das durch Salpetersäure, Zitronensaft oder heißes Wasser ge- bildete Gerinnsel verschwinden, wenn ich eine Lösung von kohlensaurem Natron zugoß. Der Saft wird wieder milchig und flüssig, wie er ursprünglich war. Dieser Versuch gelingt aber nur mit frisch gebildetem Gerinnsel.
Vergleicht man die Milchsäfte des Melonenbaumes, des Kuhbaumes und der Hevea, so zeigt sich eine auffallende Achnlichkeit zwischen den Säften, die viel Käsestoff enthalten, und denen, in welchen das Kautschuk vorherrscht. Alles weiße, frisch bereitete Kautschuk, sowie die wasserdichten Mäntel, die man im spanischen Amerika fabriziert und die aus einer Schicht des Milchsaftes der Hevea zwischen zwei Leinwandstücken bestehen, haben einen tierischen, ekligen Geruch, der darauf hinzuweisen scheint, daß das Kautschuk beim Gerinnen den Käsestoff an sich reißt, der vielleicht nur ein modifizierter Ei- weißstoff ist.
Die Frucht des Brotfruchtbaumes ist so wenig Brot als die Bananen vor ihrer Reife oder die stärkemehlreichen Wurzel- knollen der Dioscorea, des Convolvulus Batatas und der Kartoffel. Die Milch des Kuhbaumes dagegen enthält den Käsestoff gerade wie die Milch der Säugetiere. Aus allge- meinem Gesichtspunkte können wir mit Guy-Lussac das Kaut- schuk als den öligen Teil, als die Butter der vegetabilischen Milch betrachten. Die beiden Grundstoffe Eiweiß und Fett sind in den Organen der verschiedenen Tierarten und in den Pflanzen mit Milchsaft in verschiedenen Verhältnissen ent- halten. Bei letzteren sind sie meist mit anderen, beim Genuß schädlichen Stoffen verbunden, die sich aber vielleicht auf chemischem Wege trennen ließen. Eine Pflanzenmilch wird nahrhaft, wenn keine scharfen, narkotischen Stoffe mehr darin sind und statt des Kautschuks der Käsestoff darin überwiegt.
Ist der Palo de Vaca für uns ein Bild der unermeß- lichen Segensfülle der Natur im heißen Erdstrich, so mahnt er uns auch an die zahlreichen Quellen, aus denen unter diesem herrlichen Himmel die träge Sorglosigkeit des Men- schen fließt. Mungo Park hat uns mit dem Butterbaume in Bambarra bekannt gemacht, der, wie De Candolle vermutet, zu der Familie der Sapoteen gehört wie unser Kuhbaum. Die Bananenbäume, die Sagobäume, die Mauritien am Ori- noko sind Brotbäume so gut wie die Rima der Südsee. Die Früchte der Crescentia und Lecythis dienen zu Gefäßen; die Blumenscheiden mancher Palmen und Baumrinden geben
das durch Salpeterſäure, Zitronenſaft oder heißes Waſſer ge- bildete Gerinnſel verſchwinden, wenn ich eine Löſung von kohlenſaurem Natron zugoß. Der Saft wird wieder milchig und flüſſig, wie er urſprünglich war. Dieſer Verſuch gelingt aber nur mit friſch gebildetem Gerinnſel.
Vergleicht man die Milchſäfte des Melonenbaumes, des Kuhbaumes und der Hevea, ſo zeigt ſich eine auffallende Achnlichkeit zwiſchen den Säften, die viel Käſeſtoff enthalten, und denen, in welchen das Kautſchuk vorherrſcht. Alles weiße, friſch bereitete Kautſchuk, ſowie die waſſerdichten Mäntel, die man im ſpaniſchen Amerika fabriziert und die aus einer Schicht des Milchſaftes der Hevea zwiſchen zwei Leinwandſtücken beſtehen, haben einen tieriſchen, ekligen Geruch, der darauf hinzuweiſen ſcheint, daß das Kautſchuk beim Gerinnen den Käſeſtoff an ſich reißt, der vielleicht nur ein modifizierter Ei- weißſtoff iſt.
Die Frucht des Brotfruchtbaumes iſt ſo wenig Brot als die Bananen vor ihrer Reife oder die ſtärkemehlreichen Wurzel- knollen der Dioscorea, des Convolvulus Batatas und der Kartoffel. Die Milch des Kuhbaumes dagegen enthält den Käſeſtoff gerade wie die Milch der Säugetiere. Aus allge- meinem Geſichtspunkte können wir mit Guy-Luſſac das Kaut- ſchuk als den öligen Teil, als die Butter der vegetabiliſchen Milch betrachten. Die beiden Grundſtoffe Eiweiß und Fett ſind in den Organen der verſchiedenen Tierarten und in den Pflanzen mit Milchſaft in verſchiedenen Verhältniſſen ent- halten. Bei letzteren ſind ſie meiſt mit anderen, beim Genuß ſchädlichen Stoffen verbunden, die ſich aber vielleicht auf chemiſchem Wege trennen ließen. Eine Pflanzenmilch wird nahrhaft, wenn keine ſcharfen, narkotiſchen Stoffe mehr darin ſind und ſtatt des Kautſchuks der Käſeſtoff darin überwiegt.
Iſt der Palo de Vaca für uns ein Bild der unermeß- lichen Segensfülle der Natur im heißen Erdſtrich, ſo mahnt er uns auch an die zahlreichen Quellen, aus denen unter dieſem herrlichen Himmel die träge Sorgloſigkeit des Men- ſchen fließt. Mungo Park hat uns mit dem Butterbaume in Bambarra bekannt gemacht, der, wie De Candolle vermutet, zu der Familie der Sapoteen gehört wie unſer Kuhbaum. Die Bananenbäume, die Sagobäume, die Mauritien am Ori- noko ſind Brotbäume ſo gut wie die Rima der Südſee. Die Früchte der Crescentia und Lecythis dienen zu Gefäßen; die Blumenſcheiden mancher Palmen und Baumrinden geben
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das durch Salpeterſäure, Zitronenſaft oder heißes Waſſer ge-
bildete Gerinnſel verſchwinden, wenn ich eine Löſung von
kohlenſaurem Natron zugoß. Der Saft wird wieder milchig
und flüſſig, wie er urſprünglich war. Dieſer Verſuch gelingt
aber nur mit friſch gebildetem Gerinnſel.
Vergleicht man die Milchſäfte des Melonenbaumes, des
Kuhbaumes und der Hevea, ſo zeigt ſich eine auffallende
Achnlichkeit zwiſchen den Säften, die viel Käſeſtoff enthalten,
und denen, in welchen das Kautſchuk vorherrſcht. Alles weiße,
friſch bereitete Kautſchuk, ſowie die waſſerdichten Mäntel, die
man im ſpaniſchen Amerika fabriziert und die aus einer Schicht
des Milchſaftes der Hevea zwiſchen zwei Leinwandſtücken
beſtehen, haben einen tieriſchen, ekligen Geruch, der darauf
hinzuweiſen ſcheint, daß das Kautſchuk beim Gerinnen den
Käſeſtoff an ſich reißt, der vielleicht nur ein modifizierter Ei-
weißſtoff iſt.
Die Frucht des Brotfruchtbaumes iſt ſo wenig Brot als
die Bananen vor ihrer Reife oder die ſtärkemehlreichen Wurzel-
knollen der Dioscorea, des Convolvulus Batatas und der
Kartoffel. Die Milch des Kuhbaumes dagegen enthält den
Käſeſtoff gerade wie die Milch der Säugetiere. Aus allge-
meinem Geſichtspunkte können wir mit Guy-Luſſac das Kaut-
ſchuk als den öligen Teil, als die Butter der vegetabiliſchen
Milch betrachten. Die beiden Grundſtoffe Eiweiß und Fett
ſind in den Organen der verſchiedenen Tierarten und in den
Pflanzen mit Milchſaft in verſchiedenen Verhältniſſen ent-
halten. Bei letzteren ſind ſie meiſt mit anderen, beim Genuß
ſchädlichen Stoffen verbunden, die ſich aber vielleicht auf
chemiſchem Wege trennen ließen. Eine Pflanzenmilch wird
nahrhaft, wenn keine ſcharfen, narkotiſchen Stoffe mehr darin
ſind und ſtatt des Kautſchuks der Käſeſtoff darin überwiegt.
Iſt der Palo de Vaca für uns ein Bild der unermeß-
lichen Segensfülle der Natur im heißen Erdſtrich, ſo mahnt
er uns auch an die zahlreichen Quellen, aus denen unter
dieſem herrlichen Himmel die träge Sorgloſigkeit des Men-
ſchen fließt. Mungo Park hat uns mit dem Butterbaume
in Bambarra bekannt gemacht, der, wie De Candolle vermutet,
zu der Familie der Sapoteen gehört wie unſer Kuhbaum.
Die Bananenbäume, die Sagobäume, die Mauritien am Ori-
noko ſind Brotbäume ſo gut wie die Rima der Südſee.
Die Früchte der Crescentia und Lecythis dienen zu Gefäßen;
die Blumenſcheiden mancher Palmen und Baumrinden geben
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859, S. 247. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial02_1859/255>, abgerufen am 15.06.2024.
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