Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859.einzelnen, scheut der Mensch das Licht, das ihm die wahren Als Bonpland und ich in den Provinzen Neuandalusien, 1 Am 30. November 1744 und 3. September 1750.
einzelnen, ſcheut der Menſch das Licht, das ihm die wahren Als Bonpland und ich in den Provinzen Neuandaluſien, 1 Am 30. November 1744 und 3. September 1750.
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0157" n="149"/> einzelnen, ſcheut der Menſch das Licht, das ihm die wahren<lb/> Urſachen des Geſchehenen zeigte und die begleitenden Um-<lb/> ſtände erkennen ließe. Ich glaubte, in dieſem Werke nieder-<lb/> legen zu ſollen, was ich an zuverläſſiger Kunde über die Erd-<lb/> ſtöße zuſammengebracht, die am 26. März 1812 die Stadt<lb/> Caracas zerſtört und in der Provinz Venezuela faſt in <hi rendition="#g">einem</hi><lb/> Augenblick über zwanzigtauſend Menſchen das Leben gekoſtet<lb/> haben. Die Verbindungen, die ich fortwährend mit Leuten<lb/> aller Stände unterhalten, ſetzten mich in den Stand, die Be-<lb/> richte mehrerer Augenzeugen zu vergleichen und Fragen über<lb/> Punkte an ſie zu richten, an deren Aufklärung der Wiſſen-<lb/> ſchaft vorzugsweiſe gelegen iſt. Als Geſchichtſchreiber der<lb/> Natur hat der Reiſende die Zeit des Eintrittes großer Kata-<lb/> ſtrophen feſtzuſtellen, ihren Zuſammenhang und ihre gegen-<lb/> ſeitigen Verhältniſſe zu unterſuchen, und im raſchen Ablauf<lb/> der Zeit, im ununterbrochenen Zuge ſich drängender Ver-<lb/> wandlungen feſte Punkte zu bezeichnen, mit denen einſt andere<lb/> Kataſtrophen vergleichen werden mögen. In der unermeßlichen<lb/> Zeit, welche die Geſchichte der Natur umfaßt, rücken alle Zeit-<lb/> punkte des Geſchehenen nahe zuſammen; die verfloſſenen Jahre<lb/> erſcheinen wie Augenblicke, und wenn die phyſiſche Beſchrei-<lb/> bung eines Landes von keinem allgemeinen und überhaupt<lb/> von keinem großen Intereſſe iſt, ſo hat ſie zum wenigſten den<lb/> Vorteil, daß ſie nicht veraltet. Betrachtungen dieſer Art haben<lb/> La Condamine bewogen, die denkwürdigen Ausbrüche des<lb/> Vulkanes Cotopaxi,<note place="foot" n="1">Am 30. November 1744 und 3. September 1750.</note> die lange nach ſeinem Abgange von Quito<lb/> ſtattgefunden, in ſeiner „Reiſe zum Aequator“ zu beſchreiben.<lb/> Ich glaube dem Beiſpiel des großen Gelehrten deſto unbe-<lb/> ſorgter vor irgend welchem Vorwurf folgen zu dürfen, da die<lb/> Ereigniſſe, die ich zu beſchreiben gedenke, für die Theorie von<lb/> den <hi rendition="#g">vulkaniſchen Reaktionen</hi> ſprechen, das heißt für den<lb/> Einfluß, den ein <hi rendition="#g">Syſtem von Vulkanen</hi> auf den weiten<lb/> Landſtrich umher ausübt.</p><lb/> <p>Als Bonpland und ich in den Provinzen Neuandaluſien,<lb/> Nueva Barcelona und Caracas uns aufhielten, war die Mei-<lb/> nung allgemein verbreitet, daß die am weiteſten nach Oſten<lb/> gelegenen Striche dieſer Küſten den verheerenden Wirkungen<lb/> der Erdbeben am meiſten ausgeſetzt ſeien. Die Einwohner<lb/> von Cumana ſcheuten das Thal von Caracas wegen des<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [149/0157]
einzelnen, ſcheut der Menſch das Licht, das ihm die wahren
Urſachen des Geſchehenen zeigte und die begleitenden Um-
ſtände erkennen ließe. Ich glaubte, in dieſem Werke nieder-
legen zu ſollen, was ich an zuverläſſiger Kunde über die Erd-
ſtöße zuſammengebracht, die am 26. März 1812 die Stadt
Caracas zerſtört und in der Provinz Venezuela faſt in einem
Augenblick über zwanzigtauſend Menſchen das Leben gekoſtet
haben. Die Verbindungen, die ich fortwährend mit Leuten
aller Stände unterhalten, ſetzten mich in den Stand, die Be-
richte mehrerer Augenzeugen zu vergleichen und Fragen über
Punkte an ſie zu richten, an deren Aufklärung der Wiſſen-
ſchaft vorzugsweiſe gelegen iſt. Als Geſchichtſchreiber der
Natur hat der Reiſende die Zeit des Eintrittes großer Kata-
ſtrophen feſtzuſtellen, ihren Zuſammenhang und ihre gegen-
ſeitigen Verhältniſſe zu unterſuchen, und im raſchen Ablauf
der Zeit, im ununterbrochenen Zuge ſich drängender Ver-
wandlungen feſte Punkte zu bezeichnen, mit denen einſt andere
Kataſtrophen vergleichen werden mögen. In der unermeßlichen
Zeit, welche die Geſchichte der Natur umfaßt, rücken alle Zeit-
punkte des Geſchehenen nahe zuſammen; die verfloſſenen Jahre
erſcheinen wie Augenblicke, und wenn die phyſiſche Beſchrei-
bung eines Landes von keinem allgemeinen und überhaupt
von keinem großen Intereſſe iſt, ſo hat ſie zum wenigſten den
Vorteil, daß ſie nicht veraltet. Betrachtungen dieſer Art haben
La Condamine bewogen, die denkwürdigen Ausbrüche des
Vulkanes Cotopaxi, 1 die lange nach ſeinem Abgange von Quito
ſtattgefunden, in ſeiner „Reiſe zum Aequator“ zu beſchreiben.
Ich glaube dem Beiſpiel des großen Gelehrten deſto unbe-
ſorgter vor irgend welchem Vorwurf folgen zu dürfen, da die
Ereigniſſe, die ich zu beſchreiben gedenke, für die Theorie von
den vulkaniſchen Reaktionen ſprechen, das heißt für den
Einfluß, den ein Syſtem von Vulkanen auf den weiten
Landſtrich umher ausübt.
Als Bonpland und ich in den Provinzen Neuandaluſien,
Nueva Barcelona und Caracas uns aufhielten, war die Mei-
nung allgemein verbreitet, daß die am weiteſten nach Oſten
gelegenen Striche dieſer Küſten den verheerenden Wirkungen
der Erdbeben am meiſten ausgeſetzt ſeien. Die Einwohner
von Cumana ſcheuten das Thal von Caracas wegen des
1 Am 30. November 1744 und 3. September 1750.
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