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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859.

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Auge zu fassen, die infolge dieser seltsamen Gestaltung des
neuen Kontinents zwischen Ländern entstehen, die um das-
selbe Becken gelegen sind. Wie sehr auch die meisten Mutter-
länder ihre Kolonieen abzusperren suchen, sie werden dennoch
in die Aufregung hineingezogen. Die Elemente der Zerwürf-
nisse sind die gleichen, und wie instinktmäßig bildet sich ein
Einverständnis zwischen Menschen derselben Farbe, auch wenn
sie verschiedene Sprachen reden und auf weit entlegenen
Küsten wohnen. Dieses amerikanische Mittelmeer, das durch
die Küsten von Venezuela, Neugranada, Mexiko, die der
Vereinigten Staaten und durch die Antillen gebildet wird,
zählt an seinen Ufern gegen anderthalb Millionen Neger,
Sklaven und Freie, und sie sind so ungleich verteilt, daß es
im Süden sehr wenige, im Westen fast keine gibt; in großen
Massen finden sie sich nur auf den Nord- und Ostküsten. Es
ist dies gleichsam das afrikanische Stück dieses Binnenmeeres.
Die Unruhen, die vom Jahre 1792 an auf San Domingo
ausgebrochen, haben sich naturgemäß auf die Küsten von
Venezuela fortgepflanzt. Solange Spanien im ungestörten
Besitz dieser schönen Kolonieen war, wurden die kleinen Sklaven-
aufstände leicht unterdrückt; aber sobald ein Kampf anderer
Art, der für die Unabhängigkeit, entbrannte, machten sich die
Schwarzen durch ihre drohende Haltung bald der einen, bald
der anderen der einander gegenüberstehenden Parteien furchtbar,
und in verschiedenen Ländern des spanischen Amerikas wurde die
allmähliche oder plötzliche Aufhebung der Sklaverei verkündigt,
nicht sowohl aus Gefühlen der Gerechtigkeit oder Menschlichkeit,
als weil man sich des Beistandes eines unerschrockenen, an Ent-
behrungen gewöhnten und für sein eigenes Wohl kämpfenden
Menschenschlages versichern wollte. Ich bin in der Reisebe-
schreibung des Girolamo Benzoni auf eine merkwürdige Stelle
gestoßen, aus der hervorgeht, wie alt schon die Besorgnisse sind,
welche die Zunahme der schwarzen Bevölkerung einflößt. Diese
Besorgnisse werden nur da verschwinden, wo die Regierungen
die Umwandlung zum Bessern, welche durch mildere Sitten,
durch die öffentliche Meinung und durch religiöse Ansichten
in der Haussklaverei nach und nach vor sich geht, ihrerseits
durch die Gesetzgebung unterstützen. "Die Neger," sagt Ben-
zoni, "haben sich auf San Domingo dergestalt vermehrt, daß
ich im Jahre 1545, als ich auf Terra Firma (an der Küste
von Caracas) war, viele Spanier gesehen habe, die gar nicht
zweifelten, daß jene Insel binnen kurzem Eigentum der

Auge zu faſſen, die infolge dieſer ſeltſamen Geſtaltung des
neuen Kontinents zwiſchen Ländern entſtehen, die um das-
ſelbe Becken gelegen ſind. Wie ſehr auch die meiſten Mutter-
länder ihre Kolonieen abzuſperren ſuchen, ſie werden dennoch
in die Aufregung hineingezogen. Die Elemente der Zerwürf-
niſſe ſind die gleichen, und wie inſtinktmäßig bildet ſich ein
Einverſtändnis zwiſchen Menſchen derſelben Farbe, auch wenn
ſie verſchiedene Sprachen reden und auf weit entlegenen
Küſten wohnen. Dieſes amerikaniſche Mittelmeer, das durch
die Küſten von Venezuela, Neugranada, Mexiko, die der
Vereinigten Staaten und durch die Antillen gebildet wird,
zählt an ſeinen Ufern gegen anderthalb Millionen Neger,
Sklaven und Freie, und ſie ſind ſo ungleich verteilt, daß es
im Süden ſehr wenige, im Weſten faſt keine gibt; in großen
Maſſen finden ſie ſich nur auf den Nord- und Oſtküſten. Es
iſt dies gleichſam das afrikaniſche Stück dieſes Binnenmeeres.
Die Unruhen, die vom Jahre 1792 an auf San Domingo
ausgebrochen, haben ſich naturgemäß auf die Küſten von
Venezuela fortgepflanzt. Solange Spanien im ungeſtörten
Beſitz dieſer ſchönen Kolonieen war, wurden die kleinen Sklaven-
aufſtände leicht unterdrückt; aber ſobald ein Kampf anderer
Art, der für die Unabhängigkeit, entbrannte, machten ſich die
Schwarzen durch ihre drohende Haltung bald der einen, bald
der anderen der einander gegenüberſtehenden Parteien furchtbar,
und in verſchiedenen Ländern des ſpaniſchen Amerikas wurde die
allmähliche oder plötzliche Aufhebung der Sklaverei verkündigt,
nicht ſowohl aus Gefühlen der Gerechtigkeit oder Menſchlichkeit,
als weil man ſich des Beiſtandes eines unerſchrockenen, an Ent-
behrungen gewöhnten und für ſein eigenes Wohl kämpfenden
Menſchenſchlages verſichern wollte. Ich bin in der Reiſebe-
ſchreibung des Girolamo Benzoni auf eine merkwürdige Stelle
geſtoßen, aus der hervorgeht, wie alt ſchon die Beſorgniſſe ſind,
welche die Zunahme der ſchwarzen Bevölkerung einflößt. Dieſe
Beſorgniſſe werden nur da verſchwinden, wo die Regierungen
die Umwandlung zum Beſſern, welche durch mildere Sitten,
durch die öffentliche Meinung und durch religiöſe Anſichten
in der Hausſklaverei nach und nach vor ſich geht, ihrerſeits
durch die Geſetzgebung unterſtützen. „Die Neger,“ ſagt Ben-
zoni, „haben ſich auf San Domingo dergeſtalt vermehrt, daß
ich im Jahre 1545, als ich auf Terra Firma (an der Küſte
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[100/0108] Auge zu faſſen, die infolge dieſer ſeltſamen Geſtaltung des neuen Kontinents zwiſchen Ländern entſtehen, die um das- ſelbe Becken gelegen ſind. Wie ſehr auch die meiſten Mutter- länder ihre Kolonieen abzuſperren ſuchen, ſie werden dennoch in die Aufregung hineingezogen. Die Elemente der Zerwürf- niſſe ſind die gleichen, und wie inſtinktmäßig bildet ſich ein Einverſtändnis zwiſchen Menſchen derſelben Farbe, auch wenn ſie verſchiedene Sprachen reden und auf weit entlegenen Küſten wohnen. Dieſes amerikaniſche Mittelmeer, das durch die Küſten von Venezuela, Neugranada, Mexiko, die der Vereinigten Staaten und durch die Antillen gebildet wird, zählt an ſeinen Ufern gegen anderthalb Millionen Neger, Sklaven und Freie, und ſie ſind ſo ungleich verteilt, daß es im Süden ſehr wenige, im Weſten faſt keine gibt; in großen Maſſen finden ſie ſich nur auf den Nord- und Oſtküſten. Es iſt dies gleichſam das afrikaniſche Stück dieſes Binnenmeeres. Die Unruhen, die vom Jahre 1792 an auf San Domingo ausgebrochen, haben ſich naturgemäß auf die Küſten von Venezuela fortgepflanzt. Solange Spanien im ungeſtörten Beſitz dieſer ſchönen Kolonieen war, wurden die kleinen Sklaven- aufſtände leicht unterdrückt; aber ſobald ein Kampf anderer Art, der für die Unabhängigkeit, entbrannte, machten ſich die Schwarzen durch ihre drohende Haltung bald der einen, bald der anderen der einander gegenüberſtehenden Parteien furchtbar, und in verſchiedenen Ländern des ſpaniſchen Amerikas wurde die allmähliche oder plötzliche Aufhebung der Sklaverei verkündigt, nicht ſowohl aus Gefühlen der Gerechtigkeit oder Menſchlichkeit, als weil man ſich des Beiſtandes eines unerſchrockenen, an Ent- behrungen gewöhnten und für ſein eigenes Wohl kämpfenden Menſchenſchlages verſichern wollte. Ich bin in der Reiſebe- ſchreibung des Girolamo Benzoni auf eine merkwürdige Stelle geſtoßen, aus der hervorgeht, wie alt ſchon die Beſorgniſſe ſind, welche die Zunahme der ſchwarzen Bevölkerung einflößt. Dieſe Beſorgniſſe werden nur da verſchwinden, wo die Regierungen die Umwandlung zum Beſſern, welche durch mildere Sitten, durch die öffentliche Meinung und durch religiöſe Anſichten in der Hausſklaverei nach und nach vor ſich geht, ihrerſeits durch die Geſetzgebung unterſtützen. „Die Neger,“ ſagt Ben- zoni, „haben ſich auf San Domingo dergeſtalt vermehrt, daß ich im Jahre 1545, als ich auf Terra Firma (an der Küſte von Caracas) war, viele Spanier geſehen habe, die gar nicht zweifelten, daß jene Inſel binnen kurzem Eigentum der

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859, S. 100. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial02_1859/108>, abgerufen am 21.11.2024.