Caracas gesunken wäre. Die indianischen Schiffer sind so ge- wandt, daß selbst bei ihren häufigen Fahrten von Cumana nach Guadeloupe oder den dänischen Inseln, die mit Klippen umgeben sind, ein Schiffbruch zu den Seltenheiten gehört. Diese 540 bis 670 km weiten Fahrten auf offener See, wo man keine Küste mehr sieht, werden auf offenen Fahrzeugen, nach der Weise der Alten, ohne Beobachtung der Sonnenhöhe, ohne Seekarten, fast immer ohne Kompaß unternommen. Der indianische Steuermann richtet sich bei Nacht nach dem Polar- stern, bei Tage nach dem Sonnenlauf und dem Winde, der, wie er voraussetzt, selten wechselt. Ich habe Guaikeri und Steuerleute vom Schlage der Zambos gesehen, die den Polar- stern nach der Linie zwischen a und b des großen Bären zu finden wußten, und es kam mir vor, als steuerten sie nicht sowohl nach dem Polarstern selbst als nach jener Linie. Man wundert sich, wie sie, sobald Land zu Gesicht kommt, richtig die Insel Guadeloupe oder Santa Cruz oder Portorico fin- den; aber im Ausgleichen der Abweichungen vom Kurs sind sie nicht immer ebenso glücklich. Wenn sich die Fahrzeuge unter dem Wind dem Lande nähern, kommen sie gegen Osten gegen Winde und Strömung nur sehr schwer weiter. In Kriegszeiten haben nun die Schiffer ihre Unwissenheit und ihre Unbekanntschaft mit dem Gebrauche des Oktanten schwer zu büßen; denn die Kaper kreuzen eben an den Vorgebirgen, welche die Fahrzeuge von Terra Firma, wenn sie von ihrem Kurs abgekommen, in Sicht bekommen müssen, um ihres Weges gewiß zu sein.
Wir fuhren rasch den kleinen Fluß Manzanares hinab. dessen Krümmungen Kokosbäume bezeichnen, wie Pappeln und alte Weiden in unseren Klimaten. Auf dem anstoßenden dürren Strande schimmerten auf den Dornbüschen, die bei Tage nur staubige Blätter zeigen, da es noch Nacht war, viele tausend Lichtfunken. Die leuchtenden Insekten ver- mehren sich in der Regenzeit. Man wird unter den Tropen des Schauspiels nicht müde, wenn diese hin und her zuckenden rötlichen Lichter sich im klaren Wasser widerspiegeln und ihre Bilder und die der Sterne am Himmelsgewölbe unterein- ander wimmeln.
Wir schieden vom Küstenlande von Cumana, als hätten wir lange da gelebt. Es war das erste Land, das wir unter einem Himmelsstrich betreten, nach dem ich mich seit meiner frühesten Jugend gesehnt hatte. Der Eindruck der Natur im
Caracas geſunken wäre. Die indianiſchen Schiffer ſind ſo ge- wandt, daß ſelbſt bei ihren häufigen Fahrten von Cumana nach Guadeloupe oder den däniſchen Inſeln, die mit Klippen umgeben ſind, ein Schiffbruch zu den Seltenheiten gehört. Dieſe 540 bis 670 km weiten Fahrten auf offener See, wo man keine Küſte mehr ſieht, werden auf offenen Fahrzeugen, nach der Weiſe der Alten, ohne Beobachtung der Sonnenhöhe, ohne Seekarten, faſt immer ohne Kompaß unternommen. Der indianiſche Steuermann richtet ſich bei Nacht nach dem Polar- ſtern, bei Tage nach dem Sonnenlauf und dem Winde, der, wie er vorausſetzt, ſelten wechſelt. Ich habe Guaikeri und Steuerleute vom Schlage der Zambos geſehen, die den Polar- ſtern nach der Linie zwiſchen α und β des großen Bären zu finden wußten, und es kam mir vor, als ſteuerten ſie nicht ſowohl nach dem Polarſtern ſelbſt als nach jener Linie. Man wundert ſich, wie ſie, ſobald Land zu Geſicht kommt, richtig die Inſel Guadeloupe oder Santa Cruz oder Portorico fin- den; aber im Ausgleichen der Abweichungen vom Kurs ſind ſie nicht immer ebenſo glücklich. Wenn ſich die Fahrzeuge unter dem Wind dem Lande nähern, kommen ſie gegen Oſten gegen Winde und Strömung nur ſehr ſchwer weiter. In Kriegszeiten haben nun die Schiffer ihre Unwiſſenheit und ihre Unbekanntſchaft mit dem Gebrauche des Oktanten ſchwer zu büßen; denn die Kaper kreuzen eben an den Vorgebirgen, welche die Fahrzeuge von Terra Firma, wenn ſie von ihrem Kurs abgekommen, in Sicht bekommen müſſen, um ihres Weges gewiß zu ſein.
Wir fuhren raſch den kleinen Fluß Manzanares hinab. deſſen Krümmungen Kokosbäume bezeichnen, wie Pappeln und alte Weiden in unſeren Klimaten. Auf dem anſtoßenden dürren Strande ſchimmerten auf den Dornbüſchen, die bei Tage nur ſtaubige Blätter zeigen, da es noch Nacht war, viele tauſend Lichtfunken. Die leuchtenden Inſekten ver- mehren ſich in der Regenzeit. Man wird unter den Tropen des Schauſpiels nicht müde, wenn dieſe hin und her zuckenden rötlichen Lichter ſich im klaren Waſſer widerſpiegeln und ihre Bilder und die der Sterne am Himmelsgewölbe unterein- ander wimmeln.
Wir ſchieden vom Küſtenlande von Cumana, als hätten wir lange da gelebt. Es war das erſte Land, das wir unter einem Himmelsſtrich betreten, nach dem ich mich ſeit meiner früheſten Jugend geſehnt hatte. Der Eindruck der Natur im
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0071"n="63"/>
Caracas geſunken wäre. Die indianiſchen Schiffer ſind ſo ge-<lb/>
wandt, daß ſelbſt bei ihren häufigen Fahrten von Cumana<lb/>
nach Guadeloupe oder den däniſchen Inſeln, die mit Klippen<lb/>
umgeben ſind, ein Schiffbruch zu den Seltenheiten gehört.<lb/>
Dieſe 540 bis 670 <hirendition="#aq">km</hi> weiten Fahrten auf offener See, wo<lb/>
man keine Küſte mehr ſieht, werden auf offenen Fahrzeugen,<lb/>
nach der Weiſe der Alten, ohne Beobachtung der Sonnenhöhe,<lb/>
ohne Seekarten, faſt immer ohne Kompaß unternommen. Der<lb/>
indianiſche Steuermann richtet ſich bei Nacht nach dem Polar-<lb/>ſtern, bei Tage nach dem Sonnenlauf und dem Winde, der,<lb/>
wie er vorausſetzt, ſelten wechſelt. Ich habe Guaikeri und<lb/>
Steuerleute vom Schlage der Zambos geſehen, die den Polar-<lb/>ſtern nach der Linie zwiſchen α und β des großen Bären zu<lb/>
finden wußten, und es kam mir vor, als ſteuerten ſie nicht<lb/>ſowohl nach dem Polarſtern ſelbſt als nach jener Linie. Man<lb/>
wundert ſich, wie ſie, ſobald Land zu Geſicht kommt, richtig<lb/>
die Inſel Guadeloupe oder Santa Cruz oder Portorico fin-<lb/>
den; aber im Ausgleichen der Abweichungen vom Kurs ſind<lb/>ſie nicht immer ebenſo glücklich. Wenn ſich die Fahrzeuge<lb/>
unter dem Wind dem Lande nähern, kommen ſie gegen Oſten<lb/>
gegen Winde und Strömung nur ſehr ſchwer weiter. In<lb/>
Kriegszeiten haben nun die Schiffer ihre Unwiſſenheit und<lb/>
ihre Unbekanntſchaft mit dem Gebrauche des Oktanten ſchwer<lb/>
zu büßen; denn die Kaper kreuzen eben an den Vorgebirgen,<lb/>
welche die Fahrzeuge von Terra Firma, wenn ſie von ihrem<lb/>
Kurs abgekommen, in Sicht bekommen müſſen, um ihres<lb/>
Weges gewiß zu ſein.</p><lb/><p>Wir fuhren raſch den kleinen Fluß Manzanares hinab.<lb/>
deſſen Krümmungen Kokosbäume bezeichnen, wie Pappeln und<lb/>
alte Weiden in unſeren Klimaten. Auf dem anſtoßenden<lb/>
dürren Strande ſchimmerten auf den Dornbüſchen, die bei<lb/>
Tage nur ſtaubige Blätter zeigen, da es noch Nacht war,<lb/>
viele tauſend Lichtfunken. Die leuchtenden Inſekten ver-<lb/>
mehren ſich in der Regenzeit. Man wird unter den Tropen<lb/>
des Schauſpiels nicht müde, wenn dieſe hin und her zuckenden<lb/>
rötlichen Lichter ſich im klaren Waſſer widerſpiegeln und ihre<lb/>
Bilder und die der Sterne am Himmelsgewölbe unterein-<lb/>
ander wimmeln.</p><lb/><p>Wir ſchieden vom Küſtenlande von Cumana, als hätten<lb/>
wir lange da gelebt. Es war das erſte Land, das wir unter<lb/>
einem Himmelsſtrich betreten, nach dem ich mich ſeit meiner<lb/>
früheſten Jugend geſehnt hatte. Der Eindruck der Natur im<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[63/0071]
Caracas geſunken wäre. Die indianiſchen Schiffer ſind ſo ge-
wandt, daß ſelbſt bei ihren häufigen Fahrten von Cumana
nach Guadeloupe oder den däniſchen Inſeln, die mit Klippen
umgeben ſind, ein Schiffbruch zu den Seltenheiten gehört.
Dieſe 540 bis 670 km weiten Fahrten auf offener See, wo
man keine Küſte mehr ſieht, werden auf offenen Fahrzeugen,
nach der Weiſe der Alten, ohne Beobachtung der Sonnenhöhe,
ohne Seekarten, faſt immer ohne Kompaß unternommen. Der
indianiſche Steuermann richtet ſich bei Nacht nach dem Polar-
ſtern, bei Tage nach dem Sonnenlauf und dem Winde, der,
wie er vorausſetzt, ſelten wechſelt. Ich habe Guaikeri und
Steuerleute vom Schlage der Zambos geſehen, die den Polar-
ſtern nach der Linie zwiſchen α und β des großen Bären zu
finden wußten, und es kam mir vor, als ſteuerten ſie nicht
ſowohl nach dem Polarſtern ſelbſt als nach jener Linie. Man
wundert ſich, wie ſie, ſobald Land zu Geſicht kommt, richtig
die Inſel Guadeloupe oder Santa Cruz oder Portorico fin-
den; aber im Ausgleichen der Abweichungen vom Kurs ſind
ſie nicht immer ebenſo glücklich. Wenn ſich die Fahrzeuge
unter dem Wind dem Lande nähern, kommen ſie gegen Oſten
gegen Winde und Strömung nur ſehr ſchwer weiter. In
Kriegszeiten haben nun die Schiffer ihre Unwiſſenheit und
ihre Unbekanntſchaft mit dem Gebrauche des Oktanten ſchwer
zu büßen; denn die Kaper kreuzen eben an den Vorgebirgen,
welche die Fahrzeuge von Terra Firma, wenn ſie von ihrem
Kurs abgekommen, in Sicht bekommen müſſen, um ihres
Weges gewiß zu ſein.
Wir fuhren raſch den kleinen Fluß Manzanares hinab.
deſſen Krümmungen Kokosbäume bezeichnen, wie Pappeln und
alte Weiden in unſeren Klimaten. Auf dem anſtoßenden
dürren Strande ſchimmerten auf den Dornbüſchen, die bei
Tage nur ſtaubige Blätter zeigen, da es noch Nacht war,
viele tauſend Lichtfunken. Die leuchtenden Inſekten ver-
mehren ſich in der Regenzeit. Man wird unter den Tropen
des Schauſpiels nicht müde, wenn dieſe hin und her zuckenden
rötlichen Lichter ſich im klaren Waſſer widerſpiegeln und ihre
Bilder und die der Sterne am Himmelsgewölbe unterein-
ander wimmeln.
Wir ſchieden vom Küſtenlande von Cumana, als hätten
wir lange da gelebt. Es war das erſte Land, das wir unter
einem Himmelsſtrich betreten, nach dem ich mich ſeit meiner
früheſten Jugend geſehnt hatte. Der Eindruck der Natur im
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859, S. 63. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial02_1859/71>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.