Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859.kein Stoß spüren. Sturm und Gewitter kamen fünf oder Das Erdbeben vom 4. November, das erste, das ich Von Kindheit auf prägen sich unserer Vorstellung gewisse A. v. Humboldt, Reise. II. 4
kein Stoß ſpüren. Sturm und Gewitter kamen fünf oder Das Erdbeben vom 4. November, das erſte, das ich Von Kindheit auf prägen ſich unſerer Vorſtellung gewiſſe A. v. Humboldt, Reiſe. II. 4
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0057" n="49"/> kein Stoß ſpüren. Sturm und Gewitter kamen fünf oder<lb/> ſechs Tage zur ſelben Stunde, ja faſt zur ſelben Minute<lb/> wieder. Schon ſeit langer Zeit haben die Einwohner von<lb/> Cumana und ſo vieler Orte unter den Tropen die Beob-<lb/> achtung gemacht, daß ſcheinbar ganz zufällige atmoſphäriſche<lb/> Veränderungen wochenlang mit erſtaunlicher Regelmäßigkeit<lb/> nach einem gewiſſen Typus eintreten. Dieſelbe Erſcheinung<lb/> kommt ſommers auch im gemäßigten Erdſtrich vor und iſt dem<lb/> Scharfblick der Aſtronomen nicht entgangen. Häufig ſieht<lb/> man nämlich bei heiterem Himmel drei, vier Tage hinterein-<lb/> ander an derſelben Stelle des Himmels ſich Wolken bilden,<lb/> nach derſelben Richtung fortziehen und ſich in derſelben Höhe<lb/> wieder auflöſen, bald vor, bald nach dem Durchgang eines<lb/> Sternes durch den Meridian, alſo bis auf wenige Minuten<lb/> zur ſelben <hi rendition="#g">wahren Zeit</hi>.</p><lb/> <p>Das Erdbeben vom 4. November, das erſte, das ich<lb/> erlebt, machte einen um ſo ſtärkeren Eindruck auf mich, da<lb/> es, vielleicht zufällig, von ſo auffallenden meteoriſchen Er-<lb/> ſcheinungen begleitet war. Auch war es eine wirkliche Hebung<lb/> von unten nach oben, kein wellenförmiger Stoß. Ich hätte<lb/> damals nicht geglaubt, daß ich nach langem Aufenthalt auf<lb/> den Hochebenen von Quito und an den Küſten von Peru<lb/> mich ſelbſt an ziemlich ſtarke Bewegungen des Bodens ſo ſehr<lb/> gewöhnen würde, wie wir in Europa an das Donnern ge-<lb/> wöhnt ſind. In der Stadt Quito dachten wir gar nicht mehr<lb/> daran, bei Nacht aufzuſtehen, wenn ein unterirdiſches Gebrülle<lb/> (<hi rendition="#aq">bramidos</hi>), das immer vom Vulkan Pichincha herzukommen<lb/> ſcheint (2 bis 3, zuweilen 7 bis 8 Minuten vorher) einen<lb/> Stoß ankündigte, deſſen Stärke nur ſelten mit dem Grade des<lb/> Getöſes im Verhältnis ſteht. Die Sorgloſigkeit der Ein-<lb/> wohner, die wiſſen, daß in dreihundert Jahren ihre Stadt<lb/> nicht zerſtört worden iſt, teilt ſich bald ſelbſt dem ängſtlichſten<lb/> Fremden mit. Ueberhaupt iſt es nicht ſowohl die Beſorgnis<lb/> vor Gefahr, als die eigentümliche Empfindung, was einen ſo<lb/> ſehr aufregt, wenn man zum erſtenmal auch nur einen ganz<lb/> leichten Erdſtoß empfindet.</p><lb/> <p>Von Kindheit auf prägen ſich unſerer Vorſtellung gewiſſe<lb/> Kontraſte ein; das Waſſer gilt uns für ein bewegliches Ele-<lb/> ment, die Erde für eine unbewegliche träge Maſſe. Dieſe<lb/> Begriffe ſind das Produkt der täglichen Erfahrung und hängen<lb/> mit allen unſeren Sinneseindrücken zuſammen. Läßt ſich ein<lb/> Erdſtoß ſpüren, wankt die Erde in ihren alten Grundfeſten,<lb/> <fw place="bottom" type="sig">A. v. <hi rendition="#g">Humboldt</hi>, Reiſe. <hi rendition="#aq">II.</hi> 4</fw><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [49/0057]
kein Stoß ſpüren. Sturm und Gewitter kamen fünf oder
ſechs Tage zur ſelben Stunde, ja faſt zur ſelben Minute
wieder. Schon ſeit langer Zeit haben die Einwohner von
Cumana und ſo vieler Orte unter den Tropen die Beob-
achtung gemacht, daß ſcheinbar ganz zufällige atmoſphäriſche
Veränderungen wochenlang mit erſtaunlicher Regelmäßigkeit
nach einem gewiſſen Typus eintreten. Dieſelbe Erſcheinung
kommt ſommers auch im gemäßigten Erdſtrich vor und iſt dem
Scharfblick der Aſtronomen nicht entgangen. Häufig ſieht
man nämlich bei heiterem Himmel drei, vier Tage hinterein-
ander an derſelben Stelle des Himmels ſich Wolken bilden,
nach derſelben Richtung fortziehen und ſich in derſelben Höhe
wieder auflöſen, bald vor, bald nach dem Durchgang eines
Sternes durch den Meridian, alſo bis auf wenige Minuten
zur ſelben wahren Zeit.
Das Erdbeben vom 4. November, das erſte, das ich
erlebt, machte einen um ſo ſtärkeren Eindruck auf mich, da
es, vielleicht zufällig, von ſo auffallenden meteoriſchen Er-
ſcheinungen begleitet war. Auch war es eine wirkliche Hebung
von unten nach oben, kein wellenförmiger Stoß. Ich hätte
damals nicht geglaubt, daß ich nach langem Aufenthalt auf
den Hochebenen von Quito und an den Küſten von Peru
mich ſelbſt an ziemlich ſtarke Bewegungen des Bodens ſo ſehr
gewöhnen würde, wie wir in Europa an das Donnern ge-
wöhnt ſind. In der Stadt Quito dachten wir gar nicht mehr
daran, bei Nacht aufzuſtehen, wenn ein unterirdiſches Gebrülle
(bramidos), das immer vom Vulkan Pichincha herzukommen
ſcheint (2 bis 3, zuweilen 7 bis 8 Minuten vorher) einen
Stoß ankündigte, deſſen Stärke nur ſelten mit dem Grade des
Getöſes im Verhältnis ſteht. Die Sorgloſigkeit der Ein-
wohner, die wiſſen, daß in dreihundert Jahren ihre Stadt
nicht zerſtört worden iſt, teilt ſich bald ſelbſt dem ängſtlichſten
Fremden mit. Ueberhaupt iſt es nicht ſowohl die Beſorgnis
vor Gefahr, als die eigentümliche Empfindung, was einen ſo
ſehr aufregt, wenn man zum erſtenmal auch nur einen ganz
leichten Erdſtoß empfindet.
Von Kindheit auf prägen ſich unſerer Vorſtellung gewiſſe
Kontraſte ein; das Waſſer gilt uns für ein bewegliches Ele-
ment, die Erde für eine unbewegliche träge Maſſe. Dieſe
Begriffe ſind das Produkt der täglichen Erfahrung und hängen
mit allen unſeren Sinneseindrücken zuſammen. Läßt ſich ein
Erdſtoß ſpüren, wankt die Erde in ihren alten Grundfeſten,
A. v. Humboldt, Reiſe. II. 4
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