wunderbar beweglich iſt die Einbildungskraft<lb/> des Menſchen, die ewige Quelle ſeiner Freuden und ſeiner<lb/> Schmerzen.</p><lb/> <p>In der Morgenkühle machten wir uns auf, den Turimi-<lb/> quiri zu beſteigen. So heißt der Gipfel des Cocollar, der<lb/> mit dem Brigantin nur einen Gebirgsſtock bildet, welcher bei<lb/> den Eingeborenen früher Sierra de los Tageres hieß. Man<lb/> macht einen Teil des Weges auf Pferden, die frei in den<lb/> Savannen laufen, zum Teil aber an den Sattel gewöhnt ſind.<lb/> So plump ihr Ausſehen iſt, klettern ſie doch ganz flink den<lb/> ſchlüpfrigſten Raſen hinauf. Wir machten zuerſt bei einer<lb/> Quelle Halt, die nicht aus dem Kalkſtein, ſondern noch aus<lb/> einer Schichte quarzigen Sandſteines kommt. Ihre Temperatur<lb/> war 21°, alſo um 1,5° geringer als die der Quelle von<lb/> Quetepe; der Höhenunterſchied beträgt aber auch gegen 428 <hi rendition="#aq">m.</hi><lb/> Ueberall, wo der Sandſtein zu Tage kommt, iſt der Boden<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [250/0266]
gegeben, wurde das Grab der europäiſchen Seeleute. Unſer
Wirt hatte das ſeltene Glück, dieſen Gefahren zu entgehen;
nachdem er den größten Teil der Seinigen hatte hinſterben
ſehen, zog er weit weg von der Küſte auf die Berge des
Cocollar. Ohne Nachbarſchaft, im ungeſtörten Beſitze eines
Savannenſtriches von 22 km, genießt er hier der Unabhängig-
keit, wie die Vereinzelung ſie gewährt, und der Heiterkeit des
Gemüts, wie ſie ſchlichten Menſchen eigen iſt, die in reiner,
ſtärkender Luft leben.
Nichts iſt dem Eindruck majeſtätiſcher Ruhe zu vergleichen,
den der Anblick des geſtirnten Himmels an dieſem einſamen
Ort in einem hinterläßt. Blickten wir bei Einbruch der Nacht
hinaus über die Prärieen, die bis zum Horizont fortſtreichen,
über die grün bewachſene, ſanft gewellte Hochebene, ſo war
es uns, gerade wie in den Steppen am Orinoko, als ſähen
wir weit weg das geſtirnte Himmelsgewölbe auf dem Ozean
ruhen. Der Baum, unter dem wir ſaßen, die leuchtenden
Inſekten, die in der Luft tanzten, die glänzenden Sternbilder
im Süden, alles mahnte uns daran, wie weit wir von der
Heimaterde waren. Und wenn nun, inmitten dieſer fremd-
artigen Natur, aus einer Schlucht herauf das Schellengeläute
einer Kuh oder das Brüllen des Stieres zu unſeren Ohren
drang, dann ſprang mit einmal der Gedanke an die Heimat
in uns auf. Es war, als hörten wir aus weiter, weiter
Ferne Stimmen, die über das Weltmeer herüberriefen und
uns mit Zauberkraft aus einer Hemiſphäre in die andere ver-
ſetzten. So wunderbar beweglich iſt die Einbildungskraft
des Menſchen, die ewige Quelle ſeiner Freuden und ſeiner
Schmerzen.
In der Morgenkühle machten wir uns auf, den Turimi-
quiri zu beſteigen. So heißt der Gipfel des Cocollar, der
mit dem Brigantin nur einen Gebirgsſtock bildet, welcher bei
den Eingeborenen früher Sierra de los Tageres hieß. Man
macht einen Teil des Weges auf Pferden, die frei in den
Savannen laufen, zum Teil aber an den Sattel gewöhnt ſind.
So plump ihr Ausſehen iſt, klettern ſie doch ganz flink den
ſchlüpfrigſten Raſen hinauf. Wir machten zuerſt bei einer
Quelle Halt, die nicht aus dem Kalkſtein, ſondern noch aus
einer Schichte quarzigen Sandſteines kommt. Ihre Temperatur
war 21°, alſo um 1,5° geringer als die der Quelle von
Quetepe; der Höhenunterſchied beträgt aber auch gegen 428 m.
Ueberall, wo der Sandſtein zu Tage kommt, iſt der Boden
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