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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859.

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Inseln Piritu mit 5 m Tiefe liefen, zeigte der Thermometer
nur noch 24,5°. Der Unterschied zeigte sich beständig; er
wäre vielleicht bedeutender, wenn die Strömung, die rasch
nach West zieht, tieferes Wasser heraufbrächte, und wenn
nicht in einer so engen Durchfahrt das Land zur Erhöhung
der Meerestemperatur mitwirkte. Die Inseln Piritu gleichen
den Bänken, die bei der Ebbe über Wasser kommen. Sie
erheben sich nur 21 bis 23 cm über den mittleren Wasser-
stand. Ihre Oberfläche ist völlig eben und mit Gras be-
wachsen, und man meint eine unserer nordischen Wiesen vor
sich zu haben. Die Scheibe der untergehenden Sonne schien
wie ein Feuerball über der Grasflur zu hängen. Ihre letzten,
die Erde streifenden Strahlen beleuchteten die Grasspitzen, die
der Abendwind stark hin und her wiegte. Wenn aber auch
in der heißen Zone an tiefen, feuchten Orten Gräser und
Riedgräser sich wie eine Wiese oder ein Rasen ausnehmen,
so fehlt dem Bilde doch immer eine Hauptzierde, ich meine
die mancherlei Wiesenblumen, die nur eben über die Gräser
emporragen und sich vom ebenen grünen Grunde abheben.
Bei der Kraft und Ueppigkeit der ganzen Vegetation ist unter
den Tropen ein solcher Trieb in den Gewächsen, daß die
kleinsten dikotyledonischen Pflanzen gleich zu Sträuchern wer-
den. Man könnte sagen, die Liliengewächse, die unter den
Gräsern wachsen, vertreten unsere Wiesenblumen. Sie fallen
allerdings durch ihre Bildung stark ins Auge, sie nehmen sich
durch die Mannigfaltigkeit und den Glanz ihrer Farben sehr
gut aus, aber sie wachsen zu hoch und lassen so das har-
monische Verhältnis nicht aufkommen, das zwischen den Ge-
wächsen besteht, die bei uns den Rasen und die Wiese bilden.
Die gütige Natur verleiht unter allen Zonen der Landschaft
einen ihr eigentümlichen Reiz des Schönen.

Man darf sich nicht wundern, daß fruchtbare Inseln so
nahe der Küste gegenwärtig unbewohnt sind. Nur in der
ersten Zeit der Eroberung, als die Kariben, die Chaymas und
Cumanagoten noch Herren der Küsten waren, gründeten die
Spanier auf Cubagua und Margarita Niederlassungen. Sobald
die Eingeborenen unterworfen oder südwärts den Savannen zu
gedrängt waren, ließ man sich lieber auf dem Festlande nieder,
wo man die Wahl hatte unter Ländereien und Indianern, die
man wie Lasttiere behandeln konnte. Lägen die kleinen Ei-
lande Tortuga, Blanquilla und Orchilla mitten im Archipel
der Antillen, so wären sie nicht unangebaut geblieben.


Inſeln Piritu mit 5 m Tiefe liefen, zeigte der Thermometer
nur noch 24,5°. Der Unterſchied zeigte ſich beſtändig; er
wäre vielleicht bedeutender, wenn die Strömung, die raſch
nach Weſt zieht, tieferes Waſſer heraufbrächte, und wenn
nicht in einer ſo engen Durchfahrt das Land zur Erhöhung
der Meerestemperatur mitwirkte. Die Inſeln Piritu gleichen
den Bänken, die bei der Ebbe über Waſſer kommen. Sie
erheben ſich nur 21 bis 23 cm über den mittleren Waſſer-
ſtand. Ihre Oberfläche iſt völlig eben und mit Gras be-
wachſen, und man meint eine unſerer nordiſchen Wieſen vor
ſich zu haben. Die Scheibe der untergehenden Sonne ſchien
wie ein Feuerball über der Grasflur zu hängen. Ihre letzten,
die Erde ſtreifenden Strahlen beleuchteten die Grasſpitzen, die
der Abendwind ſtark hin und her wiegte. Wenn aber auch
in der heißen Zone an tiefen, feuchten Orten Gräſer und
Riedgräſer ſich wie eine Wieſe oder ein Raſen ausnehmen,
ſo fehlt dem Bilde doch immer eine Hauptzierde, ich meine
die mancherlei Wieſenblumen, die nur eben über die Gräſer
emporragen und ſich vom ebenen grünen Grunde abheben.
Bei der Kraft und Ueppigkeit der ganzen Vegetation iſt unter
den Tropen ein ſolcher Trieb in den Gewächſen, daß die
kleinſten dikotyledoniſchen Pflanzen gleich zu Sträuchern wer-
den. Man könnte ſagen, die Liliengewächſe, die unter den
Gräſern wachſen, vertreten unſere Wieſenblumen. Sie fallen
allerdings durch ihre Bildung ſtark ins Auge, ſie nehmen ſich
durch die Mannigfaltigkeit und den Glanz ihrer Farben ſehr
gut aus, aber ſie wachſen zu hoch und laſſen ſo das har-
moniſche Verhältnis nicht aufkommen, das zwiſchen den Ge-
wächſen beſteht, die bei uns den Raſen und die Wieſe bilden.
Die gütige Natur verleiht unter allen Zonen der Landſchaft
einen ihr eigentümlichen Reiz des Schönen.

Man darf ſich nicht wundern, daß fruchtbare Inſeln ſo
nahe der Küſte gegenwärtig unbewohnt ſind. Nur in der
erſten Zeit der Eroberung, als die Kariben, die Chaymas und
Cumanagoten noch Herren der Küſten waren, gründeten die
Spanier auf Cubagua und Margarita Niederlaſſungen. Sobald
die Eingeborenen unterworfen oder ſüdwärts den Savannen zu
gedrängt waren, ließ man ſich lieber auf dem Feſtlande nieder,
wo man die Wahl hatte unter Ländereien und Indianern, die
man wie Laſttiere behandeln konnte. Lägen die kleinen Ei-
lande Tortuga, Blanquilla und Orchilla mitten im Archipel
der Antillen, ſo wären ſie nicht unangebaut geblieben.


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[70/0078] Inſeln Piritu mit 5 m Tiefe liefen, zeigte der Thermometer nur noch 24,5°. Der Unterſchied zeigte ſich beſtändig; er wäre vielleicht bedeutender, wenn die Strömung, die raſch nach Weſt zieht, tieferes Waſſer heraufbrächte, und wenn nicht in einer ſo engen Durchfahrt das Land zur Erhöhung der Meerestemperatur mitwirkte. Die Inſeln Piritu gleichen den Bänken, die bei der Ebbe über Waſſer kommen. Sie erheben ſich nur 21 bis 23 cm über den mittleren Waſſer- ſtand. Ihre Oberfläche iſt völlig eben und mit Gras be- wachſen, und man meint eine unſerer nordiſchen Wieſen vor ſich zu haben. Die Scheibe der untergehenden Sonne ſchien wie ein Feuerball über der Grasflur zu hängen. Ihre letzten, die Erde ſtreifenden Strahlen beleuchteten die Grasſpitzen, die der Abendwind ſtark hin und her wiegte. Wenn aber auch in der heißen Zone an tiefen, feuchten Orten Gräſer und Riedgräſer ſich wie eine Wieſe oder ein Raſen ausnehmen, ſo fehlt dem Bilde doch immer eine Hauptzierde, ich meine die mancherlei Wieſenblumen, die nur eben über die Gräſer emporragen und ſich vom ebenen grünen Grunde abheben. Bei der Kraft und Ueppigkeit der ganzen Vegetation iſt unter den Tropen ein ſolcher Trieb in den Gewächſen, daß die kleinſten dikotyledoniſchen Pflanzen gleich zu Sträuchern wer- den. Man könnte ſagen, die Liliengewächſe, die unter den Gräſern wachſen, vertreten unſere Wieſenblumen. Sie fallen allerdings durch ihre Bildung ſtark ins Auge, ſie nehmen ſich durch die Mannigfaltigkeit und den Glanz ihrer Farben ſehr gut aus, aber ſie wachſen zu hoch und laſſen ſo das har- moniſche Verhältnis nicht aufkommen, das zwiſchen den Ge- wächſen beſteht, die bei uns den Raſen und die Wieſe bilden. Die gütige Natur verleiht unter allen Zonen der Landſchaft einen ihr eigentümlichen Reiz des Schönen. Man darf ſich nicht wundern, daß fruchtbare Inſeln ſo nahe der Küſte gegenwärtig unbewohnt ſind. Nur in der erſten Zeit der Eroberung, als die Kariben, die Chaymas und Cumanagoten noch Herren der Küſten waren, gründeten die Spanier auf Cubagua und Margarita Niederlaſſungen. Sobald die Eingeborenen unterworfen oder ſüdwärts den Savannen zu gedrängt waren, ließ man ſich lieber auf dem Feſtlande nieder, wo man die Wahl hatte unter Ländereien und Indianern, die man wie Laſttiere behandeln konnte. Lägen die kleinen Ei- lande Tortuga, Blanquilla und Orchilla mitten im Archipel der Antillen, ſo wären ſie nicht unangebaut geblieben.

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859, S. 70. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial02_1859/78>, abgerufen am 21.11.2024.