sollte. Die Ehre ward dem heil. Saturnin zu teil, und als man das erste Mal das Fest des Heiligen beging, verschwan- den die Ameisen. Seit den Zeiten der Eroberung hat der Unglauben gewaltige Fortschritte gemacht, und nur auf dem Rücken der Kordilleren fand ich eine kleine Kapelle, in der, der Inschrift zufolge, für die Vernichtung der Termiten ge- gebetet werden sollte.
Valencia hat einige geschichtliche Erinnerungen aufzu- weisen, sie sind aber, wie alles, was die Kolonieen betrifft, nicht sehr alt und beziehen sich entweder auf bürgerliche Zwiste oder auf blutige Gefechte mit den Wilden. Lopez de Aguirre, dessen Frevelthaten und Abenteuer eine der dramatischten Episoden in der Geschichte der Eroberung bilden, zog im Jahre 1561 aus Peru über den Amazonenstrom auf die Insel Margarita und von dort über den Hafen von Burburata in die Thäler von Aragua. Als er in Valencia eingezogen, die stolz den Namen einer königlichen Stadt, Villa de el Rey, führt, verkündigte er die Unabhängigkeit des Landes und die Absetzung Philipps II. Die Einwohner flüchteten sich auf die Inseln im See und nahmen zu größerer Sicher- heit alle Boote am Ufer mit. Infolge dieser Kriegslist konnte Aguirre seine Grausamkeiten nur an seinen eigenen Leuten verüben. In Valencia schrieb er den berüchtigten Brief an den König von Spanien, der ein entsetzlich wahres Bild von den Sitten des Kriegsvolkes im 16. Jahrhundert gibt. Der Tyrann (so heißt Aguirre beim Volke noch jetzt) prahlt unter- einander mit seinen Schandthaten und mit seiner Frömmigkeit; er erteilt dem Könige Ratschläge hinsichtlich der Regierung der Kolonieen und der Einrichtung der Missionen. Mitten unter wilden Indianern, auf der Fahrt auf einem großen Süßwassermeer, wie er den Amazonenstrom nennt, "fühlt er große Besorgnis ob der Ketzereien Martin Luthers und der wachsenden Macht der Abtrünnigen in Europa". Lopez de Aguirre wurde, nachdem die Seinigen von ihm abgefallen, in Barquesimeto erschlagen. Als es mit ihm zu Ende ging, stieß er seiner einzigen Tochter den Dolch in die Brust, "um ihr die Schande zu ersparen, bei den Spaniern die Tochter eines Ver- räters zu heißen". "Die Seele des Tyrannen" -- so glauben die Eingeborenen -- geht in den Savannen um in Gestalt einer Flamme, die entweicht, wenn ein Mensch auf sie zugeht.
Das zweite geschichtliche Ereignis, das sich an Valencia knüpft, ist der Einfall der Kariben vom Orinoko her in den
ſollte. Die Ehre ward dem heil. Saturnin zu teil, und als man das erſte Mal das Feſt des Heiligen beging, verſchwan- den die Ameiſen. Seit den Zeiten der Eroberung hat der Unglauben gewaltige Fortſchritte gemacht, und nur auf dem Rücken der Kordilleren fand ich eine kleine Kapelle, in der, der Inſchrift zufolge, für die Vernichtung der Termiten ge- gebetet werden ſollte.
Valencia hat einige geſchichtliche Erinnerungen aufzu- weiſen, ſie ſind aber, wie alles, was die Kolonieen betrifft, nicht ſehr alt und beziehen ſich entweder auf bürgerliche Zwiſte oder auf blutige Gefechte mit den Wilden. Lopez de Aguirre, deſſen Frevelthaten und Abenteuer eine der dramatiſchten Epiſoden in der Geſchichte der Eroberung bilden, zog im Jahre 1561 aus Peru über den Amazonenſtrom auf die Inſel Margarita und von dort über den Hafen von Burburata in die Thäler von Aragua. Als er in Valencia eingezogen, die ſtolz den Namen einer königlichen Stadt, Villa de el Rey, führt, verkündigte er die Unabhängigkeit des Landes und die Abſetzung Philipps II. Die Einwohner flüchteten ſich auf die Inſeln im See und nahmen zu größerer Sicher- heit alle Boote am Ufer mit. Infolge dieſer Kriegsliſt konnte Aguirre ſeine Grauſamkeiten nur an ſeinen eigenen Leuten verüben. In Valencia ſchrieb er den berüchtigten Brief an den König von Spanien, der ein entſetzlich wahres Bild von den Sitten des Kriegsvolkes im 16. Jahrhundert gibt. Der Tyrann (ſo heißt Aguirre beim Volke noch jetzt) prahlt unter- einander mit ſeinen Schandthaten und mit ſeiner Frömmigkeit; er erteilt dem Könige Ratſchläge hinſichtlich der Regierung der Kolonieen und der Einrichtung der Miſſionen. Mitten unter wilden Indianern, auf der Fahrt auf einem großen Süßwaſſermeer, wie er den Amazonenſtrom nennt, „fühlt er große Beſorgnis ob der Ketzereien Martin Luthers und der wachſenden Macht der Abtrünnigen in Europa“. Lopez de Aguirre wurde, nachdem die Seinigen von ihm abgefallen, in Barqueſimeto erſchlagen. Als es mit ihm zu Ende ging, ſtieß er ſeiner einzigen Tochter den Dolch in die Bruſt, „um ihr die Schande zu erſparen, bei den Spaniern die Tochter eines Ver- räters zu heißen“. „Die Seele des Tyrannen“ — ſo glauben die Eingeborenen — geht in den Savannen um in Geſtalt einer Flamme, die entweicht, wenn ein Menſch auf ſie zugeht.
Das zweite geſchichtliche Ereignis, das ſich an Valencia knüpft, iſt der Einfall der Kariben vom Orinoko her in den
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man das erſte Mal das Feſt des Heiligen beging, verſchwan-
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Unglauben gewaltige Fortſchritte gemacht, und nur auf dem
Rücken der Kordilleren fand ich eine kleine Kapelle, in der,
der Inſchrift zufolge, für die Vernichtung der Termiten ge-
gebetet werden ſollte.
Valencia hat einige geſchichtliche Erinnerungen aufzu-
weiſen, ſie ſind aber, wie alles, was die Kolonieen betrifft,
nicht ſehr alt und beziehen ſich entweder auf bürgerliche Zwiſte
oder auf blutige Gefechte mit den Wilden. Lopez de Aguirre,
deſſen Frevelthaten und Abenteuer eine der dramatiſchten
Epiſoden in der Geſchichte der Eroberung bilden, zog im
Jahre 1561 aus Peru über den Amazonenſtrom auf die Inſel
Margarita und von dort über den Hafen von Burburata in
die Thäler von Aragua. Als er in Valencia eingezogen, die
ſtolz den Namen einer königlichen Stadt, Villa de el
Rey, führt, verkündigte er die Unabhängigkeit des Landes
und die Abſetzung Philipps II. Die Einwohner flüchteten
ſich auf die Inſeln im See und nahmen zu größerer Sicher-
heit alle Boote am Ufer mit. Infolge dieſer Kriegsliſt konnte
Aguirre ſeine Grauſamkeiten nur an ſeinen eigenen Leuten
verüben. In Valencia ſchrieb er den berüchtigten Brief an
den König von Spanien, der ein entſetzlich wahres Bild von
den Sitten des Kriegsvolkes im 16. Jahrhundert gibt. Der
Tyrann (ſo heißt Aguirre beim Volke noch jetzt) prahlt unter-
einander mit ſeinen Schandthaten und mit ſeiner Frömmigkeit;
er erteilt dem Könige Ratſchläge hinſichtlich der Regierung
der Kolonieen und der Einrichtung der Miſſionen. Mitten
unter wilden Indianern, auf der Fahrt auf einem großen
Süßwaſſermeer, wie er den Amazonenſtrom nennt, „fühlt er
große Beſorgnis ob der Ketzereien Martin Luthers und der
wachſenden Macht der Abtrünnigen in Europa“. Lopez de
Aguirre wurde, nachdem die Seinigen von ihm abgefallen, in
Barqueſimeto erſchlagen. Als es mit ihm zu Ende ging, ſtieß
er ſeiner einzigen Tochter den Dolch in die Bruſt, „um ihr die
Schande zu erſparen, bei den Spaniern die Tochter eines Ver-
räters zu heißen“. „Die Seele des Tyrannen“ — ſo glauben
die Eingeborenen — geht in den Savannen um in Geſtalt
einer Flamme, die entweicht, wenn ein Menſch auf ſie zugeht.
Das zweite geſchichtliche Ereignis, das ſich an Valencia
knüpft, iſt der Einfall der Kariben vom Orinoko her in den
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859, S. 231. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial02_1859/239>, abgerufen am 16.02.2025.
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