treffen so auffallender Verhältnisse mußte mich auf diese Thäler aufmerksam machen, in denen die wilden Reize der Natur und der liebliche Eindruck fleißigen Anbaues und der Künste einer erwachenden Kultur sich vereinigen.
Der See von Valencia, von den Indianern Tacarigua genannt, ist größer als der Neuenburger See in der Schweiz; im Umriß aber hat er Aehnlichkeit mit dem Genfer See, der auch fast gleich hoch über dem Meere liegt. Da in den Thälern von Aragua der Boden nach Süd und West fällt, so liegt der Teil des Beckens, der unter Wasser geblieben ist, zunächst der südlichen Bergkette von Guigue, Yusma und dem Guacimo, die den hohen Savannen von Ocumare zustreicht. Die einander gegenüberliegenden Ufer des Sees stechen auf- fallend voneinander ab. Das südliche ist wüste, kahl, fast gar nicht bewohnt, eine hohe Gebirgswand gibt ihm ein finsteres, einförmiges Ansehen; das nördliche dagegen ist eine liebliche Landschaft mit reichen Zucker-, Kaffee- und Baum- wollenpflanzungen. Mit Cestrum, Azedarac und anderen immerblühenden Sträuchern eingefaßte Wege laufen über die Ebene und verbinden die zerstreuten Höfe. Jedes Haus ist von Bäumen umgeben. Der Ceiba mit großen gelben 1 und die Erithryna mit purpurfarbigen Blüten, deren Aeste sich verflechten, geben der Landschaft einen eigentümlichen Cha- rakter. Die Mannigfaltigkeit und der Glanz der vegetabili- schen Farben sticht wirkungsvoll vom eintönigen Blau des wolkenlosen Himmels ab. In der trockenen Jahreszeit, wenn ein wallender Dunst über dem glühenden Boden schwebt, wird das Grün und die Fruchtbarkeit durch künstliche Be- wässerung unterhalten. Hin und wieder kommt der Granit im angebauten Land zu Tage; ungeheure Felsmassen steigen mitten im Thale steil empor. An ihren nackten, zerklüfteten Wänden wachsen einige Saftpflanzen und bilden Dammerde für kommende Jahrhunderte. Häufig ist oben auf diesen ein- zeln stehenden Hügeln ein Feigenbaum oder eine Clusia mit fleischigen Blättern aus den Felsritzen emporgewachsen und beherrscht die Landschaft. Mit ihren dürren, abgestorbenen Aesten sehen sie aus wie Signalstangen auf einer steilen Küste. An der Gestaltung dieser Höhen errät man, was sie früher waren; als noch das ganze Thal unter Wasser stand und die
1Carnes tollendas; Bombax hibiscifolius.
treffen ſo auffallender Verhältniſſe mußte mich auf dieſe Thäler aufmerkſam machen, in denen die wilden Reize der Natur und der liebliche Eindruck fleißigen Anbaues und der Künſte einer erwachenden Kultur ſich vereinigen.
Der See von Valencia, von den Indianern Tacarigua genannt, iſt größer als der Neuenburger See in der Schweiz; im Umriß aber hat er Aehnlichkeit mit dem Genfer See, der auch faſt gleich hoch über dem Meere liegt. Da in den Thälern von Aragua der Boden nach Süd und Weſt fällt, ſo liegt der Teil des Beckens, der unter Waſſer geblieben iſt, zunächſt der ſüdlichen Bergkette von Guigue, Yusma und dem Guacimo, die den hohen Savannen von Ocumare zuſtreicht. Die einander gegenüberliegenden Ufer des Sees ſtechen auf- fallend voneinander ab. Das ſüdliche iſt wüſte, kahl, faſt gar nicht bewohnt, eine hohe Gebirgswand gibt ihm ein finſteres, einförmiges Anſehen; das nördliche dagegen iſt eine liebliche Landſchaft mit reichen Zucker-, Kaffee- und Baum- wollenpflanzungen. Mit Ceſtrum, Azedarac und anderen immerblühenden Sträuchern eingefaßte Wege laufen über die Ebene und verbinden die zerſtreuten Höfe. Jedes Haus iſt von Bäumen umgeben. Der Ceiba mit großen gelben 1 und die Erithryna mit purpurfarbigen Blüten, deren Aeſte ſich verflechten, geben der Landſchaft einen eigentümlichen Cha- rakter. Die Mannigfaltigkeit und der Glanz der vegetabili- ſchen Farben ſticht wirkungsvoll vom eintönigen Blau des wolkenloſen Himmels ab. In der trockenen Jahreszeit, wenn ein wallender Dunſt über dem glühenden Boden ſchwebt, wird das Grün und die Fruchtbarkeit durch künſtliche Be- wäſſerung unterhalten. Hin und wieder kommt der Granit im angebauten Land zu Tage; ungeheure Felsmaſſen ſteigen mitten im Thale ſteil empor. An ihren nackten, zerklüfteten Wänden wachſen einige Saftpflanzen und bilden Dammerde für kommende Jahrhunderte. Häufig iſt oben auf dieſen ein- zeln ſtehenden Hügeln ein Feigenbaum oder eine Cluſia mit fleiſchigen Blättern aus den Felsritzen emporgewachſen und beherrſcht die Landſchaft. Mit ihren dürren, abgeſtorbenen Aeſten ſehen ſie aus wie Signalſtangen auf einer ſteilen Küſte. An der Geſtaltung dieſer Höhen errät man, was ſie früher waren; als noch das ganze Thal unter Waſſer ſtand und die
1Carnes tollendas; Bombax hibiscifolius.
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treffen ſo auffallender Verhältniſſe mußte mich auf dieſe
Thäler aufmerkſam machen, in denen die wilden Reize der
Natur und der liebliche Eindruck fleißigen Anbaues und der
Künſte einer erwachenden Kultur ſich vereinigen.
Der See von Valencia, von den Indianern Tacarigua
genannt, iſt größer als der Neuenburger See in der Schweiz;
im Umriß aber hat er Aehnlichkeit mit dem Genfer See, der
auch faſt gleich hoch über dem Meere liegt. Da in den
Thälern von Aragua der Boden nach Süd und Weſt fällt,
ſo liegt der Teil des Beckens, der unter Waſſer geblieben iſt,
zunächſt der ſüdlichen Bergkette von Guigue, Yusma und dem
Guacimo, die den hohen Savannen von Ocumare zuſtreicht.
Die einander gegenüberliegenden Ufer des Sees ſtechen auf-
fallend voneinander ab. Das ſüdliche iſt wüſte, kahl, faſt
gar nicht bewohnt, eine hohe Gebirgswand gibt ihm ein
finſteres, einförmiges Anſehen; das nördliche dagegen iſt eine
liebliche Landſchaft mit reichen Zucker-, Kaffee- und Baum-
wollenpflanzungen. Mit Ceſtrum, Azedarac und anderen
immerblühenden Sträuchern eingefaßte Wege laufen über die
Ebene und verbinden die zerſtreuten Höfe. Jedes Haus iſt
von Bäumen umgeben. Der Ceiba mit großen gelben 1 und
die Erithryna mit purpurfarbigen Blüten, deren Aeſte ſich
verflechten, geben der Landſchaft einen eigentümlichen Cha-
rakter. Die Mannigfaltigkeit und der Glanz der vegetabili-
ſchen Farben ſticht wirkungsvoll vom eintönigen Blau des
wolkenloſen Himmels ab. In der trockenen Jahreszeit, wenn
ein wallender Dunſt über dem glühenden Boden ſchwebt,
wird das Grün und die Fruchtbarkeit durch künſtliche Be-
wäſſerung unterhalten. Hin und wieder kommt der Granit
im angebauten Land zu Tage; ungeheure Felsmaſſen ſteigen
mitten im Thale ſteil empor. An ihren nackten, zerklüfteten
Wänden wachſen einige Saftpflanzen und bilden Dammerde
für kommende Jahrhunderte. Häufig iſt oben auf dieſen ein-
zeln ſtehenden Hügeln ein Feigenbaum oder eine Cluſia mit
fleiſchigen Blättern aus den Felsritzen emporgewachſen und
beherrſcht die Landſchaft. Mit ihren dürren, abgeſtorbenen
Aeſten ſehen ſie aus wie Signalſtangen auf einer ſteilen Küſte.
An der Geſtaltung dieſer Höhen errät man, was ſie früher
waren; als noch das ganze Thal unter Waſſer ſtand und die
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859, S. 201. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial02_1859/209>, abgerufen am 20.07.2024.
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