Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859.

Bild:
<< vorherige Seite

noch nach Südost getrieben, und zwar infolge eines An-
stoßes, dessen Ursprung man an den Küsten der Neuen Welt
zu suchen hat. Im weiten Meeresbecken pflanzen sich alle
Bewegungen fort, gerade wie im Luftmeere. Verfolgt man
die Strömungen rückwärts zu ihren fernen Quellen, gibt man
sich Rechenschaft von dem Wechsel in ihrer Geschwindigkeit,
warum sie bald abnimmt, wie zwischen dem Kanal von Ba-
hama und der Bank von Neufundland, bald wieder wächst,
wie in der Nähe der Meerenge von Gibraltar und bei den
Kanarischen Inseln, so kann man nicht darüber im Zweifel
sein, daß dieselbe Ursache, welche die Gewässer im Meerbusen
von Mexiko herumdreht, sie auch bei der Insel Madeira in
Bewegung setzt.

Südlich von letztgenannter Insel läßt sich die Strömung
in ihrer Richtung nach Südost und Süd-Süd-Ost gegen die
Küste von Afrika zwischen Kap Cantin und Kap Bojador ver-
folgen. In diesen Strichen sieht sich ein Schiff bei stillem
Wetter nahe an der Küste, wenn es sich nach der nicht be-
richtigten Schätzung noch weit davon entfernt glaubt. Ist
die Oeffnung bei Gibraltar die Ursache der Bewegung des
Wassers, warum hat denn die Strömung südlich von der
Meerenge nicht die entgegengesetzte Richtung? Im Gegenteil
aber geht sie unter dem 25. und 26. Grad der Breite erst
gerade nach Süd und dann nach Südwest. Kap Blanc, nach
Kap Verd das am weitesten sich hinausstreckende Vorgebirge,
scheint Einfluß auf diese Richtung zu äußern, und unter der
Breite desselben mischen sich die Wasser, deren Bewegung
wir von der Küste von Honduras bis zur afrikanischen verfolgt
haben, mit dem großen tropischen Strom, um den Lauf von
Morgen nach Abend von neuem zu beginnen. Wir haben
oben bemerkt, daß mehrere hundert Kilometer westwärts von
den Kanarien der eigentümliche Zug der Aequinoktialgewässer
schon in der gemäßigten Zone, vom 28. und 29. Breitengrad
an, bemerklich wird; aber im Meridian der Insel Ferro
kommen die Schiffe südwärts bis zum Wendekreise des Krebses,
ehe sie sich nach der Schätzung ostwärts von ihrer wahren
Länge befinden.

Wie nun aber die nördliche Grenze des tropischen Stromes
und der Passatwinde nach den Jahreszeiten sich verschiebt, so
zeigt sich auch der Golfstrom nach Stellung und Richtung
veränderlich. Diese Schwankungen sind besonders auffallend
vom 28. Breitengrad bis zur großen Bank von Neufundland,

noch nach Südoſt getrieben, und zwar infolge eines An-
ſtoßes, deſſen Urſprung man an den Küſten der Neuen Welt
zu ſuchen hat. Im weiten Meeresbecken pflanzen ſich alle
Bewegungen fort, gerade wie im Luftmeere. Verfolgt man
die Strömungen rückwärts zu ihren fernen Quellen, gibt man
ſich Rechenſchaft von dem Wechſel in ihrer Geſchwindigkeit,
warum ſie bald abnimmt, wie zwiſchen dem Kanal von Ba-
hama und der Bank von Neufundland, bald wieder wächſt,
wie in der Nähe der Meerenge von Gibraltar und bei den
Kanariſchen Inſeln, ſo kann man nicht darüber im Zweifel
ſein, daß dieſelbe Urſache, welche die Gewäſſer im Meerbuſen
von Mexiko herumdreht, ſie auch bei der Inſel Madeira in
Bewegung ſetzt.

Südlich von letztgenannter Inſel läßt ſich die Strömung
in ihrer Richtung nach Südoſt und Süd-Süd-Oſt gegen die
Küſte von Afrika zwiſchen Kap Cantin und Kap Bojador ver-
folgen. In dieſen Strichen ſieht ſich ein Schiff bei ſtillem
Wetter nahe an der Küſte, wenn es ſich nach der nicht be-
richtigten Schätzung noch weit davon entfernt glaubt. Iſt
die Oeffnung bei Gibraltar die Urſache der Bewegung des
Waſſers, warum hat denn die Strömung ſüdlich von der
Meerenge nicht die entgegengeſetzte Richtung? Im Gegenteil
aber geht ſie unter dem 25. und 26. Grad der Breite erſt
gerade nach Süd und dann nach Südweſt. Kap Blanc, nach
Kap Verd das am weiteſten ſich hinausſtreckende Vorgebirge,
ſcheint Einfluß auf dieſe Richtung zu äußern, und unter der
Breite desſelben miſchen ſich die Waſſer, deren Bewegung
wir von der Küſte von Honduras bis zur afrikaniſchen verfolgt
haben, mit dem großen tropiſchen Strom, um den Lauf von
Morgen nach Abend von neuem zu beginnen. Wir haben
oben bemerkt, daß mehrere hundert Kilometer weſtwärts von
den Kanarien der eigentümliche Zug der Aequinoktialgewäſſer
ſchon in der gemäßigten Zone, vom 28. und 29. Breitengrad
an, bemerklich wird; aber im Meridian der Inſel Ferro
kommen die Schiffe ſüdwärts bis zum Wendekreiſe des Krebſes,
ehe ſie ſich nach der Schätzung oſtwärts von ihrer wahren
Länge befinden.

Wie nun aber die nördliche Grenze des tropiſchen Stromes
und der Paſſatwinde nach den Jahreszeiten ſich verſchiebt, ſo
zeigt ſich auch der Golfſtrom nach Stellung und Richtung
veränderlich. Dieſe Schwankungen ſind beſonders auffallend
vom 28. Breitengrad bis zur großen Bank von Neufundland,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0043" n="27"/>
noch nach Südo&#x017F;t getrieben, und zwar infolge eines An-<lb/>
&#x017F;toßes, de&#x017F;&#x017F;en Ur&#x017F;prung man an den Kü&#x017F;ten der Neuen Welt<lb/>
zu &#x017F;uchen hat. Im weiten Meeresbecken pflanzen &#x017F;ich alle<lb/>
Bewegungen fort, gerade wie im Luftmeere. Verfolgt man<lb/>
die Strömungen rückwärts zu ihren fernen Quellen, gibt man<lb/>
&#x017F;ich Rechen&#x017F;chaft von dem Wech&#x017F;el in ihrer Ge&#x017F;chwindigkeit,<lb/>
warum &#x017F;ie bald abnimmt, wie zwi&#x017F;chen dem Kanal von Ba-<lb/>
hama und der Bank von Neufundland, bald wieder wäch&#x017F;t,<lb/>
wie in der Nähe der Meerenge von Gibraltar und bei den<lb/>
Kanari&#x017F;chen In&#x017F;eln, &#x017F;o kann man nicht darüber im Zweifel<lb/>
&#x017F;ein, daß die&#x017F;elbe Ur&#x017F;ache, welche die Gewä&#x017F;&#x017F;er im Meerbu&#x017F;en<lb/>
von Mexiko herumdreht, &#x017F;ie auch bei der In&#x017F;el Madeira in<lb/>
Bewegung &#x017F;etzt.</p><lb/>
          <p>Südlich von letztgenannter In&#x017F;el läßt &#x017F;ich die Strömung<lb/>
in ihrer Richtung nach Südo&#x017F;t und Süd-Süd-O&#x017F;t gegen die<lb/>&#x017F;te von Afrika zwi&#x017F;chen Kap Cantin und Kap Bojador ver-<lb/>
folgen. In die&#x017F;en Strichen &#x017F;ieht &#x017F;ich ein Schiff bei &#x017F;tillem<lb/>
Wetter nahe an der Kü&#x017F;te, wenn es &#x017F;ich nach der nicht be-<lb/>
richtigten Schätzung noch weit davon entfernt glaubt. I&#x017F;t<lb/>
die Oeffnung bei Gibraltar die Ur&#x017F;ache der Bewegung des<lb/>
Wa&#x017F;&#x017F;ers, warum hat denn die Strömung &#x017F;üdlich von der<lb/>
Meerenge nicht die entgegenge&#x017F;etzte Richtung? Im Gegenteil<lb/>
aber geht &#x017F;ie unter dem 25. und 26. Grad der Breite er&#x017F;t<lb/>
gerade nach Süd und dann nach Südwe&#x017F;t. Kap Blanc, nach<lb/>
Kap Verd das am weite&#x017F;ten &#x017F;ich hinaus&#x017F;treckende Vorgebirge,<lb/>
&#x017F;cheint Einfluß auf die&#x017F;e Richtung zu äußern, und unter der<lb/>
Breite des&#x017F;elben mi&#x017F;chen &#x017F;ich die Wa&#x017F;&#x017F;er, deren Bewegung<lb/>
wir von der Kü&#x017F;te von Honduras bis zur afrikani&#x017F;chen verfolgt<lb/>
haben, mit dem großen tropi&#x017F;chen Strom, um den Lauf von<lb/>
Morgen nach Abend von neuem zu beginnen. Wir haben<lb/>
oben bemerkt, daß mehrere hundert Kilometer we&#x017F;twärts von<lb/>
den Kanarien der eigentümliche Zug der Aequinoktialgewä&#x017F;&#x017F;er<lb/>
&#x017F;chon in der gemäßigten Zone, vom 28. und 29. Breitengrad<lb/>
an, bemerklich wird; aber im Meridian der In&#x017F;el Ferro<lb/>
kommen die Schiffe &#x017F;üdwärts bis zum Wendekrei&#x017F;e des Kreb&#x017F;es,<lb/>
ehe &#x017F;ie &#x017F;ich nach der Schätzung o&#x017F;twärts von ihrer wahren<lb/>
Länge befinden.</p><lb/>
          <p>Wie nun aber die nördliche Grenze des tropi&#x017F;chen Stromes<lb/>
und der Pa&#x017F;&#x017F;atwinde nach den Jahreszeiten &#x017F;ich ver&#x017F;chiebt, &#x017F;o<lb/>
zeigt &#x017F;ich auch der Golf&#x017F;trom nach Stellung und Richtung<lb/>
veränderlich. Die&#x017F;e Schwankungen &#x017F;ind be&#x017F;onders auffallend<lb/>
vom 28. Breitengrad bis zur großen Bank von Neufundland,<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[27/0043] noch nach Südoſt getrieben, und zwar infolge eines An- ſtoßes, deſſen Urſprung man an den Küſten der Neuen Welt zu ſuchen hat. Im weiten Meeresbecken pflanzen ſich alle Bewegungen fort, gerade wie im Luftmeere. Verfolgt man die Strömungen rückwärts zu ihren fernen Quellen, gibt man ſich Rechenſchaft von dem Wechſel in ihrer Geſchwindigkeit, warum ſie bald abnimmt, wie zwiſchen dem Kanal von Ba- hama und der Bank von Neufundland, bald wieder wächſt, wie in der Nähe der Meerenge von Gibraltar und bei den Kanariſchen Inſeln, ſo kann man nicht darüber im Zweifel ſein, daß dieſelbe Urſache, welche die Gewäſſer im Meerbuſen von Mexiko herumdreht, ſie auch bei der Inſel Madeira in Bewegung ſetzt. Südlich von letztgenannter Inſel läßt ſich die Strömung in ihrer Richtung nach Südoſt und Süd-Süd-Oſt gegen die Küſte von Afrika zwiſchen Kap Cantin und Kap Bojador ver- folgen. In dieſen Strichen ſieht ſich ein Schiff bei ſtillem Wetter nahe an der Küſte, wenn es ſich nach der nicht be- richtigten Schätzung noch weit davon entfernt glaubt. Iſt die Oeffnung bei Gibraltar die Urſache der Bewegung des Waſſers, warum hat denn die Strömung ſüdlich von der Meerenge nicht die entgegengeſetzte Richtung? Im Gegenteil aber geht ſie unter dem 25. und 26. Grad der Breite erſt gerade nach Süd und dann nach Südweſt. Kap Blanc, nach Kap Verd das am weiteſten ſich hinausſtreckende Vorgebirge, ſcheint Einfluß auf dieſe Richtung zu äußern, und unter der Breite desſelben miſchen ſich die Waſſer, deren Bewegung wir von der Küſte von Honduras bis zur afrikaniſchen verfolgt haben, mit dem großen tropiſchen Strom, um den Lauf von Morgen nach Abend von neuem zu beginnen. Wir haben oben bemerkt, daß mehrere hundert Kilometer weſtwärts von den Kanarien der eigentümliche Zug der Aequinoktialgewäſſer ſchon in der gemäßigten Zone, vom 28. und 29. Breitengrad an, bemerklich wird; aber im Meridian der Inſel Ferro kommen die Schiffe ſüdwärts bis zum Wendekreiſe des Krebſes, ehe ſie ſich nach der Schätzung oſtwärts von ihrer wahren Länge befinden. Wie nun aber die nördliche Grenze des tropiſchen Stromes und der Paſſatwinde nach den Jahreszeiten ſich verſchiebt, ſo zeigt ſich auch der Golfſtrom nach Stellung und Richtung veränderlich. Dieſe Schwankungen ſind beſonders auffallend vom 28. Breitengrad bis zur großen Bank von Neufundland,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial01_1859
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial01_1859/43
Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859, S. 27. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial01_1859/43>, abgerufen am 21.11.2024.