pures, Abanis und Quirupas untereinander; statt dieser Stämme fanden wir nur Guahibos und ein paar Familien vom Stamme der Macos. Die Atures sind fast völlig ver- schwunden; man kennt sie nur noch von ihren Gräbern in der Höhle Ataruipe her, die an die Grabstätten der Guanchen auf Tenerifa erinnern. Wir hörten an Ort und Stelle, die Atures haben mit den Quaquas und den Macos oder Piaroas dem großen Völkerstamme der Salivas angehört, wogegen die Maypures, Abanis, Parenis und Guaypunaves einer Ab- kunft seien mit den Cabres oder Caveres, die wegen ihrer langen Kriege mit den Kariben viel genannt werden. In diesem Wirrwarr kleiner Völkerschaften, die einander so schroff gegenüberstehen, wie einst die Völker in Latium, Kleinasien und Sogdiana, läßt sich das Zusammengehörige im allge- meinsten nur an der Sprachverwandtschaft erkennen. Die Sprachen sind die einzigen Denkmäler, die aus der Urzeit auf uns gekommen sind; nur sie, nicht an den Boden ge- fesselt, beweglich und dauernd zugleich, sind sozusagen durch Raum und Zeit hindurchgegangen. So zäh und über so viele Strecken verbreitet erscheinen sie aber weit weniger bei er- oberten und bei civilisierten Völkern als bei wandernden, halbwilden Stämmen, die auf der Flucht vor mächtigen Fein- den in ihr tiefes Elend nichts mit sich nehmen als ihre Weiber, ihre Kinder und die Mundart ihrer Väter.
Zwischen dem 4. und 8. Breitengrad bildet der Orinoko nicht nur die Grenze zwischen dem großen Walde der Pa- rime und den kahlen Savannen am Apure, Meta und Gua- viare, er scheidet auch Horden von sehr verschiedener Lebens- weise. Im Westen ziehen auf den baumlosen Ebenen die Guahibos, Chiricoas und Guamos herum, ekelhaft schmutzige Völker, stolz auf ihre wilde Unabhängigkeit, schwer an den Boden zu fesseln und an regelmäßige Arbeit zu gewöhnen. Die spanischen Missionäre bezeichnen sie ganz gut als Indios andantes (laufende, umherziehende Indianer). Oestlich vom Orinoko, zwischen den einander nahe liegenden Quellen des Caura, des Cataniapo und Ventuari, hausen die Macos, Salivas, Curacicanas, Parecas und Maquiritares, sanftmütige, ruhige, Ackerbau treibende, leicht der Zucht in den Missionen zu unter- werfende Völker. Der Indianer der Ebene unterscheidet sich vom Indianer der Wälder durch Sprache wie durch Sitten und die ganze Geistesrichtung; beide haben eine an lebendigen, kecken Wendungen reiche Sprache, aber die des
pures, Abanis und Quirupas untereinander; ſtatt dieſer Stämme fanden wir nur Guahibos und ein paar Familien vom Stamme der Macos. Die Atures ſind faſt völlig ver- ſchwunden; man kennt ſie nur noch von ihren Gräbern in der Höhle Ataruipe her, die an die Grabſtätten der Guanchen auf Tenerifa erinnern. Wir hörten an Ort und Stelle, die Atures haben mit den Quaquas und den Macos oder Piaroas dem großen Völkerſtamme der Salivas angehört, wogegen die Maypures, Abanis, Parenis und Guaypunaves einer Ab- kunft ſeien mit den Cabres oder Caveres, die wegen ihrer langen Kriege mit den Kariben viel genannt werden. In dieſem Wirrwarr kleiner Völkerſchaften, die einander ſo ſchroff gegenüberſtehen, wie einſt die Völker in Latium, Kleinaſien und Sogdiana, läßt ſich das Zuſammengehörige im allge- meinſten nur an der Sprachverwandtſchaft erkennen. Die Sprachen ſind die einzigen Denkmäler, die aus der Urzeit auf uns gekommen ſind; nur ſie, nicht an den Boden ge- feſſelt, beweglich und dauernd zugleich, ſind ſozuſagen durch Raum und Zeit hindurchgegangen. So zäh und über ſo viele Strecken verbreitet erſcheinen ſie aber weit weniger bei er- oberten und bei civiliſierten Völkern als bei wandernden, halbwilden Stämmen, die auf der Flucht vor mächtigen Fein- den in ihr tiefes Elend nichts mit ſich nehmen als ihre Weiber, ihre Kinder und die Mundart ihrer Väter.
Zwiſchen dem 4. und 8. Breitengrad bildet der Orinoko nicht nur die Grenze zwiſchen dem großen Walde der Pa- rime und den kahlen Savannen am Apure, Meta und Gua- viare, er ſcheidet auch Horden von ſehr verſchiedener Lebens- weiſe. Im Weſten ziehen auf den baumloſen Ebenen die Guahibos, Chiricoas und Guamos herum, ekelhaft ſchmutzige Völker, ſtolz auf ihre wilde Unabhängigkeit, ſchwer an den Boden zu feſſeln und an regelmäßige Arbeit zu gewöhnen. Die ſpaniſchen Miſſionäre bezeichnen ſie ganz gut als Indios andantes (laufende, umherziehende Indianer). Oeſtlich vom Orinoko, zwiſchen den einander nahe liegenden Quellen des Caura, des Cataniapo und Ventuari, hauſen die Macos, Salivas, Curacicanas, Parecas und Maquiritares, ſanftmütige, ruhige, Ackerbau treibende, leicht der Zucht in den Miſſionen zu unter- werfende Völker. Der Indianer der Ebene unterſcheidet ſich vom Indianer der Wälder durch Sprache wie durch Sitten und die ganze Geiſtesrichtung; beide haben eine an lebendigen, kecken Wendungen reiche Sprache, aber die des
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pures, Abanis und Quirupas untereinander; ſtatt dieſer
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ſchwunden; man kennt ſie nur noch von ihren Gräbern in der
Höhle Ataruipe her, die an die Grabſtätten der Guanchen
auf Tenerifa erinnern. Wir hörten an Ort und Stelle, die
Atures haben mit den Quaquas und den Macos oder Piaroas
dem großen Völkerſtamme der Salivas angehört, wogegen
die Maypures, Abanis, Parenis und Guaypunaves einer Ab-
kunft ſeien mit den Cabres oder Caveres, die wegen ihrer
langen Kriege mit den Kariben viel genannt werden. In
dieſem Wirrwarr kleiner Völkerſchaften, die einander ſo ſchroff
gegenüberſtehen, wie einſt die Völker in Latium, Kleinaſien
und Sogdiana, läßt ſich das Zuſammengehörige im allge-
meinſten nur an der Sprachverwandtſchaft erkennen. Die
Sprachen ſind die einzigen Denkmäler, die aus der Urzeit
auf uns gekommen ſind; nur ſie, nicht an den Boden ge-
feſſelt, beweglich und dauernd zugleich, ſind ſozuſagen durch
Raum und Zeit hindurchgegangen. So zäh und über ſo viele
Strecken verbreitet erſcheinen ſie aber weit weniger bei er-
oberten und bei civiliſierten Völkern als bei wandernden,
halbwilden Stämmen, die auf der Flucht vor mächtigen Fein-
den in ihr tiefes Elend nichts mit ſich nehmen als ihre Weiber,
ihre Kinder und die Mundart ihrer Väter.
Zwiſchen dem 4. und 8. Breitengrad bildet der Orinoko
nicht nur die Grenze zwiſchen dem großen Walde der Pa-
rime und den kahlen Savannen am Apure, Meta und Gua-
viare, er ſcheidet auch Horden von ſehr verſchiedener Lebens-
weiſe. Im Weſten ziehen auf den baumloſen Ebenen die
Guahibos, Chiricoas und Guamos herum, ekelhaft ſchmutzige
Völker, ſtolz auf ihre wilde Unabhängigkeit, ſchwer an den
Boden zu feſſeln und an regelmäßige Arbeit zu gewöhnen.
Die ſpaniſchen Miſſionäre bezeichnen ſie ganz gut als Indios
andantes (laufende, umherziehende Indianer). Oeſtlich vom
Orinoko, zwiſchen den einander nahe liegenden Quellen des
Caura, des Cataniapo und Ventuari, hauſen die Macos, Salivas,
Curacicanas, Parecas und Maquiritares, ſanftmütige, ruhige,
Ackerbau treibende, leicht der Zucht in den Miſſionen zu unter-
werfende Völker. Der Indianer der Ebene unterſcheidet
ſich vom Indianer der Wälder durch Sprache wie durch
Sitten und die ganze Geiſtesrichtung; beide haben eine an
lebendigen, kecken Wendungen reiche Sprache, aber die des
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 106. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial03_1859/114>, abgerufen am 16.02.2025.
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