schnellen von Camiseta und Carichana, gegenüber den Ka- tarakten von Apures und Maypures, gar nicht der Beachtung wert findet.
Letztere liegen unter dem 5. und 6. Grad nördlicher Breite, 450 km westwärts von den Kordilleren von Neugranada, im Meridian von Porto Cabello, und nur 54 km voneinander. Es ist sehr auffallend, daß d'Anville nichts von denselben gewußt hat, da er doch auf seiner schönen großen Karte von Südamerika die unbedeutenden Fälle von Marimara und San Borja unter dem Namen Stromschnellen von Carichana und Tabaje angibt. Die großen Katarakte teilen die christlichen Niederlassungen in Spanisch-Guyana in zwei ungleiche Hälften. Missionen am unteren Orinoko heißen die zwischen dem Raudal von Atures und der Strommündung; unter den Missionen am oberen Orinoko sind die Dörfer zwischen dem Raudal von Maypures und den Bergen des Duida verstanden. Der Lauf des unteren Orinoko ist, wenn man mit La Condamine die Krümmungen auf ein Dritteil der geraden Richtung schätzt, 480 km, der des oberen Ori- noko, die Quellen 3° ostwärts vom Duida angenommen, 750 km lang.
Jenseits der großen Katarakte beginnt ein unbekanntes Land. Es ist ein zum Teil gebirgiger, zum Teil ebener Landstrich, über den die Nebenflüsse sowohl des Amazonen- stromes als des Orinoko ziehen. Wegen des leichten Verkehres mit dem Rio Negro und Gran Para scheint derselbe vielmehr Brasilien als den spanischen Kolonieen anzugehören. Keiner der Missionäre, die vor mir den Orinoko beschrieben haben, die Patres Gumilla, Gili und Caulin, ist über den Raudal von Maypures hinaufgekommen. Letzterer hat allerdings eine ziemlich genaue Topographie vom oberen Orinoko und vom Cassiquiare geliefert, aber nur nach den Angaben von Militärs, die Solanos Expedition mitgemacht. Oberhalb der großen Ka- tarakte fanden wir längs des Orinoko auf einer Strecke von 450 km nur drei christliche Niederlassungen, und in denselben waren kaum sechs bis acht Weiße, das heißt Menschen euro- päischer Abkunft. Es ist nicht zu verwundern, daß ein so ödes Land von jeher der klassische Boden für Sagen und Wundergeschichten war. Hierher versetzten ernste Missionäre die Völker, die ein Auge auf der Stirn, einen Hundskopf oder den Mund unter dem Magen haben; hier fanden sie alles wieder, was die Alten von den Garamanten, den
ſchnellen von Camiſeta und Carichana, gegenüber den Ka- tarakten von Apures und Maypures, gar nicht der Beachtung wert findet.
Letztere liegen unter dem 5. und 6. Grad nördlicher Breite, 450 km weſtwärts von den Kordilleren von Neugranada, im Meridian von Porto Cabello, und nur 54 km voneinander. Es iſt ſehr auffallend, daß d’Anville nichts von denſelben gewußt hat, da er doch auf ſeiner ſchönen großen Karte von Südamerika die unbedeutenden Fälle von Marimara und San Borja unter dem Namen Stromſchnellen von Carichana und Tabaje angibt. Die großen Katarakte teilen die chriſtlichen Niederlaſſungen in Spaniſch-Guyana in zwei ungleiche Hälften. Miſſionen am unteren Orinoko heißen die zwiſchen dem Raudal von Atures und der Strommündung; unter den Miſſionen am oberen Orinoko ſind die Dörfer zwiſchen dem Raudal von Maypures und den Bergen des Duida verſtanden. Der Lauf des unteren Orinoko iſt, wenn man mit La Condamine die Krümmungen auf ein Dritteil der geraden Richtung ſchätzt, 480 km, der des oberen Ori- noko, die Quellen 3° oſtwärts vom Duida angenommen, 750 km lang.
Jenſeits der großen Katarakte beginnt ein unbekanntes Land. Es iſt ein zum Teil gebirgiger, zum Teil ebener Landſtrich, über den die Nebenflüſſe ſowohl des Amazonen- ſtromes als des Orinoko ziehen. Wegen des leichten Verkehres mit dem Rio Negro und Gran Para ſcheint derſelbe vielmehr Braſilien als den ſpaniſchen Kolonieen anzugehören. Keiner der Miſſionäre, die vor mir den Orinoko beſchrieben haben, die Patres Gumilla, Gili und Caulin, iſt über den Raudal von Maypures hinaufgekommen. Letzterer hat allerdings eine ziemlich genaue Topographie vom oberen Orinoko und vom Caſſiquiare geliefert, aber nur nach den Angaben von Militärs, die Solanos Expedition mitgemacht. Oberhalb der großen Ka- tarakte fanden wir längs des Orinoko auf einer Strecke von 450 km nur drei chriſtliche Niederlaſſungen, und in denſelben waren kaum ſechs bis acht Weiße, das heißt Menſchen euro- päiſcher Abkunft. Es iſt nicht zu verwundern, daß ein ſo ödes Land von jeher der klaſſiſche Boden für Sagen und Wundergeſchichten war. Hierher verſetzten ernſte Miſſionäre die Völker, die ein Auge auf der Stirn, einen Hundskopf oder den Mund unter dem Magen haben; hier fanden ſie alles wieder, was die Alten von den Garamanten, den
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0110"n="102"/>ſchnellen von Camiſeta und Carichana, gegenüber den Ka-<lb/>
tarakten von Apures und Maypures, gar nicht der Beachtung<lb/>
wert findet.</p><lb/><p>Letztere liegen unter dem 5. und 6. Grad nördlicher Breite,<lb/>
450 <hirendition="#aq">km</hi> weſtwärts von den Kordilleren von Neugranada, im<lb/>
Meridian von Porto Cabello, und nur 54 <hirendition="#aq">km</hi> voneinander.<lb/>
Es iſt ſehr auffallend, daß d’Anville nichts von denſelben<lb/>
gewußt hat, da er doch auf ſeiner ſchönen großen Karte von<lb/>
Südamerika die unbedeutenden Fälle von Marimara und San<lb/>
Borja unter dem Namen Stromſchnellen von Carichana und<lb/>
Tabaje angibt. Die großen Katarakte teilen die chriſtlichen<lb/>
Niederlaſſungen in Spaniſch-Guyana in zwei ungleiche Hälften.<lb/><hirendition="#g">Miſſionen am unteren Orinoko</hi> heißen die zwiſchen<lb/>
dem Raudal von Atures und der Strommündung; unter<lb/>
den <hirendition="#g">Miſſionen am oberen Orinoko</hi>ſind die Dörfer<lb/>
zwiſchen dem Raudal von Maypures und den Bergen des<lb/>
Duida verſtanden. Der Lauf des unteren Orinoko iſt, wenn<lb/>
man mit La Condamine die Krümmungen auf ein Dritteil<lb/>
der geraden Richtung ſchätzt, 480 <hirendition="#aq">km</hi>, der des oberen Ori-<lb/>
noko, die Quellen 3° oſtwärts vom Duida angenommen,<lb/>
750 <hirendition="#aq">km</hi> lang.</p><lb/><p>Jenſeits der großen Katarakte beginnt ein unbekanntes<lb/>
Land. Es iſt ein zum Teil gebirgiger, zum Teil ebener<lb/>
Landſtrich, über den die Nebenflüſſe ſowohl des Amazonen-<lb/>ſtromes als des Orinoko ziehen. Wegen des leichten Verkehres<lb/>
mit dem Rio Negro und Gran Para ſcheint derſelbe vielmehr<lb/>
Braſilien als den ſpaniſchen Kolonieen anzugehören. Keiner<lb/>
der Miſſionäre, die vor mir den Orinoko beſchrieben haben,<lb/>
die Patres Gumilla, Gili und Caulin, iſt über den Raudal<lb/>
von Maypures hinaufgekommen. Letzterer hat allerdings eine<lb/>
ziemlich genaue Topographie vom oberen Orinoko und vom<lb/>
Caſſiquiare geliefert, aber nur nach den Angaben von Militärs,<lb/>
die Solanos Expedition mitgemacht. Oberhalb der großen Ka-<lb/>
tarakte fanden wir längs des Orinoko auf einer Strecke von<lb/>
450 <hirendition="#aq">km</hi> nur drei chriſtliche Niederlaſſungen, und in denſelben<lb/>
waren kaum ſechs bis acht Weiße, das heißt Menſchen euro-<lb/>
päiſcher Abkunft. Es iſt nicht zu verwundern, daß ein ſo<lb/>
ödes Land von jeher der klaſſiſche Boden für Sagen und<lb/>
Wundergeſchichten war. Hierher verſetzten ernſte Miſſionäre<lb/>
die Völker, die ein Auge auf der Stirn, einen Hundskopf<lb/>
oder den Mund unter dem Magen haben; hier fanden ſie<lb/>
alles wieder, was die Alten von den Garamanten, den<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[102/0110]
ſchnellen von Camiſeta und Carichana, gegenüber den Ka-
tarakten von Apures und Maypures, gar nicht der Beachtung
wert findet.
Letztere liegen unter dem 5. und 6. Grad nördlicher Breite,
450 km weſtwärts von den Kordilleren von Neugranada, im
Meridian von Porto Cabello, und nur 54 km voneinander.
Es iſt ſehr auffallend, daß d’Anville nichts von denſelben
gewußt hat, da er doch auf ſeiner ſchönen großen Karte von
Südamerika die unbedeutenden Fälle von Marimara und San
Borja unter dem Namen Stromſchnellen von Carichana und
Tabaje angibt. Die großen Katarakte teilen die chriſtlichen
Niederlaſſungen in Spaniſch-Guyana in zwei ungleiche Hälften.
Miſſionen am unteren Orinoko heißen die zwiſchen
dem Raudal von Atures und der Strommündung; unter
den Miſſionen am oberen Orinoko ſind die Dörfer
zwiſchen dem Raudal von Maypures und den Bergen des
Duida verſtanden. Der Lauf des unteren Orinoko iſt, wenn
man mit La Condamine die Krümmungen auf ein Dritteil
der geraden Richtung ſchätzt, 480 km, der des oberen Ori-
noko, die Quellen 3° oſtwärts vom Duida angenommen,
750 km lang.
Jenſeits der großen Katarakte beginnt ein unbekanntes
Land. Es iſt ein zum Teil gebirgiger, zum Teil ebener
Landſtrich, über den die Nebenflüſſe ſowohl des Amazonen-
ſtromes als des Orinoko ziehen. Wegen des leichten Verkehres
mit dem Rio Negro und Gran Para ſcheint derſelbe vielmehr
Braſilien als den ſpaniſchen Kolonieen anzugehören. Keiner
der Miſſionäre, die vor mir den Orinoko beſchrieben haben,
die Patres Gumilla, Gili und Caulin, iſt über den Raudal
von Maypures hinaufgekommen. Letzterer hat allerdings eine
ziemlich genaue Topographie vom oberen Orinoko und vom
Caſſiquiare geliefert, aber nur nach den Angaben von Militärs,
die Solanos Expedition mitgemacht. Oberhalb der großen Ka-
tarakte fanden wir längs des Orinoko auf einer Strecke von
450 km nur drei chriſtliche Niederlaſſungen, und in denſelben
waren kaum ſechs bis acht Weiße, das heißt Menſchen euro-
päiſcher Abkunft. Es iſt nicht zu verwundern, daß ein ſo
ödes Land von jeher der klaſſiſche Boden für Sagen und
Wundergeſchichten war. Hierher verſetzten ernſte Miſſionäre
die Völker, die ein Auge auf der Stirn, einen Hundskopf
oder den Mund unter dem Magen haben; hier fanden ſie
alles wieder, was die Alten von den Garamanten, den
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial03_1859/110>, abgerufen am 16.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.