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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859.

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und Freiheit trennt die nationale oder amerikanische Partei
und die aus dem Mutterlande Herübergekommenen in zwei
Lager. Als ich nach Caracas kam, waren letztere eben der
Gefahr entgangen, die sie in dem von Espanna angezettelten
Aufstande für sich erblickt hatten. Dieser kecke Anschlag hatte
desto schlimmere Folgen, da man, statt den Ursachen des
herrschenden Mißvergnügens auf den Grund zu gehen, die
Sache des Mutterlandes nur durch strenge Maßregeln zu
retten glaubte. Jetzt, bei den Unruhen, die vom Ufer des
Rio de la Plata bis Neumexiko auf einer Strecke von 6300 km
ausgebrochen sind, stehen Menschen desselben Stammes einander
gegenüber.

Man scheint sich in Europa zu wundern, wie die Spanier
aus dem Mutterlande, deren, wie wir gesehen, so wenige
sind, jahrhundertelang so starken Widerstand leisten konnten,
und man vergißt, daß in allen Kolonieen die europäische Partei
notwendig durch eine große Menge Einheimischer verstärkt
wird. Familienrücksichten, die Liebe zur ungestörten Ruhe,
die Scheu, sich in ein Unternehmen einzulassen, das schlimm
ablaufen kann, halten diese ab, sich der Sache der Unab-
hängigkeit anzuschließen oder für die Einführung einer eigenen,
wenn auch vom Mutterlande abhängigen Repräsentativregierung
aufzutreten. Die einen scheuen alle gewaltsamen Mittel und
leben der Hoffnung, durch Reformen werde das Kolonial-
regiment allgemach weniger drückend werden; Revolution ist
ihnen gleichbedeutend mit dem Verlust ihrer Sklaven, mit der
Beraubung des Klerus und der Einführung einer religiösen
Duldsamkeit, wobei, meinen sie, der herrschende Kultus sich
unmöglich in seiner Reinheit erhalten könne. Andere gehören
den wenigen Familen an, die in jeder Gemeinde durch ererbten
Wohlstand oder durch sehr alten Bestand in den Kolonieen
eine wahre Munizipalaristokratie bilden. Sie wollen lieber
gewisse Rechte gar nicht bekommen, als sie mit allen teilen;
ja eine Fremdherrschaft wäre ihnen lieber als eine Regierung
in den Händen von Amerikanern, die im Range unter ihnen
stehen; sie verabscheuen jede auf Gleichheit der Rechte ge-
gründete Verfassung; vor allem fürchten sie den Verlust der
Ordenszeichen und Titel, die sie sich mit so saurer Mühe
erworben, und die, wie wir oben angedeutet, einen Haupt-
bestandteil ihres häuslichen Glückes ausmachen. Noch andere,
und ihrer sind sehr viele, leben auf dem Lande vom Ertrage
ihrer Grundstücke und genießen der Freiheit, deren sich ein

und Freiheit trennt die nationale oder amerikaniſche Partei
und die aus dem Mutterlande Herübergekommenen in zwei
Lager. Als ich nach Caracas kam, waren letztere eben der
Gefahr entgangen, die ſie in dem von Eſpaña angezettelten
Aufſtande für ſich erblickt hatten. Dieſer kecke Anſchlag hatte
deſto ſchlimmere Folgen, da man, ſtatt den Urſachen des
herrſchenden Mißvergnügens auf den Grund zu gehen, die
Sache des Mutterlandes nur durch ſtrenge Maßregeln zu
retten glaubte. Jetzt, bei den Unruhen, die vom Ufer des
Rio de la Plata bis Neumexiko auf einer Strecke von 6300 km
ausgebrochen ſind, ſtehen Menſchen desſelben Stammes einander
gegenüber.

Man ſcheint ſich in Europa zu wundern, wie die Spanier
aus dem Mutterlande, deren, wie wir geſehen, ſo wenige
ſind, jahrhundertelang ſo ſtarken Widerſtand leiſten konnten,
und man vergißt, daß in allen Kolonieen die europäiſche Partei
notwendig durch eine große Menge Einheimiſcher verſtärkt
wird. Familienrückſichten, die Liebe zur ungeſtörten Ruhe,
die Scheu, ſich in ein Unternehmen einzulaſſen, das ſchlimm
ablaufen kann, halten dieſe ab, ſich der Sache der Unab-
hängigkeit anzuſchließen oder für die Einführung einer eigenen,
wenn auch vom Mutterlande abhängigen Repräſentativregierung
aufzutreten. Die einen ſcheuen alle gewaltſamen Mittel und
leben der Hoffnung, durch Reformen werde das Kolonial-
regiment allgemach weniger drückend werden; Revolution iſt
ihnen gleichbedeutend mit dem Verluſt ihrer Sklaven, mit der
Beraubung des Klerus und der Einführung einer religiöſen
Duldſamkeit, wobei, meinen ſie, der herrſchende Kultus ſich
unmöglich in ſeiner Reinheit erhalten könne. Andere gehören
den wenigen Familen an, die in jeder Gemeinde durch ererbten
Wohlſtand oder durch ſehr alten Beſtand in den Kolonieen
eine wahre Munizipalariſtokratie bilden. Sie wollen lieber
gewiſſe Rechte gar nicht bekommen, als ſie mit allen teilen;
ja eine Fremdherrſchaft wäre ihnen lieber als eine Regierung
in den Händen von Amerikanern, die im Range unter ihnen
ſtehen; ſie verabſcheuen jede auf Gleichheit der Rechte ge-
gründete Verfaſſung; vor allem fürchten ſie den Verluſt der
Ordenszeichen und Titel, die ſie ſich mit ſo ſaurer Mühe
erworben, und die, wie wir oben angedeutet, einen Haupt-
beſtandteil ihres häuslichen Glückes ausmachen. Noch andere,
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[104/0112] und Freiheit trennt die nationale oder amerikaniſche Partei und die aus dem Mutterlande Herübergekommenen in zwei Lager. Als ich nach Caracas kam, waren letztere eben der Gefahr entgangen, die ſie in dem von Eſpaña angezettelten Aufſtande für ſich erblickt hatten. Dieſer kecke Anſchlag hatte deſto ſchlimmere Folgen, da man, ſtatt den Urſachen des herrſchenden Mißvergnügens auf den Grund zu gehen, die Sache des Mutterlandes nur durch ſtrenge Maßregeln zu retten glaubte. Jetzt, bei den Unruhen, die vom Ufer des Rio de la Plata bis Neumexiko auf einer Strecke von 6300 km ausgebrochen ſind, ſtehen Menſchen desſelben Stammes einander gegenüber. Man ſcheint ſich in Europa zu wundern, wie die Spanier aus dem Mutterlande, deren, wie wir geſehen, ſo wenige ſind, jahrhundertelang ſo ſtarken Widerſtand leiſten konnten, und man vergißt, daß in allen Kolonieen die europäiſche Partei notwendig durch eine große Menge Einheimiſcher verſtärkt wird. Familienrückſichten, die Liebe zur ungeſtörten Ruhe, die Scheu, ſich in ein Unternehmen einzulaſſen, das ſchlimm ablaufen kann, halten dieſe ab, ſich der Sache der Unab- hängigkeit anzuſchließen oder für die Einführung einer eigenen, wenn auch vom Mutterlande abhängigen Repräſentativregierung aufzutreten. Die einen ſcheuen alle gewaltſamen Mittel und leben der Hoffnung, durch Reformen werde das Kolonial- regiment allgemach weniger drückend werden; Revolution iſt ihnen gleichbedeutend mit dem Verluſt ihrer Sklaven, mit der Beraubung des Klerus und der Einführung einer religiöſen Duldſamkeit, wobei, meinen ſie, der herrſchende Kultus ſich unmöglich in ſeiner Reinheit erhalten könne. Andere gehören den wenigen Familen an, die in jeder Gemeinde durch ererbten Wohlſtand oder durch ſehr alten Beſtand in den Kolonieen eine wahre Munizipalariſtokratie bilden. Sie wollen lieber gewiſſe Rechte gar nicht bekommen, als ſie mit allen teilen; ja eine Fremdherrſchaft wäre ihnen lieber als eine Regierung in den Händen von Amerikanern, die im Range unter ihnen ſtehen; ſie verabſcheuen jede auf Gleichheit der Rechte ge- gründete Verfaſſung; vor allem fürchten ſie den Verluſt der Ordenszeichen und Titel, die ſie ſich mit ſo ſaurer Mühe erworben, und die, wie wir oben angedeutet, einen Haupt- beſtandteil ihres häuslichen Glückes ausmachen. Noch andere, und ihrer ſind ſehr viele, leben auf dem Lande vom Ertrage ihrer Grundſtücke und genießen der Freiheit, deren ſich ein

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859, S. 104. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial02_1859/112>, abgerufen am 21.11.2024.