Gesellschaften leben, sind vielfach beschrieben. In der Lebens- weise kommen sie alle überein, es sind aber nicht überall die- selben Arten. Wahrhaft erstaunlich ist die Einförmigkeit in den Bewegungen dieser Affen. So oft die Zweige benach- barter Bäume nicht zusammenreichen, hängt sich das Männchen an der Spitze des Trupps mit dem zum Fassen bestimmten schwieligen Teile seines Schwanzes auf, läßt den Körper frei schweben und schwingt denselben hin und her, bis er den nächsten Ast packen kann. Der ganze Zug macht sofort an derselben Stelle dieselbe Bewegung. Ulloa und viele gut unterrichtete Reisende behaupten, die Marimondas, 1 Araguaten und andere Affen mit Wickelschwänzen bilden eine Art Kette, wenn sie von einem Flußufer zum anderen gelangen wollen; ich brauche kaum zu bemerken, daß eine solche Behauptung sehr weit geht. Wir haben in fünf Jahren Gelegenheit ge- habt, Tausende dieser Tiere zu beobachten, und eben deshalb glaubten wir nicht an Geschichten, die vielleicht nur von Europäern erfunden sind, wenn auch die Indianer in den Missionen sie nachsagen, als ob es Ueberlieferungen ihrer Väter wären. Auch der roheste Mensch findet einen Genuß darin, durch Berichte von den Wundern seines Landes den Fremden in Erstaunen zu setzen. Er will selbst gesehen haben, was nach seiner Vorstellung andere gesehen haben könnten. Jeder Wilde ist ein Jäger, und die Geschichten der Jäger werden desto phantastischer, je höher die Tiere, von deren Listen sie zu erzählen wissen, in geistiger Beziehung wirklich stehen. Dies ist die Quelle der Märchen, welche in beiden Hemisphären vom Fuchs und vom Affen, vom Raben und vom Kondor der Anden im Schwange gehen.
Die Araguaten sollen, wenn sie von indianischen Jägern verfolgt werden, zuweilen ihre Jungen im Stiche lassen, um sich auf der Flucht zu erleichtern. Man will gesehen haben, wie Affenmütter das Junge von der Schulter rissen und es vom Baume warfen. Ich glaube aber, man hat hier eine rein zufällige Bewegung für eine absichtliche genommen. Die Indianer sehen gewisse Affengeschlechter mit Abneigung oder mit Vorliebe an; den Viuditas, den Titi, überhaupt allen kleinen Sagoinen sind sie gewogen, während die Araguaten wegen ihres trübseligen Aeußeren und ihres einförmigen Ge- brülles gehaßt und dazu verleumdet werden. Wenn ich darüber
1Simia Belzebuth.
Geſellſchaften leben, ſind vielfach beſchrieben. In der Lebens- weiſe kommen ſie alle überein, es ſind aber nicht überall die- ſelben Arten. Wahrhaft erſtaunlich iſt die Einförmigkeit in den Bewegungen dieſer Affen. So oft die Zweige benach- barter Bäume nicht zuſammenreichen, hängt ſich das Männchen an der Spitze des Trupps mit dem zum Faſſen beſtimmten ſchwieligen Teile ſeines Schwanzes auf, läßt den Körper frei ſchweben und ſchwingt denſelben hin und her, bis er den nächſten Aſt packen kann. Der ganze Zug macht ſofort an derſelben Stelle dieſelbe Bewegung. Ulloa und viele gut unterrichtete Reiſende behaupten, die Marimondas, 1 Araguaten und andere Affen mit Wickelſchwänzen bilden eine Art Kette, wenn ſie von einem Flußufer zum anderen gelangen wollen; ich brauche kaum zu bemerken, daß eine ſolche Behauptung ſehr weit geht. Wir haben in fünf Jahren Gelegenheit ge- habt, Tauſende dieſer Tiere zu beobachten, und eben deshalb glaubten wir nicht an Geſchichten, die vielleicht nur von Europäern erfunden ſind, wenn auch die Indianer in den Miſſionen ſie nachſagen, als ob es Ueberlieferungen ihrer Väter wären. Auch der roheſte Menſch findet einen Genuß darin, durch Berichte von den Wundern ſeines Landes den Fremden in Erſtaunen zu ſetzen. Er will ſelbſt geſehen haben, was nach ſeiner Vorſtellung andere geſehen haben könnten. Jeder Wilde iſt ein Jäger, und die Geſchichten der Jäger werden deſto phantaſtiſcher, je höher die Tiere, von deren Liſten ſie zu erzählen wiſſen, in geiſtiger Beziehung wirklich ſtehen. Dies iſt die Quelle der Märchen, welche in beiden Hemiſphären vom Fuchs und vom Affen, vom Raben und vom Kondor der Anden im Schwange gehen.
Die Araguaten ſollen, wenn ſie von indianiſchen Jägern verfolgt werden, zuweilen ihre Jungen im Stiche laſſen, um ſich auf der Flucht zu erleichtern. Man will geſehen haben, wie Affenmütter das Junge von der Schulter riſſen und es vom Baume warfen. Ich glaube aber, man hat hier eine rein zufällige Bewegung für eine abſichtliche genommen. Die Indianer ſehen gewiſſe Affengeſchlechter mit Abneigung oder mit Vorliebe an; den Viuditas, den Titi, überhaupt allen kleinen Sagoinen ſind ſie gewogen, während die Araguaten wegen ihres trübſeligen Aeußeren und ihres einförmigen Ge- brülles gehaßt und dazu verleumdet werden. Wenn ich darüber
1Simia Belzebuth.
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[262/0270]
Geſellſchaften leben, ſind vielfach beſchrieben. In der Lebens-
weiſe kommen ſie alle überein, es ſind aber nicht überall die-
ſelben Arten. Wahrhaft erſtaunlich iſt die Einförmigkeit in
den Bewegungen dieſer Affen. So oft die Zweige benach-
barter Bäume nicht zuſammenreichen, hängt ſich das Männchen
an der Spitze des Trupps mit dem zum Faſſen beſtimmten
ſchwieligen Teile ſeines Schwanzes auf, läßt den Körper frei
ſchweben und ſchwingt denſelben hin und her, bis er den
nächſten Aſt packen kann. Der ganze Zug macht ſofort an
derſelben Stelle dieſelbe Bewegung. Ulloa und viele gut
unterrichtete Reiſende behaupten, die Marimondas, 1 Araguaten
und andere Affen mit Wickelſchwänzen bilden eine Art Kette,
wenn ſie von einem Flußufer zum anderen gelangen wollen;
ich brauche kaum zu bemerken, daß eine ſolche Behauptung
ſehr weit geht. Wir haben in fünf Jahren Gelegenheit ge-
habt, Tauſende dieſer Tiere zu beobachten, und eben deshalb
glaubten wir nicht an Geſchichten, die vielleicht nur von
Europäern erfunden ſind, wenn auch die Indianer in den
Miſſionen ſie nachſagen, als ob es Ueberlieferungen ihrer
Väter wären. Auch der roheſte Menſch findet einen Genuß
darin, durch Berichte von den Wundern ſeines Landes den
Fremden in Erſtaunen zu ſetzen. Er will ſelbſt geſehen haben,
was nach ſeiner Vorſtellung andere geſehen haben könnten.
Jeder Wilde iſt ein Jäger, und die Geſchichten der Jäger
werden deſto phantaſtiſcher, je höher die Tiere, von deren
Liſten ſie zu erzählen wiſſen, in geiſtiger Beziehung wirklich
ſtehen. Dies iſt die Quelle der Märchen, welche in beiden
Hemiſphären vom Fuchs und vom Affen, vom Raben und
vom Kondor der Anden im Schwange gehen.
Die Araguaten ſollen, wenn ſie von indianiſchen Jägern
verfolgt werden, zuweilen ihre Jungen im Stiche laſſen, um
ſich auf der Flucht zu erleichtern. Man will geſehen haben,
wie Affenmütter das Junge von der Schulter riſſen und es
vom Baume warfen. Ich glaube aber, man hat hier eine
rein zufällige Bewegung für eine abſichtliche genommen. Die
Indianer ſehen gewiſſe Affengeſchlechter mit Abneigung oder
mit Vorliebe an; den Viuditas, den Titi, überhaupt allen
kleinen Sagoinen ſind ſie gewogen, während die Araguaten
wegen ihres trübſeligen Aeußeren und ihres einförmigen Ge-
brülles gehaßt und dazu verleumdet werden. Wenn ich darüber
1 Simia Belzebuth.
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859, S. 262. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial02_1859/270>, abgerufen am 16.07.2024.
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