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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859.

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Gewinnungsart geregelt. Die Mitglieder einer indianischen
Familie Namens Morocoymas behaupten von den ersten An-
siedlern im Thale abzustammen und als solche rechtmäßige
Eigentümer der Höhle zu sein; sie beanspruchen das Monopol
des Fetts, aber infolge der Klosterzucht sind ihre Rechte
gegenwärtig nur noch Ehrenrechte. Nach dem System der Mis-
sionäre haben die Indianer Guacharoöl für das ewige Kirchen-
licht zu liefern; das übrige, so behauptet man, wird ihnen
abgekauft. Wir erlauben uns kein Urteil weder über die Rechts-
ansprüche der Morocoymas, noch über den Ursprung der von
den Mönchen den Indianern auferlegten Verpflichtung. Es
erschiene natürlich, daß der Ertrag der Jagd denen gehörte,
die sie anstellen; aber in den Wäldern der Neuen Welt, wie
im Schoße der europäischen Kultur, bestimmt sich das öffent-
liche Recht danach, wie sich das Verhältnis zwischen dem Starken
und dem Schwachen, zwischen dem Eroberer und dem Unter-
worfenen gestaltet.

Das Geschlecht des Guacharo wäre längst ausgerottet,
wenn nicht mehrere Umstände zur Erhaltung desselben zu-
sammenwirkten. Aus Aberglauben wagen sich die Indianer
selten weit in die Höhle hinein. Auch scheint derselbe Vogel
in benachbarten, aber dem Menschen unzugänglichen Höhlen zu
nisten. Vielleicht bevölkert sich die große Höhle immer wieder
mit Kolonieen, welche aus jenen kleinen Erdlöchern ausziehen;
denn die Missionäre versicherten uns, bis jetzt habe die Menge
der Vögel nicht merkbar abgenommen. Man hat junge
Guacharos in den Hafen von Cumana gebracht; sie lebten da
mehrere Tage ohne zu fressen, da die Körner, die man ihnen
gab, ihnen nicht zusagten. Wenn man in der Höhle den
jungen Vögeln Kropf und Magen aufschneidet, findet man
mancherlei harte, trockene Samen darin, die unter dem selt-
samen Namen "Guacharosamen" (semilla del Guacharo) ein
vielberufenes Mittel gegen Wechselfieber sind. Die Alten
bringen diese Samen den Jungen zu. Man sammelt sie sorg-
fältig und läßt sie den Kranken in Cariaco und anderen tief
gelegenen Fieberstrichen zukommen.

Wir gingen in die Höhle hinein und am Bache fort, der
daraus entspringt. Derselbe ist 9 bis 10 m breit. Man ver-
folgt das Ufer, solange die Hügel aus Kalkinkrustationen
dies gestatten; oft, wenn sich der Bach zwischen sehr hohen
Stalaktitenmassen durchschlängelt, muß man in das Bett selbst
hinunter, das nur 60 cm tief ist. Wir hörten zu unserer

Gewinnungsart geregelt. Die Mitglieder einer indianiſchen
Familie Namens Morocoymas behaupten von den erſten An-
ſiedlern im Thale abzuſtammen und als ſolche rechtmäßige
Eigentümer der Höhle zu ſein; ſie beanſpruchen das Monopol
des Fetts, aber infolge der Kloſterzucht ſind ihre Rechte
gegenwärtig nur noch Ehrenrechte. Nach dem Syſtem der Miſ-
ſionäre haben die Indianer Guacharoöl für das ewige Kirchen-
licht zu liefern; das übrige, ſo behauptet man, wird ihnen
abgekauft. Wir erlauben uns kein Urteil weder über die Rechts-
anſprüche der Morocoymas, noch über den Urſprung der von
den Mönchen den Indianern auferlegten Verpflichtung. Es
erſchiene natürlich, daß der Ertrag der Jagd denen gehörte,
die ſie anſtellen; aber in den Wäldern der Neuen Welt, wie
im Schoße der europäiſchen Kultur, beſtimmt ſich das öffent-
liche Recht danach, wie ſich das Verhältnis zwiſchen dem Starken
und dem Schwachen, zwiſchen dem Eroberer und dem Unter-
worfenen geſtaltet.

Das Geſchlecht des Guacharo wäre längſt ausgerottet,
wenn nicht mehrere Umſtände zur Erhaltung desſelben zu-
ſammenwirkten. Aus Aberglauben wagen ſich die Indianer
ſelten weit in die Höhle hinein. Auch ſcheint derſelbe Vogel
in benachbarten, aber dem Menſchen unzugänglichen Höhlen zu
niſten. Vielleicht bevölkert ſich die große Höhle immer wieder
mit Kolonieen, welche aus jenen kleinen Erdlöchern ausziehen;
denn die Miſſionäre verſicherten uns, bis jetzt habe die Menge
der Vögel nicht merkbar abgenommen. Man hat junge
Guacharos in den Hafen von Cumana gebracht; ſie lebten da
mehrere Tage ohne zu freſſen, da die Körner, die man ihnen
gab, ihnen nicht zuſagten. Wenn man in der Höhle den
jungen Vögeln Kropf und Magen aufſchneidet, findet man
mancherlei harte, trockene Samen darin, die unter dem ſelt-
ſamen Namen „Guacharoſamen“ (semilla del Guacharo) ein
vielberufenes Mittel gegen Wechſelfieber ſind. Die Alten
bringen dieſe Samen den Jungen zu. Man ſammelt ſie ſorg-
fältig und läßt ſie den Kranken in Cariaco und anderen tief
gelegenen Fieberſtrichen zukommen.

Wir gingen in die Höhle hinein und am Bache fort, der
daraus entſpringt. Derſelbe iſt 9 bis 10 m breit. Man ver-
folgt das Ufer, ſolange die Hügel aus Kalkinkruſtationen
dies geſtatten; oft, wenn ſich der Bach zwiſchen ſehr hohen
Stalaktitenmaſſen durchſchlängelt, muß man in das Bett ſelbſt
hinunter, das nur 60 cm tief iſt. Wir hörten zu unſerer

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[268/0284] Gewinnungsart geregelt. Die Mitglieder einer indianiſchen Familie Namens Morocoymas behaupten von den erſten An- ſiedlern im Thale abzuſtammen und als ſolche rechtmäßige Eigentümer der Höhle zu ſein; ſie beanſpruchen das Monopol des Fetts, aber infolge der Kloſterzucht ſind ihre Rechte gegenwärtig nur noch Ehrenrechte. Nach dem Syſtem der Miſ- ſionäre haben die Indianer Guacharoöl für das ewige Kirchen- licht zu liefern; das übrige, ſo behauptet man, wird ihnen abgekauft. Wir erlauben uns kein Urteil weder über die Rechts- anſprüche der Morocoymas, noch über den Urſprung der von den Mönchen den Indianern auferlegten Verpflichtung. Es erſchiene natürlich, daß der Ertrag der Jagd denen gehörte, die ſie anſtellen; aber in den Wäldern der Neuen Welt, wie im Schoße der europäiſchen Kultur, beſtimmt ſich das öffent- liche Recht danach, wie ſich das Verhältnis zwiſchen dem Starken und dem Schwachen, zwiſchen dem Eroberer und dem Unter- worfenen geſtaltet. Das Geſchlecht des Guacharo wäre längſt ausgerottet, wenn nicht mehrere Umſtände zur Erhaltung desſelben zu- ſammenwirkten. Aus Aberglauben wagen ſich die Indianer ſelten weit in die Höhle hinein. Auch ſcheint derſelbe Vogel in benachbarten, aber dem Menſchen unzugänglichen Höhlen zu niſten. Vielleicht bevölkert ſich die große Höhle immer wieder mit Kolonieen, welche aus jenen kleinen Erdlöchern ausziehen; denn die Miſſionäre verſicherten uns, bis jetzt habe die Menge der Vögel nicht merkbar abgenommen. Man hat junge Guacharos in den Hafen von Cumana gebracht; ſie lebten da mehrere Tage ohne zu freſſen, da die Körner, die man ihnen gab, ihnen nicht zuſagten. Wenn man in der Höhle den jungen Vögeln Kropf und Magen aufſchneidet, findet man mancherlei harte, trockene Samen darin, die unter dem ſelt- ſamen Namen „Guacharoſamen“ (semilla del Guacharo) ein vielberufenes Mittel gegen Wechſelfieber ſind. Die Alten bringen dieſe Samen den Jungen zu. Man ſammelt ſie ſorg- fältig und läßt ſie den Kranken in Cariaco und anderen tief gelegenen Fieberſtrichen zukommen. Wir gingen in die Höhle hinein und am Bache fort, der daraus entſpringt. Derſelbe iſt 9 bis 10 m breit. Man ver- folgt das Ufer, ſolange die Hügel aus Kalkinkruſtationen dies geſtatten; oft, wenn ſich der Bach zwiſchen ſehr hohen Stalaktitenmaſſen durchſchlängelt, muß man in das Bett ſelbſt hinunter, das nur 60 cm tief iſt. Wir hörten zu unſerer

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859, S. 268. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial01_1859/284>, abgerufen am 25.11.2024.