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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859.

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fortzusetzen, als wir alle den Berg wieder hinabgehen, statt
weiter heraufkommen sahen. Der Himmel fing an sich zu be-
decken. Bereits stieg aus dem feuchten Buschwalde, der über
uns die Region der Alpensavannen begrenzte, der Nebel wie
Rauch in dünnen, geraden Streifen auf. Es war, als wäre
an mehreren Punkten des Waldes zugleich Feuer ausgebrochen.
Nach und nach ballten sich diese Dunststreifen zusammen, lösten
sich vom Boden ab und streiften, vom Morgenwinde gejagt,
als leichtes Gewölk um den runden Gipfel des Gebirges.

Dies war für Bonpland und mich ein untrügliches Zeichen,
daß wir bald in dichten Nebel gehüllt sein würden. Da wir
besorgten, unsere Führer möchten sich diesen Umstand zu nutze
machen, um uns im Stiche zu lassen, ließen wir diejenigen,
welche die unentbehrlichsten Instrumente trugen, vor uns her-
gehen. Fortwährend ging es am Abhange, gegen die Spalte
des Chacaito zu, aufwärts. Das vertrauliche Geschwätz der
schwarzen Kreolen stach merkwürdig ab vom schweigsamen Ernst
der Indianer, die in den Missionen von Charipe unsere be-
ständigen Begleiter gewesen waren. Sie machten sich über
die Leute lustig, die ein Unternehmen, zu dem sie sich so lange
gerüstet, so schnell aufgegeben hatten; am schlimmsten kam ein
junger Kapuziner weg, ein Professor der Mathematik, der
immer wieder darauf kam, daß die europäischen Spanier aller
Stände an Körperkraft und Mut den Hispano-Amerikanern
denn doch weit überlegen seien. Er hatte sich mit weißen
Papierstreifen versehen, die in der Savanne zerschnitten und
ausgeworfen werden sollten, um den Nachzüglern die einzu-
schlagende Richtung anzugeben. Der Professor hatte sogar
seinen Ordensbrüdern versprochen, er wolle in der Nacht ein
paar Raketen steigen lassen, um ganz Caracas zu verkünden,
daß ein Unternehmen glücklich zu Ende geführt worden, das
ihm, und ich muß sagen, nur ihm, vom höchsten Belang schien.
Er hatte nicht bedacht, daß seine lange schwere Kleidung ihm
beim Bergsteigen hinderlich werden müsse. Er hatte lange
vor den Kreolen den Mut verloren, und so blieb er den Tag
vollends in einer nahen Pflanzung und sah uns durch ein auf
die Silla gerichtetes Fernrohr den Berg hinaufklettern. Zu
unserem Unstern hatte der Ordensmann, dem es nicht an
physikalischen Kenntnissen fehlte, und der wenige Jahre darauf
von den wilden Indianern am Apure ermordet wurde, die
Besorgung des bei einer Bergfahrt unentbehrlichen Wassers
und der Mundvorräte übernommen. Die Sklaven, die zu uns

fortzuſetzen, als wir alle den Berg wieder hinabgehen, ſtatt
weiter heraufkommen ſahen. Der Himmel fing an ſich zu be-
decken. Bereits ſtieg aus dem feuchten Buſchwalde, der über
uns die Region der Alpenſavannen begrenzte, der Nebel wie
Rauch in dünnen, geraden Streifen auf. Es war, als wäre
an mehreren Punkten des Waldes zugleich Feuer ausgebrochen.
Nach und nach ballten ſich dieſe Dunſtſtreifen zuſammen, löſten
ſich vom Boden ab und ſtreiften, vom Morgenwinde gejagt,
als leichtes Gewölk um den runden Gipfel des Gebirges.

Dies war für Bonpland und mich ein untrügliches Zeichen,
daß wir bald in dichten Nebel gehüllt ſein würden. Da wir
beſorgten, unſere Führer möchten ſich dieſen Umſtand zu nutze
machen, um uns im Stiche zu laſſen, ließen wir diejenigen,
welche die unentbehrlichſten Inſtrumente trugen, vor uns her-
gehen. Fortwährend ging es am Abhange, gegen die Spalte
des Chacaito zu, aufwärts. Das vertrauliche Geſchwätz der
ſchwarzen Kreolen ſtach merkwürdig ab vom ſchweigſamen Ernſt
der Indianer, die in den Miſſionen von Charipe unſere be-
ſtändigen Begleiter geweſen waren. Sie machten ſich über
die Leute luſtig, die ein Unternehmen, zu dem ſie ſich ſo lange
gerüſtet, ſo ſchnell aufgegeben hatten; am ſchlimmſten kam ein
junger Kapuziner weg, ein Profeſſor der Mathematik, der
immer wieder darauf kam, daß die europäiſchen Spanier aller
Stände an Körperkraft und Mut den Hiſpano-Amerikanern
denn doch weit überlegen ſeien. Er hatte ſich mit weißen
Papierſtreifen verſehen, die in der Savanne zerſchnitten und
ausgeworfen werden ſollten, um den Nachzüglern die einzu-
ſchlagende Richtung anzugeben. Der Profeſſor hatte ſogar
ſeinen Ordensbrüdern verſprochen, er wolle in der Nacht ein
paar Raketen ſteigen laſſen, um ganz Caracas zu verkünden,
daß ein Unternehmen glücklich zu Ende geführt worden, das
ihm, und ich muß ſagen, nur ihm, vom höchſten Belang ſchien.
Er hatte nicht bedacht, daß ſeine lange ſchwere Kleidung ihm
beim Bergſteigen hinderlich werden müſſe. Er hatte lange
vor den Kreolen den Mut verloren, und ſo blieb er den Tag
vollends in einer nahen Pflanzung und ſah uns durch ein auf
die Silla gerichtetes Fernrohr den Berg hinaufklettern. Zu
unſerem Unſtern hatte der Ordensmann, dem es nicht an
phyſikaliſchen Kenntniſſen fehlte, und der wenige Jahre darauf
von den wilden Indianern am Apure ermordet wurde, die
Beſorgung des bei einer Bergfahrt unentbehrlichen Waſſers
und der Mundvorräte übernommen. Die Sklaven, die zu uns

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[128/0136] fortzuſetzen, als wir alle den Berg wieder hinabgehen, ſtatt weiter heraufkommen ſahen. Der Himmel fing an ſich zu be- decken. Bereits ſtieg aus dem feuchten Buſchwalde, der über uns die Region der Alpenſavannen begrenzte, der Nebel wie Rauch in dünnen, geraden Streifen auf. Es war, als wäre an mehreren Punkten des Waldes zugleich Feuer ausgebrochen. Nach und nach ballten ſich dieſe Dunſtſtreifen zuſammen, löſten ſich vom Boden ab und ſtreiften, vom Morgenwinde gejagt, als leichtes Gewölk um den runden Gipfel des Gebirges. Dies war für Bonpland und mich ein untrügliches Zeichen, daß wir bald in dichten Nebel gehüllt ſein würden. Da wir beſorgten, unſere Führer möchten ſich dieſen Umſtand zu nutze machen, um uns im Stiche zu laſſen, ließen wir diejenigen, welche die unentbehrlichſten Inſtrumente trugen, vor uns her- gehen. Fortwährend ging es am Abhange, gegen die Spalte des Chacaito zu, aufwärts. Das vertrauliche Geſchwätz der ſchwarzen Kreolen ſtach merkwürdig ab vom ſchweigſamen Ernſt der Indianer, die in den Miſſionen von Charipe unſere be- ſtändigen Begleiter geweſen waren. Sie machten ſich über die Leute luſtig, die ein Unternehmen, zu dem ſie ſich ſo lange gerüſtet, ſo ſchnell aufgegeben hatten; am ſchlimmſten kam ein junger Kapuziner weg, ein Profeſſor der Mathematik, der immer wieder darauf kam, daß die europäiſchen Spanier aller Stände an Körperkraft und Mut den Hiſpano-Amerikanern denn doch weit überlegen ſeien. Er hatte ſich mit weißen Papierſtreifen verſehen, die in der Savanne zerſchnitten und ausgeworfen werden ſollten, um den Nachzüglern die einzu- ſchlagende Richtung anzugeben. Der Profeſſor hatte ſogar ſeinen Ordensbrüdern verſprochen, er wolle in der Nacht ein paar Raketen ſteigen laſſen, um ganz Caracas zu verkünden, daß ein Unternehmen glücklich zu Ende geführt worden, das ihm, und ich muß ſagen, nur ihm, vom höchſten Belang ſchien. Er hatte nicht bedacht, daß ſeine lange ſchwere Kleidung ihm beim Bergſteigen hinderlich werden müſſe. Er hatte lange vor den Kreolen den Mut verloren, und ſo blieb er den Tag vollends in einer nahen Pflanzung und ſah uns durch ein auf die Silla gerichtetes Fernrohr den Berg hinaufklettern. Zu unſerem Unſtern hatte der Ordensmann, dem es nicht an phyſikaliſchen Kenntniſſen fehlte, und der wenige Jahre darauf von den wilden Indianern am Apure ermordet wurde, die Beſorgung des bei einer Bergfahrt unentbehrlichen Waſſers und der Mundvorräte übernommen. Die Sklaven, die zu uns

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859, S. 128. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial02_1859/136>, abgerufen am 21.11.2024.