ihm angeschlossen, in Cumana krank an Typhus und mias- matischen Fiebern ankommen. Der Baum, dessen Rinde 1 ein treffliches Heilmittel gegen diese Fieber ist, wächst in denselben Thälern, am Saume derselben Wälder, deren Ausdünstungen so gefährlich sind. Der kranke Reisende macht Halt in einer Hütte, deren Bewohner nichts davon wissen, daß die Bäume, welche die Thalgründe umher beschatten, das Fieber vertreiben.
Als wir zur See von Cumana nach Guayra gingen, war unser Plan der: wir wollten bis zum Ende der Regenzeit in Caracas bleiben, von dort über die großen Ebenen oder Llanos in die Missionen am Orinoko reisen, diesen ungeheuren Strom südlich von den Katarakten bis zum Rio Negro und zur Grenze von Brasilien hinauffahren und über die Hauptstadt des spa- nischen Guyana, gemeiniglich wegen ihrer Lage Angostura, d. h. Engpaß geheißen, nach Cumana zurückkehren. Wie lange wir zu dieser Reise von 3150 km, wovon wir über zwei Dritt- teile im Kanoe zu machen hatten, brauchen würden, ließ sich unmöglich bestimmen. Auf den Küsten kennt man nur das Stück des Orinoko nahe an seiner Mündung; mit den Mis- sionen besteht lediglich kein Handelsverkehr. Was jenseits der Llanos liegt, ist für die Einwohner von Cumana und Ca- racas unbekanntes Land. Die einen glauben, die mit Rasen bedeckten Ebenen von Calabozo ziehen sich 3600 km gegen Süden fort und stehen mit den Steppen oder Pampas von Buenos Ayres in Verbindung; andere halten wegen der großen Sterblichkeit unter den Truppen Iturriagas und Solanos auf ihrem Zuge an den Orinoko alles Land südlich von den Kata- rakten von Atures für äußerst ungesund. In einem Lande, wo man so wenig reist, findet man Gefallen daran, den Fremden gegenüber die Gefahren, die vom Klima, von wilden Tieren und Menschen drohen, zu übertreiben. Wir waren an diese Abschreckungsmittel, welche die Kolonisten mit naiver und gutgemeinter Offenheit in Anwendung bringen, noch nicht gewöhnt; trotzdem hielten wir an dem einmal gefaßten Ent- schlusse fest. Wir konnten auf die Teilnahme und Unter- stützung des Statthalters der Provinz, Don Vicente Emparan, uns verlassen, sowie auf die Empfehlungen der Franziskaner- mönche, welche an den Ufern des Orinoko die eigentlichen Herren sind.
1 Die Cortex Angosturae unserer Pharmakopöen, die Rinde der Bonplandia trifoliata.
ihm angeſchloſſen, in Cumana krank an Typhus und mias- matiſchen Fiebern ankommen. Der Baum, deſſen Rinde 1 ein treffliches Heilmittel gegen dieſe Fieber iſt, wächſt in denſelben Thälern, am Saume derſelben Wälder, deren Ausdünſtungen ſo gefährlich ſind. Der kranke Reiſende macht Halt in einer Hütte, deren Bewohner nichts davon wiſſen, daß die Bäume, welche die Thalgründe umher beſchatten, das Fieber vertreiben.
Als wir zur See von Cumana nach Guayra gingen, war unſer Plan der: wir wollten bis zum Ende der Regenzeit in Caracas bleiben, von dort über die großen Ebenen oder Llanos in die Miſſionen am Orinoko reiſen, dieſen ungeheuren Strom ſüdlich von den Katarakten bis zum Rio Negro und zur Grenze von Braſilien hinauffahren und über die Hauptſtadt des ſpa- niſchen Guyana, gemeiniglich wegen ihrer Lage Angoſtura, d. h. Engpaß geheißen, nach Cumana zurückkehren. Wie lange wir zu dieſer Reiſe von 3150 km, wovon wir über zwei Dritt- teile im Kanoe zu machen hatten, brauchen würden, ließ ſich unmöglich beſtimmen. Auf den Küſten kennt man nur das Stück des Orinoko nahe an ſeiner Mündung; mit den Miſ- ſionen beſteht lediglich kein Handelsverkehr. Was jenſeits der Llanos liegt, iſt für die Einwohner von Cumana und Ca- racas unbekanntes Land. Die einen glauben, die mit Raſen bedeckten Ebenen von Calabozo ziehen ſich 3600 km gegen Süden fort und ſtehen mit den Steppen oder Pampas von Buenos Ayres in Verbindung; andere halten wegen der großen Sterblichkeit unter den Truppen Iturriagas und Solanos auf ihrem Zuge an den Orinoko alles Land ſüdlich von den Kata- rakten von Atures für äußerſt ungeſund. In einem Lande, wo man ſo wenig reiſt, findet man Gefallen daran, den Fremden gegenüber die Gefahren, die vom Klima, von wilden Tieren und Menſchen drohen, zu übertreiben. Wir waren an dieſe Abſchreckungsmittel, welche die Koloniſten mit naiver und gutgemeinter Offenheit in Anwendung bringen, noch nicht gewöhnt; trotzdem hielten wir an dem einmal gefaßten Ent- ſchluſſe feſt. Wir konnten auf die Teilnahme und Unter- ſtützung des Statthalters der Provinz, Don Vicente Emparan, uns verlaſſen, ſowie auf die Empfehlungen der Franziskaner- mönche, welche an den Ufern des Orinoko die eigentlichen Herren ſind.
1 Die Cortex Angosturae unſerer Pharmakopöen, die Rinde der Bonplandia trifoliata.
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ihm angeſchloſſen, in Cumana krank an Typhus und mias-
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Thälern, am Saume derſelben Wälder, deren Ausdünſtungen
ſo gefährlich ſind. Der kranke Reiſende macht Halt in einer
Hütte, deren Bewohner nichts davon wiſſen, daß die Bäume,
welche die Thalgründe umher beſchatten, das Fieber vertreiben.
Als wir zur See von Cumana nach Guayra gingen, war
unſer Plan der: wir wollten bis zum Ende der Regenzeit in
Caracas bleiben, von dort über die großen Ebenen oder Llanos
in die Miſſionen am Orinoko reiſen, dieſen ungeheuren Strom
ſüdlich von den Katarakten bis zum Rio Negro und zur Grenze
von Braſilien hinauffahren und über die Hauptſtadt des ſpa-
niſchen Guyana, gemeiniglich wegen ihrer Lage Angoſtura,
d. h. Engpaß geheißen, nach Cumana zurückkehren. Wie lange
wir zu dieſer Reiſe von 3150 km, wovon wir über zwei Dritt-
teile im Kanoe zu machen hatten, brauchen würden, ließ ſich
unmöglich beſtimmen. Auf den Küſten kennt man nur das
Stück des Orinoko nahe an ſeiner Mündung; mit den Miſ-
ſionen beſteht lediglich kein Handelsverkehr. Was jenſeits der
Llanos liegt, iſt für die Einwohner von Cumana und Ca-
racas unbekanntes Land. Die einen glauben, die mit Raſen
bedeckten Ebenen von Calabozo ziehen ſich 3600 km gegen
Süden fort und ſtehen mit den Steppen oder Pampas von
Buenos Ayres in Verbindung; andere halten wegen der großen
Sterblichkeit unter den Truppen Iturriagas und Solanos auf
ihrem Zuge an den Orinoko alles Land ſüdlich von den Kata-
rakten von Atures für äußerſt ungeſund. In einem Lande,
wo man ſo wenig reiſt, findet man Gefallen daran, den
Fremden gegenüber die Gefahren, die vom Klima, von wilden
Tieren und Menſchen drohen, zu übertreiben. Wir waren an
dieſe Abſchreckungsmittel, welche die Koloniſten mit naiver
und gutgemeinter Offenheit in Anwendung bringen, noch nicht
gewöhnt; trotzdem hielten wir an dem einmal gefaßten Ent-
ſchluſſe feſt. Wir konnten auf die Teilnahme und Unter-
ſtützung des Statthalters der Provinz, Don Vicente Emparan,
uns verlaſſen, ſowie auf die Empfehlungen der Franziskaner-
mönche, welche an den Ufern des Orinoko die eigentlichen
Herren ſind.
1 Die Cortex Angosturae unſerer Pharmakopöen, die Rinde
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859, S. 61. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial02_1859/69>, abgerufen am 16.02.2025.
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